Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Spaniens Jugend empört sich. Sie fordert mehr Arbeit und Demokratie für ihr Land

Spaniens Jugend - Keine Lust mehr auf Dauer-Siesta

In Europa ging der Mythos der faulen spanischen Jugend um. Von Badewetter und Hotel Mama verwöhnt, ergebe sie sich freiwillig dem sozialen Abstieg. Der Versuch den schwarzen Peter der Jugend zuzuschieben, ist spätestens mit den Massenprotesten im Mai gescheitert. Die Jugend will arbeiten und kämpft für ihre Zukunft.

„Wenn der Nachbar mit einem Mercedes vorfährt, flucht der Spanier und zerkratzt ihm den Lack. Wenn ein Deutscher bei seinem Nachbarn das Auto sieht, arbeitet er dreimal so hart und fährt in drei Monaten mit einem noch teureren Wagen vor.“ Dieses Klischee vom müßigen Südländer, dem die nordeuropäische Arbeitsmentalität fremd ist, wird nicht nur an deutschen Stammtischen verbreitet. Denn das Zitat stammt von Guillermo Teschendorff. Er ist 24 Jahre alt und ist einer der vielen jungen Spanier, die gerade versuchen auf dem deutschen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen.

Unter dem Eindruck der Krise und seinen Erfahrungen in Deutschland hadert er mit der spanischen Arbeitsdisziplin: „Wir sind einfach zu faul!“ meint Guillermo selbstkritisch. Seit knapp zwei Jahren ist er in Deutschland und absolviert derzeit ein Praktikum bei Coca Cola in Berlin. Dafür wird er von seinen Freunden in Spanien beneidet. Seitdem in den spanischen Medien die Nachricht die Runde macht, dass Deutschland verstärkt Fachkräfte anwerben will, sind die Freunde neugierig geworden. Sie löchern Guillermo mit Fragen: Wie hast du das geschafft? Wo kann ich Deutsch lernen? Wo bewerbe ich mich am besten? 

Das starke Interesse an Deutschland ist nicht verwunderlich. Die Jugendarbeitslosigkeit in Spanien sucht europaweit ihresgleichen und ist in den letzten vier Jahren um über 20 Prozent angestiegen. Sie liegt bei den unter 25-jährigen mittlerweile bei 44 Prozent. Die Finanz- und Immobilienkrise hat in Spanien verheerende Folgen für die Wirtschaft gehabt. Das Haushaltsbudget schrumpft wegen der Sanierung der Banken und sinkender wirtschaftlicher Produktivität dahin. Den bis dato führenden Branchen wie Automobil, Bau und Tourismus geht es nach wie vor schlecht und die Regierung fand kein Mittel gegen die steigende Arbeitslosigkeit. Das Resultat: Qualifizierte Arbeitsstellen für Architekten, Ingenieure,  IT-Spezialisten und andere Fachkräfte fehlen zu Hunderttausenden.

Aber hätte es irgendeinen Sinn, eine vermeintlich mangelhafte Arbeitskultur für diese Entwicklung mitverantwortlich zu machen? Die große Sorgenlos-Fiesta während des Baubooms wurde schließlich nicht nur in Spanien gefeiert. Dass sich ein ganzes Land allein durch den Kauf von Immobilien bereichern könne, ist ein Illusion, der nicht nur die Spanier aus ihrer gemütlichen Gesinnung heraus erlegen sind. Auch den USA hat dieses Luftschloss des Kapitalismus das Genick gebrochen.

Doch waren die Folgen der Immobilienkrise einmal durchgekaut, suchte man nach neuen Erklärungen für die Misere. An der wieder auflebenden Mentalitätskritik hatten die spanischen Medien und Politiker einen gehörigen Anteil. Denn die fanden ihren neuen Buhmann in ihrer eigenen Jugend. „Generación ni-ni“ (Generation Weder-Noch) war der Stempel, der der Jugend aufgedrückt wurde. Und der war keineswegs so neutral wie er im Ausland verstanden wurde: etwa als Bezeichnung einer statistisch relevanten Gruppe von jungen Menschen, die weder Arbeit finden noch augenblicklich in der Ausbildung stecken.

Der neue Nickname der Jugend wurde in der Öffentlichkeit durch eine gleichnamige Fernsehserie bekannt, die im Big-brother-ähnlichen Format das Leben von 15- bis 18-jährigen Spaniern dokumentierte. Jugendliche aus sozial schwachen Familien, die nach dem spanischen Realschulabschluss – wenn überhaupt vorhanden –  weder eine Ausbildung noch das Abitur machen  – geschweige denn arbeiten wollen. Stattdessen lassen sie sich von ihren Eltern durchfüttern und leben weder mit Perspektiven noch großen Illusionen, was ihre Zukunft betrifft, in den Tag hinein.

Dieses Bild der Null-Bock-Jugend wurde in den letzten Jahren zu einer noch größeren gesellschaftlichen Katastrophe aufgebauscht: Eine Umfrage kam zu dem Ergebnis, dass „54 Prozent der spanischen Jugend kein Projekt“ haben, für dass sie sich besonders interessieren oder begeistern. Spaniens größte Zeitung El Pais orakelte dann unter der Überschrift „Generación ni-ni – ni estudia ni trabaja“ („die weder studiert, noch arbeitet“), ob in Spanien gerade eine apathische, kraftlose und träge Generation heranwüchse, die sich lediglich im Komfort der Familie wiegen wolle. (Dieses glattgebügelte Bild der faulen Jugend wurde im Anschluss auch von ausländischen Medien verbreitet.)

Nun ist es die spanische Jugend selbst, die sich gegen dieses diffamierende Zerrbild zur Wehr setzt. Bei Massenprotesten der Empörten, „los indignados“ im Mai dieses Jahres hat die Jugend aufbegehrt und ihrem Ärger über die Politiker und der Meinungsmache der Medien Luft gemacht.

Was die Jugend aufbringt, lässt sich an der Lebenslage von Xavier Bel Escribano ablesen. Er ist ausgebildeter Architekt aus Barcelona und musste nach sieben Jahren Studium und mehreren Fachpraktika einsehen, dass seine Chancen auf einen Job mit angemessener Bezahlung gleich Null sind. Die meisten kleineren Architektenbüros mussten wegen Auftragsmangel dicht machen. Viele Architekten finden keine Anstellung mehr und stehen vor der Wahl, entweder ohne Bezahlung arbeiten zu müssen oder ihren Lebensunterhalt an der Supermarktkasse zu verdienen.

Die Probleme, die viele junge Arbeitssuchende haben, haben nichts mehr mit der Generación ni-ni zu tun, meint Xavi. „Spanien hat einen Haufen ausgebildeter Studenten, die qualifiziert und motiviert sind, mehrere Sprachen sprechen und arbeiten wollen. Was uns sauer macht, sind die hohlen Versprechungen der korrupten Politiker, Arbeitsplätze zu schaffen. Sie haben fehlkalkuliert und sich auf die Einnahmen aus der Tourismus- und Baubranche verlassen. An Spaniens Zukunft hat dabei keiner gedacht.“

Von Freunden weiß Xavi, dass ihn in Spanien ein Stundenlohn erwartet, von dem ihm am Ende des Monats nach Steuer- und Sozialabgaben nicht mehr bleibt als bei einem Studentenjob. Und ob er diese unterbezahlte Stelle überhaupt findet, ist fraglich. Deswegen will Xavi wie zehntausende Spanier in Deutschland sein Glück versuchen.

In Berlin kennt er bereits befreundete Architekten. Die hätten innerhalb eines Monats einen Job gefunden. Xavi ist daher zuversichtlich. Er glaubt, dass die deutschen Arbeitgeber seine breite Qualifikation und den anderen Blickwinkel, den er als Ausländer mitbringt, zu schätzen wissen.

Ein größeres Problem sieht Xavi darin, das anvisierte Projekt seinen Eltern beizubringen. Xavi ist 27 und wohnt nach wie vor bei ihnen. Die Eltern sähen es ungerne, wenn das einzige Kind so weit fortgehen würde. „Es ist nun mal Teil der mediterranen Kultur, dass die Familie eine sehr wichtige Rolle spielt und dass es einen festen Ort geben muss, der Schutz bietet und den man nicht so schnell verlässt.“ Er glaubt, dass viele Spanier wegen den Freunden und der Familie in Spanien bleiben werden, auch wenn sie nicht den Beruf ausüben können, für den sie ausgebildet wurden.

Damit ist wohl ein Grund ausgemacht, warum es so lange gedauert hat bis die Jugend in Spanien mobil machte, um gegen Rekordarbeitslosigkeit und wirtschaftspolitisches Versagen der Regierung auf die Straße zu gehen. Die Familie hat sich in Zeiten der Krise als verlässliche soziale Stütze bewährt. Sie diente als intakter Puffer gegen Armut und fehlende Chancen für ein eigenständiges Leben. 

Aber die Belastbarkeit der Familienbande hat seine Grenzen. Sie als Nährboden für eine durch Faulheit und Gleichgültigkeit gelähmte Jugend zu diskreditieren und damit den eigenen Nachwuchs gleich mit zu verteufeln, wagt heute kaum noch jemand.

Denn die Massenkundgebungen vom Mai wie die über 17.000 Bewerbungen von spanischen Fachkräften, die in diesem Jahr bei der deutschen Arbeitsagentur eingingen, haben eine neue Erkenntnis zu Tage befördert: Nur auf der Straße herumlungern und abends Botellón machen, ein Saufgelage auf öffentlichen Plätzen –das macht auf Dauer keinen glücklich –ob er nun Spanier oder Deutscher ist. Ehrgeiz und Begeisterung für „Projekte“ findet man dort, wo solche angeboten werden. In Spanien fehlen aber diese Angebote für die gesamte Jugend. Für den Arbeiter auf der Baustelle genauso wie für den gelernten Architekten im Büro.

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.