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(picture alliance) Entschlossen: Der konservative Parteichef Antonis Samaras in Athen

Pro-europäische Koalition - Ist Griechenland reformfähig?

Pro-europäische Kräfte haben die Wahl in Griechenland gewonnen – doch ihre Reformfähigkeit müssen sie erst noch unter Beweis stellen. Wie geht es jetzt in Athen weiter?

Er zeigt Entschlossenheit: Nach der Wahl in Griechenland versucht der konservative Parteichef Antonis Samaras in Athen eine pro-europäische Koalition zu schmieden. Leicht wird das nicht, doch eine stabile Regierung ist die Voraussetzung dafür, dass Europa den Griechen auch künftig beisteht bei der Bewältigung ihrer Schuldenkrise.

Wie geht Wahlsieger Samaras bei der Suche nach Partnern vor?

Für einen Wahlsieger wirkte der Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND) am Sonntagabend nicht gerade ausgelassen. Sein Lächeln vor den Fernsehkameras wirkte etwas gequält. Samaras hatte zwar gewonnen. Aber er weiß: Sein Sieg ist nur geborgt. Dass er bei dieser Wahl gegenüber der Abstimmung vom 6. Mai noch einmal 600 000 Stimmen hinzugewinnen konnte, verdankt er vor allem der Angst vieler Wähler vor Syriza-Chef Alexis Tsipras und dem befürchteten Verlust des Euro, falls der Radikallinke an die Macht gekommen wäre.

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Umso größer ist der Erfolgsdruck, unter dem Samaras jetzt steht. Noch am Wahlabend hatte Samaras davon gesprochen, er wolle jetzt möglichst schnell eine „Regierung der nationalen Rettung“ bilden. Am liebsten hätte Samaras sogar Tsipras mit ins Boot geholt – wohl wissend, dass der Syriza-Chef in den kommenden Monaten nicht nur Parlamentsreden halten wird. Er könnte seine Anhänger zu Zehntausenden mobilisieren und der Regierung mit Streiks und Protesten das Leben zur Hölle machen. Doch schon vor Beginn der Koalitionssondierungen winkte Tsipras ab. Damit ist die Idee einer großen Koalition vom Tisch.

Also muss sich Samaras jetzt andere Partner suchen. Am Montagabend signalisierte sein Wunschparnter Evangelos Venizelos bereits die Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Dessen sozialistische Pasok landete bei der Wahl abgeschlagen auf dem dritten Platz. Wenn es einen Verlierer dieser Doppelwahl gibt, heißt er Venizelos. Seiner Pasok sind seit 2009 mehr als 1,5 Millionen Wähler davongelaufen, die Partei hat zwei Drittel ihrer Stimmen verloren – die Quittung für zwei Jahre brutalen Sparkurs, der Griechenland in die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte und die Arbeitslosenquote auf den Rekordwert von 23 Prozent getrieben hat. Venizelos muss jetzt versuchen, die praktisch in Auflösung befindliche Partei aufzurichten. Ob es in dieser Situation hilfreich ist, wenn sich die Pasok erneut an einer Regierung beteiligt, ist strittig. Für einen solchen Schritt spricht die Staatsräson. Von Venizelos hängt es jetzt ab, ob Samaras seine parlamentarische Mehrheit zusammenbekommt. Scheitert er, drohen erneut Monate der politischen Lähmung und ein dritter Wahlgang. Das würde den sicheren Staatsbankrott bedeuten.

„Regierung jetzt!“ forderte am Montag das Athener Massenblatt „Ta Nea“ und erinnerte an „die Verantwortung der Parteien und ihrer Führer“. Er strebe eine Regierung „mit langem Atem“ an, sagte Samaras, als Staatspräsident Karolos Papoulias ihm am Montagmittag das Mandat erteilte, eine Regierungsbildung zu sondieren. Samaras möchte alles daransetzen, bereits als neuer Ministerpräsident am 28. Juni zum EU-Gipfel zu fliegen. Das wäre tatsächlich ein wichtiges Stabilitätssignal.

Was ist vom Chef der radikalen Linken Alexis Tsipras künftig zu erwarten?

So wie Alexis Tsipras am Sonntagabend auf dem Platz vor der Athener Akademie von seinen Anhängern gefeiert wurde, könnte man meinen, er hätte die Wahl gewonnen: Ein Meer von Fahnen begrüßte ihn, Sprechchöre schallten ihm entgegen. An seiner Seite steht Manolis Glezos, ein Urgestein der griechischen Linken. Als 18-Jähriger kletterte er in der Nacht zum 30. Mai 1941 auf die Akropolis, holte die dort von den deutschen Besatzern aufgezogene Hakenkreuzfahne ein und zog die griechische Nationalflagge auf. Seither ist Glezos für viele Griechen eine Ikone des Widerstandes. Hier der greise Nationalheld, dort sein 37-jähriger politischer Enkel, der neue Star der griechischen Linken. Nein, ein Verlierer ist dieser Tsipras nicht. Eher zweiter Sieger. Wer hätte für möglich gehalten, was ihm gelungen ist: bei den Wahlen vom Oktober 2009 bekam das von ihm geführte Bündnis der radikalen Linken (Syriza) knapp 316 000 Stimmen, jetzt waren es über 1,6 Millionen.

Tsipras hat die einstige Splitterpartei zu einem Sammelbecken des Protests gegen den Sparkurs gemacht. Dass es nicht für den Wahlsieg reichte, scheint ihn nicht sonderlich zu stören, zumal es sich im krisengeschüttelten Griechenland auf dem mit rotem Leder bezogenen Sessel des Oppositionsführers in der ersten Reihe des Plenarsaals erheblich bequemer sitzt als oben auf der harten Regierungsbank.

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Welches Signal geht von der Wahl an die Adresse der Europäer aus?

Einfach weitermachen wie bisher mit dem Sparkurs kann man nicht. Samaras bekannte sich zwar schon im vergangenen Herbst zu den Zielen des Konsolidierungs- und Reformprogramms. Er will aber seinen Partnern vor allem zweierlei abhandeln: mehr Zeit für die Umsetzung der Sparziele und Wachstumsimpulse für die griechische Wirtschaft, die seit Beginn der Krise bereits fast um ein Fünftel geschrumpft ist. Samaras wird seinen Partnern in Brüssel aber auch zu erklären versuchen, dass es inzwischen in Griechenland um viel mehr geht als Fiskalprobleme. Das Land droht seinen sozialen Zusammenhalt zu verlieren, das politische System gerät aus den Fugen. Schon im Frühjahr lieferten sich rechte und linke Schlägertrupps Straßenschlachten in Athen, die Polizei schaute zu. Nacht für Nacht machen schwarz gekleidete Ultra-Nationalisten in griechischen Städten Jagd auf dunkelhäutige Ausländer. Der Wahlerfolg der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte, die, wie schon Anfang Mai, am Sonntag erneut auf fast sieben Prozent kam und mit 18 Abgeordneten ins neue Parlament einzieht, ist ein alarmierendes Signal. Manche Kommentatoren warnen bereits vor „Weimarer Verhältnissen“ in Griechenland.

Giorgos Tzogopoulos vom Athener Thinktank Eliamep geht allerdings nicht davon aus, dass der Reformplan für Griechenland gestreckt oder gelockert werden kann. „Die entscheidende Frage besteht eher darin, ob die neue Regierung, sofern sie zustande kommt, bereit ist, die notwendigen Reformen in Angriff zu nehmen“, sagte Tzogopoulos dem Tagesspiegel. „Aber wenn sie sich dazu entschlossen zeigt, wird die Troika mehr Zeit zugestehen“, meint der Experte. In erster Linie geht es in seinen Augen um die „Verlässlichkeit“ einer neuen Regierung in Athen.

Wie stehen die Chancen Griechenlands für Entgegenkommen der EU?

Dem griechischen Wahlsieger Samaras ist vonseiten der europäischen Geldgeber am Montag signalisiert worden, wie klein der Spielraum für mögliche Änderungen am Sparprogramm ist. Im Umfeld von EU-Währungskommissar Olli Rehn wurde an Samaras’ Schreiben vom Februar erinnert, in dem dieser sich zur Umsetzung des Programms auch nach den Wahlen bekannte. „Es gibt keine Alternative zu diesem Programm“, hieß es ebenso strikt aus der EU-Kommission wie in Berliner Regierungskreisen: „Das Programm steht so, wie es vereinbart wurde.“ Ein Vertreter eines Eurozonenlandes sagte in Brüssel, es sei kaum zu vermitteln, dass man nun zum dritten Mal seiner jeweiligen Bevölkerung sage, dass die Griechen weniger, man selbst aber mehr machen müsse.

Dem Vernehmen nach hatten in der Eurogruppensitzung am Sonntagabend vor allem Deutschland und die Niederlande für eine harte Haltung gegenüber der neuen griechischen Regierung plädiert. Die Stellungnahme der 17 Finanzminister fällt dementsprechend deutlich härter aus als das gemeinsame Kommuniqué von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy, in dem davon die Rede ist, dass das im Februar gemeinsam verabschiedete Spar- und Reformprogramm lediglich die „Basis“ der weiteren Bemühungen sei. „Ich gehe davon aus, dass die Bedingungen gelockert werden“, sagte am Montag auch der EU-Botschafter eines Eurolandes dieser Zeitung.

Die Troika von Beamten der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds wird entsprechend flexibel sein, wenn sie sofort nach einer Regierungsbildung in Athen eintrifft. In der Brüsseler Kommission hieß es am Montag, auch dieser Besuch biete „die Gelegenheit für kleinere Anpassungen“; man könne „den Politikmix verändern, solange dies fiskalisch neutral geschieht“. Als Beispiel wird Irland genannt, wo die neu gewählte Regierung die zuvor ausgehandelte Senkung des Mindestlohns nicht mitmachen wollte, stattdessen aber an anderer Stelle sparen musste. Als mögliche Alternative wird auch diskutiert, die Steuerbelastung zu senken, wenn im Gegenzug beispielsweise der Militäretat gesenkt würde. Erleichterungen beim Zinssatz und der Laufzeit der europäischen Hilfskredite, die im Durchschnitt 15 Jahre beträgt, gelten dagegen als unwahrscheinlich, da dies bereits zwei Mal geschehen ist. Unklar ist weiterhin, ob eine zeitliche Streckung der Reformvorgaben möglich ist. Nicht verhandelbar ist aber auf jeden Fall, dass die Schuldenlast der Griechen bis 2020 auf 117 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung gedrückt werden soll. Eine Verschiebung von Reformmaßnahmen passt nicht in dieses Konzept.

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