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(picture alliance) Tod durch Giftspritze ist die häufigste Hinrichtungsmethode in den USA

USA und Todesstrafe - Im Land der unbegrenzten Doppelmoral

Die USA rangieren bei der Vollstreckung der Todesstrafe weltweit auf Platz 5. Mehr Menschen werden nur in China, dem Iran, Nordkorea und Jemen hingerichtet. Mit der weltweit kritisierten Hinrichtung des Afro-Amerikaners Troy Davis hat das Mutterland der modernen Demokratie einmal mehr bewiesen, wie brüchig sein Rechtsstaat ist.

Trotz weltweiter Proteste wurde Ende September der Afro-Amerikaner Troy Davis im US-Bundesstaat Georgia hingerichtet. Der 42-Jährige hatte zuvor mehr als 20 Jahre im Todestrakt gesessen für eine Tat, die er sehr wahrscheinlich nie begangen hat.

Davis war vor zwei Jahrzehnten angeklagt worden, einen weißen Polizisten erschossen zu haben. Die Justiz stützte sich bei ihrem Urteilsspruch damals jedoch auf eine äußerst dünne Beweislage. Eine Tatwaffe wurde nie gefunden, das Urteil der Jury beruhte lediglich auf Augenzeugenberichten, wovon der Großteil mutmaßlich unter polizeilichem Druck entstand.

Fehlurteile sind leider keine Ausnahmeerscheinung in den USA. Folgt man den von Amnesty International ermittelten Zahlen, dann wurden allein seit 1973 122 Menschen wegen erwiesener Unschuld oder erheblichen Zweifeln an ihrer Schuld aus den Todestrakten entlassen. Wie viele Menschen zu Unrecht hingerichtet wurden, weiß niemand.

Der Fall Davis wirft ganz grundsätzliche Fragen um den Zustand des Rechtsstaates der USA auf. Und es ist kein Zufall, dass Troy Davis als Schwarzer den Tod durch Exekution für den angeblichen Mord an einem Weißen fand. Laut dem „Death Penalty Information Center“ werden fast vier Mal so viele Schwarze hingerichtet wie Weiße.  Die Menschenrechtsaktivistin Jen Marlow ergänzt: „Rassismus spiegelt sich nicht so sehr in den Rassen der Menschen wieder, die im Todestrakt sitzen, sondern vielmehr in der Rasse der Opfer. Es ist viel wahrscheinlicher, dass sich im Falle eines weißen Opfers der Mörder im Todestrakt wiederfinden wird.“

Rassismus hat Tradition in Georgia, und leider umgibt ihn meist keine Hollywoodromantik à la „Vom Winde verweht“. Die großen Baumwoll-und Tabakplantagen in den Südstaaten verhalfen den O’Haras seiner Zeit dank billiger Sklavenarbeit zu immensem Reichtum. Die Konföderierten Staaten von Amerika verteidigten noch im Bürgerkrieg  ihre Sklavenhalterpolitik bis aufs Blut. Auf den verlorenen Bürgerkrieg und das Ende der Sklaverei folgten Jahrzehnte rassischer Trennung. Nicht umsonst ist Georgia die Geburtsstätte der Gallionsfigur der Afro-Amerikanischen Befreiungsbewegung Martin Luther King.

Im Juli 1964 wurde mit der Unterzeichnung des Civil Rights Act of 1964 durch Präsident Johnson die Rassentrennung zwar offiziell aufgehoben, doch aus den Köpfen vieler Südstaaten-Amerikaner ist sie nicht verschwunden.

Vielerorts weht hier noch heute die Flagge der Confederate States von den Dächern, selbst an manch offiziellen Gebäuden prangert sie, als sei man sich keiner Schuld bewusst. 2009 berichtete die New York Times sogar von rassisch getrennten High-School-Abschlussbällen in Georgia’s Montgomery County. Zwar drücken Weiße und Schwarze gemeinsam die Schulbank, doch ihren Abschlussball verbringen sie getrennt: „White-folks prom“ vs. „Black-folks prom“ heißt das im Volksmund.

Der grobe Umgang mit Minderheiten in den USA manifestiert sich auch in anderen Fällen um die Todesstrafe. Geistig Behinderte werden trotz Verstoß gegen die Menschenrechte nicht von der Todesstrafe ausgeschlossen. Erst im vergangenen Jahr wurde im Bundesstaat Virginia die wegen Mordes verurteilte Teresa Lewis hingerichtet, obwohl sie als geistig minderbemittelt galt.

Menschenrechtlich stößt zudem besonders die Tatsache sauer auf, dass bis März 2005 Jugendliche im Land of the Free nicht sicher vor dem Todestrakt waren. Insgesamt wurden 19 zur Tatzeit Minderjährige in den USA hingerichtet. Laut Amnesty International sind seit 1990 weltweit nur neun Staaten bekannt geworden, die straffällige Jugendliche exekutierten: China, Iran, Jemen, Nigeria, DR Kongo, Pakistan, Saudi-Arabien, Sudan und die USA.

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Dass viele Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen trotz UN Menschenrechtscharta die Menschenrechte mit Füßen treten ist ein offenes Geheimnis. Doch erstens macht es das nicht weniger verwerflich und zweitens sind die USA nicht irgendein Mitgliedsstaat. Die USA sind eine der Gründungsparteien der UNO und haben eine Vorreiterrolle in Sachen Demokratie und Menschenrechten zu erfüllen. Nicht umsonst liegt der Hauptsitz der Vereinten Nationen in New York.

Doch es ist ein weiter Weg von New York nach Georgia. Die Todesstrafe ist in den USA eine Sache der Bundesstaaten, in 13 Staaten ist sie abgeschafft worden, darunter auch New York. Die meisten Todesurteile werden in den Südstaaten vollstreckt. Texas ist hierbei absoluter Spitzenreiter. Seit 1976 wurden hier 475 Menschen exekutiert. Virginia liegt mit 109 Hingerichteten auf Platz zwei, Oklahoma belegt mit 96 den dritten Platz. Georgia schafft es im Exekutionsranking auf Rang sieben mit 52 Hinrichtungen seit 1976.

Auch ohne UN-Charta, bietet die Mutter aller modernen demokratischen Verfassungen, die Bill of Rights, eigentlich genug Stoff zur Delegitimierung der Todesstrafe. So heißt es im achten Zusatzartikel der Bill of Rights, besonders grausame und ungewöhnliche Strafen seien nicht anzuwenden. Der Wortlaut ist größtenteils einer  Klausel der englischen Bill of Rights entnommen, die kurioserweise zustande kam, als es zu einer Reihe von Hinrichtungen Unschuldiger gekommen war, die vom Geistlichen Titus Oates fälschlicherweise beschuldigt worden waren, einen Mord am König zu planen.

Die Todesstrafe ist offenbar ein Mitbringsel aus der alten Welt, wovon sich die Neue Welt nicht lösen möchte. Zugleich sind die Schreie nach der Todesstrafe dort am lautesten, wo die christliche Moral am lautesten gepredigt wird. Geographisch liegen die Gebiete mit den meisten Exekutionen vor allem im sogenannten Bible Belt, dem Bibel-Gürtel, der vor allem die Südstaaten umschließt, von Texas bis Kansas im Westen und Virginia bis Florida im Osten. Diese Staaten sind politisch vorwiegend republikanisch-konservativ geprägt. Die Tea-Party-Bewegung findet hier ihre Anhänger und Popsternchen, die sich enthaltsam geben und keinen Sex vor der Ehe propagieren, verkaufen hier ihre Platten.

Die meisten Amerikaner befürworten die Todesstrafe. Eine Gallup-Umfrage vom letzten Oktober ergab, dass 64 Prozent der US-Amerikaner die Todesstrafe für wegen Mordes Verurteilte, gutheißen. Dabei dient die Todesstrafe in den USA nicht einmal der Abschreckung. Laut Amnesty International haben die Bundesstaaten in den USA, die weiterhin die Todesstrafe praktizierten, eine höhere Mordraten als die übrigen. In Kanada sei nach Abschaffung der Todesstrafe die Mordrate sogar gesunken.

Mit der Todesstrafe lassen sich vor allem im Bible Belt Wählerstimmen fangen. Der aktuelle Gouverneur von Texas und Favorit der Republikaner im Wahlkampf, Rick Perry, erntete mit seinem Hinrichtungsrekord bei einer Kandidaten-Debatte der Republikaner im Fernsehsender NBC sogar mächtig Jubel. In seiner Amtszeit wurden so viele Menschen exekutiert wie in sonst keinem Bundesstaat, insgesamt 234 Todeszellen-Insassen in nur zehn Jahren.

Nichts zu spüren von Christi Nächstenliebe und Vergebung der Sünden, stattdessen Hass und Vergeltung. Die Todesstrafe bedient die niedersten Instinkte des Menschen, dem Lüstern nach Rache: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Die Angehörigen der Opfer und des Täters dürfen den Hinrichtungen beiwohnen und dem Verurteilten bei seinem letzten Atemzug zuschauen. Sie erhoffen sich davon eine Art Katharsis. Dass diese Christen zugleich am meisten gegen Islamisten und die Scharia wettern, ist geradezu ironisch. So groß sind die Unterschiede in ihren moralischen Wertvorstellungen offenbar nicht.

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