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Islamischer Staat - Orient und Okzident haben einen gemeinsamen Feind

Egal, ob Ankara, Sharm el-Sheikh, St. Petersburg, Beirut oder Paris, dem sogenannten Islamischen Staat ist kein Ort zu weit und jedes Mittel recht. Seine Gegner sind Muslime, Christen, Juden oder Konfessionslose. Seine Ambitionen global

Autoreninfo

Martin Gehlen ist Journalist und berichtet aus der arabischen Welt.

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So herzbewegend die weltweite Anteilnahme, so grauenhaft das nächtliche Massaker des „Islamischen Staates“ in Paris. Doch diese Untaten stehen nicht allein. Dem Pariser Terror ging eine ganze Serie von Attentaten voraus, deren Horror für die betroffenen Nationen Türkei, Ägypten, Russland und Libanon genauso erschütternd war wie jetzt für Frankreich. Zu den Opfern gehörten Teilnehmer einer politischen Großkundgebung, Badeurlauber vom Roten Meer und abendliche Beter einer schiitischen Moschee.

Der „Islamische Staat“ ist keine religiöse Sekte und kein virtueller Fanatikerverbund. Er versteht sich als dschihadistisches Staatsprojekt, dessen Terrorradius sich inzwischen über Kontinente ausdehnt, und dessen Zellennetz wie ein Krebsgeschwulst metastasiert. Ihre Anhänger träumen von einer islamischen Utopie, wie sie angeblich zu den goldenen Zeiten des Propheten Mohammed existierte. Egal ob Ankara, Sharm el-Sheikh, St. Petersburg, Beirut oder Paris: Ihnen ist mittlerweile kein Ort zu weit und jedes Mittel recht. Die Kalifatskrieger haben globale Ambitionen, die Bekennerschreiben im Internet verfassen sie in sieben Sprachen. Mit ihren Kalaschnikows und Sprengstoffgürteln nehmen sie alle gleichermaßen ins Visier – moderate Mitmuslime und religiöse Minderheiten, staatliche Institutionen und plurale Gesellschaften. Ihre militärischen Fähigkeiten sind, so befürchten Terrorfachleute, denen von Eliteeinheiten mittlerweile ebenbürtig. Und der apokalyptische Todeskult macht ihre Täter bis zum letzten Atemzug unfassbar kaltblütig und monströs.

Keine gemeinsame Strategie gegen den IS
 

Besiegen lässt sich das „Islamische Kalifat“ nur, wenn seine dschihadistische Staatsbasis zerstört, sein mesopotamisches Herrschaftsgebiet erobert und sein Steinzeit-Islam ideologisch austrocknet wird. Doch das ist leichter gesagt als getan. In den IS-Kernlanden Syrien und Irak fehlen dafür fast alle Voraussetzungen. Die irakische Armee ist nur noch ein hohles Gerippe. Assads syrische Armee lässt die Dschihadisten weitgehend unbehelligt, weil diese ihnen andere Rebellengegner vom Hals halten. Gleichzeitig wird die militärische Lastenverteilung in der nahöstlichen Region immer skandalöser.

Wirklich Krieg gegen den IS führen mittlerweile nur noch amerikanische Kampfjets in der Luft und kurdische Truppen am Boden. Frankreich und Australien sind symbolisch dabei. Russland und der Iran verteidigen vor allem ihren Schlächter-Schützling Baschar al-Assad. Die anderen Regionalmächte dagegen halten sich weitgehend heraus. Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate konzentrieren sich auf ihren Bombenfeldzug im Jemen. Die Türkei greift lieber PKK-Stellungen an. Die von Ankara versprochene Pufferzone im syrisch-türkischen Grenzgebiet, die die letzte große Nachschubtrasse der Gotteskrieger kappen könnte, lässt dagegen weiter auf sich warten.

Und so erweist sich die vor gut einem Jahr ausgerufene internationale Strategie als zunehmend wirkungslos, den IS von außen und aus der Luft zu schwächen, seine Einnahmen aus dem Öl- und Antikenhandel zu dezimieren sowie den Zustrom von ausländischen Dschihadisten zu erschweren. Spätestens seit der Mordnacht von Paris dürfte der zivilen Welt in Ost und West, in Orient und Okzident klar geworden sein, dass sie dieser Mixtur aus religiöser Verblendung, globalem Zivilisationshass und militärischer Präzision weitaus härter entgegentreten muss als bisher. Bundespräsident Joachim Gauck spricht sogar von einer neuen Art von Krieg. Von dessen Dimensionen erhielt die Menschheit in den vergangenen Wochen eine schreckliche Vorahnung.

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