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Krankenhäuser als Kriegsziel - Attacken ohne jeden Skrupel

Die Kriege in Syrien und im Jemen treffen vor allem die Zivilbevölkerung. Die systematische Bombardierung von Krankenhäusern wird immer stärker zu einer üblichen Kriegshandlung, wie ein Bericht der „Ärzte für Menschenrechte“ zeigt. Steht dahinter eine Taktik?

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Das Ende des Hospitals von „Ärzte ohne Grenzen“ nahe Homs kam durch einen Doppelschlag. So nennen die ohnmächtigen Zeugen am Boden die teuflische Taktik des syrischen Regimes, nach der ersten Fassbombe einige Zeit später an genau der gleichen Stelle eine zweite abzuwerfen, um auch die Retter in den Trümmern zu töten. Sieben Menschen starben, darunter ein kleines Mädchen. 47 wurden verletzt, als vor sechs Wochen in Zentralsyrien die kleine Klinik zusammengeschossen wurde.

Angriffe auf Krankenhäuser von „Ärzte ohne Grenzen“ (MSF) finden die meiste internationale Aufmerksamkeit, sind aber nur die Spitze des Eisbergs. Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im März 2011 dokumentierte die Organisation „Ärzte für Menschenrechte“ (PHR) insgesamt 329 Luftschläge auf 240 Einrichtungen, der Großteil verübt durch das Regime von Baschar al-Assad. Im vergangenen Jahr 2015 habe die Zahl solcher Attacken, die als Kriegsverbrechen gelten, drastisch zugenommen, bilanzierte PHR. 112 Mal wurden Hospitäler bombardiert, obwohl sie klar markiert waren und das Regime ihre Koordinaten kennt.

Bestialische Kriegsstrategie


Die gezielte Zerstörung von Hospitälern, Lazaretten, Gesundheitsstationen, Arzneifabriken und Krankenwagen gehört inzwischen genauso zur bestialischen Kriegsstrategie in Syrien wie das Aushungern von ganzen Städten, Angriffe auf Schulen oder Massaker unter Wartenden, die für Brot anstehen.

„Schlimmer als alles, was ich auf dem Balkan erlebt habe“, urteilte die ehemalige Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien, Carla Del Ponte. Die Schweizer Juristin dokumentiert heute als UN-Ermittlerin zusammen mit einem Expertenteam Beweise für Kriegsverbrechen in Syrien.

„Als wir unsere Untersuchung zu den Hospitälern begannen, haben wir zunächst geglaubt, dass diese Angriffe Ergebnis eines schlechten Zivilschutzes sind“, sagte Widney Brown, Programmdirektor von „Ärzte für Menschenrechte“. Doch je mehr Daten die Aktivisten zusammentrugen, umso klarer wurde ihnen, „dass es sich um eine Strategie der Assad-Regierung – und jetzt auch Russlands – handelt“. Zahlreiche Kliniken seien mehrfach angegriffen worden, bis sie am Ende aufgegeben werden mussten. „Das Gesundheitswesen zu zerstören, ist eine sehr effektive Taktik“, erläuterte Brown. „Denn man erzeugt hohe zivile Verluste, die nicht das direkte Ergebnis von Bombenangriffen sind.“

100 Angriffe auf Krankenhäuser in Jemen


So wären in Aleppo nur noch ein Drittel der einst 33 Krankenhäuser in Betrieb. 95 Prozent aller Ärzte seien geflohen, verhaftet oder getötet worden. Die letzten 80 Mediziner in der zerstörten Millionenstadt könnten nur noch die am schwersten Verwundeten behandeln und seien gezwungen, „in Badezimmern, Kellerhöhlen oder anderen Verstecken zu operieren“.

Gleiches geschieht inzwischen auch auf anderen Kriegsschauplätzen des Nahen und Mittleren Ostens. In Afghanistan bombardierten US-Kampfflugzeuge am 3. Oktober zwei Stunden lang das MSF-Hospital in Kundus und legten es in Schutt und Asche.

Drei Wochen später nahmen saudische F-16 im Nordjemen eine MSF-Klinik unter Feuer, obwohl der Einsatzzentrale in Riad die GPS-Koordinaten der Gebäude mehrfach übermittelt worden waren. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon verurteilte den Angriff mit scharfen Worten, trotzdem traf es bereits wenige Tage später die nächste Klinik, diesmal in Taiz. Seit Beginn des Krieges im März 2015 zählte das Rote Kreuz an der Südspitze der Arabischen Halbinsel bereits nahezu 100 Angriffe auf Krankenhäuser und Gesundheitsstationen.

„Die Luftschläge Saudi-Arabiens machen im Jemen genau das Gleiche wie die des Assad-Regimes in Syrien“, erläutert Widney Brown von „Ärzte für Menschenrechte“. Nur dass die Auswirkungen im Jemen noch verheerender sind, weil das ärmste Land der arabischen Welt bereits vor Beginn des Krieges ein extrem schlechtes Gesundheitssystem hatte.

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