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(picture alliance)

Wahlfaktor „Sandy“ - Im Auge des Hurrikans

Welchen Einfluss hat Hurrikan "Sandy" auf die bevorstehende Präsidentschaftswahl in den USA? Während sich Barack Obama als krisenfest zeigt, sucht Mitt Romney noch seine Rolle. US-Korrespondent Malte Lehming ist vor Ort

Noch 7 Tage – am 6. November wählen die USA ihren Präsidenten: Cicero-Online-Korrespondent Malte Lehming berichtet zu diesem Anlass in einem Countdown über besondere Ereignisse und Kuriositäten während des Wahlkampfs.

Es war alles geplant, bis ins Detail. Es war berechnet, bis auf die zweite Stelle hinter dem Komma. Die Wahlkampfmaschinerie lief mit der Präzision eines Uhrwerks und der Kraft eines Atomkraftwerks. Jetzt ging es nur noch um die jungen, verheirateten Frauen in Franklin County im Bundesstaat Ohio. Und um die hispanischen Mittelständler in Hillsborough County in Florida. Und um die Stimmen der Militärs im Süden Virginias.

Umfragen heizten die täglichen Strategiedebatten zusätzlich an: Kann Mitt Romney, um Präsident zu werden, Ohio verlieren, wenn er statt dessen in Florida und Wisconsin gewinnt? Oder wird diesmal Colorado den Ausschlag bei der Wahl geben? Es waren nur noch wenige Tage bis zur Entscheidung. Jetzt keinen Fehler mehr machen! Jetzt bloß nichts mehr dem Zufall überlassen!

Doch dann kam Sandy, der Sturm, der in erster Linie Millionen von Menschen Zerstörung, Leid und Stromausfall brachte, der aber auch die Planungen der beiden Kandidaten gehörig durcheinander wirbelte. Plötzlich sahen sich beide aufs weite Feld der Improvisationsnotwendigkeit gestoßen. Wie viel Staatsmann muss, wie viel Wahlkampf darf noch sein? Eine schwierige, eine heikle Balance.

Barack Obama schien zunächst im Vorteil. In Zeiten der Not goutiert das Volk den Macher. Deutsche kennen den Effekt: Ob Helmut Schmidt in Hamburg oder Gerhard Schröder in der Oderflut – bei Katastrophen zeigt sich der wahre Charakter. Obama sagte umgehend alle Wahlkampftermine ab, rief zu einer Krisensitzung ins Weiße Haus und wandte sich an die Nation. Der Präsident war wieder da. Als er gefragt wurde, welche Auswirkungen Sandy auf die Wahl haben werde, antwortete er: „Unsere oberste Priorität ist es, Menschenleben zu retten.“

Für Romney war der Umgang mit dem Hurrikan komplizierter. Er durfte nicht in die Präsidentenrolle schlüpfen, das wäre anmaßend gewesen. Er durfte nicht versuchen, den obersten Trostspender zu spielen. Das hätte arrogant gewirkt. Aber ganz abtauchen, so kurz vor der Wahl? Also zögerte der Herausforderer, sagte erst am späten Montagmorgen alle Wahlkampftermine für Montag und Dienstag ab. Sehr spät, monierten Kritiker. Gerade rechtzeitig, meinten seine Anhänger.

Abgesehen von Stilfragen tat sich umgehend allerdings ein politisches Problem für den Republikaner auf. Romney propagiert den schlanken Staat. Doch wie schlank darf ein Staat bei einer Naturkatastrophe sein? Sowohl die „New York Times“ als auch die „Washington Post“ veröffentlichten am Dienstag große Meinungsbeiträge, in denen Romney wegen seiner Pläne für eine Entstaatlichung der Katastrophenhilfe heftig angegriffen wird. Ist die Bundsregierung wirklich immer so groß und böse, wie Konservative meinen?

Die Bilder wird zweifellos Präsident Obama in den kommenden Tagen beherrschen. Aber ob ihm das entscheidend nützt? Die Sturmfolgen sind in mindestens drei der neun Swingstates zu spüren: Virginia (stark), North Carolina (stark), Ohio (nicht so stark). Die Frühwähler, die Obama intensiv mobilisierte, dürften nun andere Sorgen haben, zumal unklar ist, welche Wahllokale offen und operabel sind.

Sollten die Stromausfälle mehrere Tage lang dauern, verstärkt durch Schneestürme, wird das Wahlverhalten am nächsten Dienstag in den betroffenen Regionen so unberechenbar, wie es die Umfragen schon jetzt geworden sind. Denn ohne Strom und Telefonleitung erhalten die Umfrageinstitute keine zuverlässigen Daten mehr. Mit anderen Worten: Auch den beiden politischen Lagern fehlen in den verbleibenden Tagen die für einen effektiven Wahlkampfendspurt notwendigen Informationen.

Einen Minitrost freilich gibt es für Romney: Vor fünf Jahren ergab eine Studie im „Journal of Politics“, dass vom schlechten Wetter am Wahltag normalerweise die Republikaner profitieren. Und vor acht Jahren fanden Wissenschaftler heraus, dass Wähler im Regelfall die amtierende Regierung für jedes Unheil verantwortlich machen, „darunter Dürre, Überflutungen und Hai-Attacken“, wie die „Washington Post“ schreibt.

Sandy und die Wahl: Sicher ist nur, dass jetzt gar nichts mehr sicher ist, nicht einmal mehr die Unsicherheit.

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