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Kämpfe im Irak - Frühling der schwarzen Gotteskrieger

Drei Ursachen liegen dem Aufstieg der Terrorgruppe Isis zu Grunde: die Defizite der politischen Kultur im Nahen Osten, die Bigotterie der reichen Golfstaaten und das teuerste Militärabenteuer in der amerikanischen Geschichte. Aus dem „Arabischen Frühling“ ist ein „Frühling der schwarzen Gotteskrieger“ geworden

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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Die schwarzen Gotteskrieger stehen vor Bagdad, nach Syrien droht jetzt auch dem Irak der Zerfall. Was vor drei Jahren in Damaskus als friedliches Aufbegehren des Volkes gegen das Assad-Regime begann, könnte am Ende den gesamten fruchtbaren Halbmond verheeren. Aus dem „Arabischen Frühling“ ist – wie es scheint – ein „Frühling der Gotteskrieger“ geworden.

Drei Ursachen fließen in dieser Katastrophe zusammen. Erstens: die Defizite der orientalischen politischen Kultur, die unfähig ist zu tragenden Kompromissen und unbeirrbar in ihrem Autoritarismus. Zweitens: die Bigotterie der reichen Golfstaaten, deren gekrönte Emire und Monarchen sich als Bollwerk gegen Extremismus brüsten. Gleichzeitig finanzieren ihre reichen Ölprinzen blutrünstige sunnitische Gotteskrieger im Kampf gegen Damaskus und Bagdad, die sie als Handlanger des Iran ansehen. Drittens: das Erbe der amerikanischen Invasion, die USA bekommen jetzt die Schlussrechnung präsentiert für ihr wohl teuerstes Militärabenteuer aller Zeiten.

Im Nahen Osten gibt es für Obama nichts mehr zu gewinnen


George W. Bushs Feldzug gegen Saddam Hussein im Namen der Demokratie hat mehr als 5000 GIs das Leben gekostet, Amerika finanziell beinahe auf die Knie gebracht, ihr weltpolitisches Potenzial spürbar geschwächt und für die 32 Millionen Iraker vor Ort eine heillose Lage heraufbeschworen. Nichts wurde erreicht, stattdessen Schreckliches angerichtet – kein Wunder, dass Barack Obama sein nationales Interesse in dieser Unruheregion neu kalibriert. Am Ende wird eine Politik stehen, die sich weniger auf den Nahen Osten konzentriert. Hier gibt es für Washington nichts mehr zu gewinnen – weder bei den nervtötenden Verhandlungen zwischen Israel und Palästina, noch bei einer militärischen Intervention in den verfahrenen syrischen Bürgerkrieg, bei einer Rückkehr mit US-Bodentruppen in den kaputten Irak oder im Streit um das skrupellose Doppelspiel der ölreichen Golfstaaten.

Denn die Herrscher der Arabischen Halbinsel gerieren sich nach außen als Garanten der Mäßigung. Nach innen aber drücken sie die Augen zu, wenn superreiche Privatleute und fundamentalistische Stiftungen Milliardensummen in extremistische Gotteskrieger und die Weltmission salafistischer Schariamoral stecken. Spätestens seit dem Drama im Irak ist klar, dieses Schattenspiel wird nicht aufgehen. Denn die triumphierenden Krieger könnten sich beflügelt fühlen, nun auch ihre Gönner am Golf ins Visier zu nehmen. Und Europa wird die saudische, katarische und kuwaitische Heuchelei zu spüren bekommen, wenn die ersten Jihadisten, kampferfahren und mordgewohnt, wieder in ihre Heimat im Westen zurückkehren.

Keine Mäßigung, keine Deeskalation


Allerdings wäre das regionale Terroristenmilieu niemals so ausgewuchert, gäbe es nicht so tief eingeschliffene Mängel in der politischen Kultur des Orients. Egal ob Iraks Nuri al-Maliki oder Syriens Bashar al-Assad, ob Algeriens Abdelaziz Bouteflika oder Ägyptens Abdel Fattah al-Sissi, alle arabischen Potentaten eint die gleiche Mentalität. Wer am Drücker ist, quetscht seine Kontrahenten unerbittlich an die Wand. Westliche Mahnungen zu Mäßigung, Deeskalation und politischer Integration werden als naive Moralpredigten belächelt.

Respekt vor den legitimen Grundinteressen von Minderheiten oder Andersdenken gilt als realitätsfremder Luxus. Und so fühlen sich Iraks Sunniten seit Jahren von Nuri al-Maliki zu Bürgern zweiter Klasse herabgewürdigt. Selbst UN-Generalsekretär Ban Ki-moon musste sich von dem störrischen irakischen Regierungschef öffentlich maßregeln lassen, als er für mehr sozialen Zusammenhalt, politischen Dialog und inklusive Gespräche warb. In Fallujah brachte Anfang des Jahres eine schikanöse Hausdurchsuchung bei einem angesehenen sunnitischen Politiker das Fass zum Überlaufen. Seitdem ist die Stadt fest in der Hand von Gotteskriegern, klammheimlich unterstützt von einem Teil der frustrierten Bewohner. Doch selbst dieses Menetekel hat Maliki nicht beirrt. Jetzt bekommen seine ganze Nation, die ganze Region und die ganze Welt die Quittung dafür.

 

 

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