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Italien - Emma Boninos Weg von der Rebellin zur Diplomatin

Seit Ende April ist Emma Bonino Außenministerin Italiens - ein Bekenntnis zu Europa 

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Dieser Artikel ist eine Kostprobe aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erwerben können.

 

 


Sie war die erste Radikale im öffentlichen Dienst in Brüssel. Schon an ihrem ersten Arbeitstag als EU-Kommissarin für humanitäre Hilfe flog Emma Bonino nach Sarajevo, um die Untätigkeit der Europäer im Bürgerkrieg in Ex-Jugoslawien anzuprangern. Das war im Januar  1995, der Balkan stand in Flammen. Die EU-Granden waren empört. Wer war diese zierliche Frau aus Rom, die es wagte, sich mit ihrer prägnanten Stimme in die stille Kunst der hohen Diplomatie einzumischen?

18 Jahre danach fragt das niemand mehr. „La Bonino“, wie man sie fast zärtlich nennt, ist zu einer europäischen Ikone geworden. Daniel Cohn-Bendit liebt sie, Joschka Fischer schätzt sie, Silvio Berlusconi fördert sie. Der Cavaliere war es, der die prominente Politikerin der Partito Radicale nach Brüssel schickte. Später sagte sich Bonino von dem Macho los. Doch das hinderte sie nicht daran, als Außenministerin in die neue römische Regierung einzutreten, die wieder von Berlusconi mitgetragen wird.

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Es ist nicht der einzige Widerspruch in Boninos Leben. Begonnen hat alles in den siebziger Jahren, natürlich mit einer Provokation. Die damals 27-Jährige lehnt sich gegen die strengen Sitten im katholischen Italien auf, gründet ein Selbsthilfezentrum für die damals noch verbotene Abtreibung – und lässt sich nach dem eigenen Abbruch verhaften. Zwei Wochen bleibt sie im Gefängnis, danach ist sie ein Star. Der Papst nennt sie „Hexe“, die Feministin ist geboren.

Danach geht es Schlag auf Schlag. 1976 Einzug ins italienische Parlament, drei Jahre später Beginn der EU-Karriere im Europaparlament. „Ich bin aus Neugier nach Straßburg gegangen, ich wusste praktisch nichts von Europa“, räumte sie später freimütig ein. Bonino engagiert sich für die Menschenrechte, gegen Atomkraft und Todesstrafe. „In den achtziger Jahren war Europa noch ein faszinierendes Projekt – keine christliche Festung wie heute“, erinnert sie sich. Dennoch stimmt sie gegen den Maastricht-Vertrag, der den Euro begründet. Er geht ihr nicht weit genug, die politische Integration fehlt.

Bonino ist nicht nur eine überzeugte Europäerin, sondern auch eine engagierte Föderalistin. Sie tritt für die „Vereinigten Staaten von Europa“ ein, aber gegen einen allmächtigen europäischen Superstaat. Sie hat die Austeritätspolitik in Italien kritisiert, aber auch die Einhaltung der Sparzusagen versprochen. Wie passt das zusammen? Für Bonino kein Problem – es sei alles nur eine Frage des politischen Willens und des Mutes.

Dass sie Mut besitzt, hat „Emma Courage“, so nennt sie ihr Mitstreiter Cohn-Bendit, immer wieder bewiesen. In Brüssel erinnert man sich vor allem an ihr Engagement für Afghanistan. Einmal bringt sie eine verschleierte Afghanin zu einer Pressekonferenz in die EU-Kommission mit. Die Frau – eine Ärztin – sei nicht religiös, sondern habe sich aus Angst vor den Taliban verhüllt, sagt sie den verblüfften Journalisten. Man müsse den Frauen in Afghanistan helfen, es gehe um Leben und Tod.

Vier Monate zuvor wäre Bonino beinahe selbst Opfer der Taliban geworden. Sie war nach Afghanistan gereist, um europäische Hilfsprojekte zu besichtigen. Als sie ein Krankenhaus besuchen will, wird die EU-Kommissarin von den radikalen Islamisten festgehalten. Einige Stunden verbringt sie in Geiselhaft der Taliban, danach ist der Spuk vorbei. Es hätte auch anders ausgehen können, doch Bonino hat die riskante Reise bis heute nicht bereut.

Sie muss eben immer ganz vorne mitmischen – da, wo die Action ist, da, wo die Kameras sind. Bonino ist ständig in Bewegung, immer unterwegs, selbst für Partnersuche und Familiengründung blieb keine Zeit. „Wenn ich mich mit anderen vergleiche, denke ich manchmal, ich sollte etwas ruhiger werden“, sagt die allein lebende 65-Jährige, greift zur Zigarette und plant schon das nächste Projekt. Der Kampf geht weiter, trotz mancher Rückschläge.

[gallery:Eine kleine Geschichte des Euro]

Der härteste Schlag war wohl der Sturz der EU-Kommission 1999. Wegen einer Korruptionsaffäre um die französische Kommissarin Édith Cresson trat die gesamte Kommission zurück, auch Bonino musste ihren Sessel räumen. Vom neuen Kommissionschef Romano Prodi, einem Landsmann, wurde sie nicht zurückgeholt – Prodi zog Mario Monti ihr vor, der zum „Superkommissar“ und später zum Premier in Rom wurde. Bonino zog sich enttäuscht ins Europaparlament zurück.

Dort ging sie ausgerechnet mit dem französischen Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen ein Zweckbündnis ein, um für ihre kleine radikale Truppe den Fraktionsstatus zu erhalten. Ein „Pakt mit dem Teufel“ sei dies, schimpften Kollegen. Doch er sollte nicht lange währen – ebenso wenig wie ihr Versuch, eine zweite politische Karriere in Rom zu beginnen. Die Wahlkampagne „Emma for President“ scheiterte, die populäre Politikerin musste sich mit einem Posten als Vizepräsidentin im Senat begnügen.

Dass sie es nun in die Villa Farnesina – den Sitz des italienischen Außenministeriums – geschafft hat, ist eine späte Genugtuung. Ähnlich wie Joschka Fischer hat sich Emma Bonino von der gefürchteten Rebellin zur geachteten Diplomatin gewandelt. Einst wollte sie die Welt aus den Angeln heben – heute steht sie für Kontinuität. „Emma Courage“ will dafür sorgen, dass Europa heil aus der Krise kommt – auch die italienischen Radikalen sind bescheiden geworden. 

 

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