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(picture alliance) Investitionen auf Pump: „Hollande hat überall Alliierte“

Begehrlichkeiten in Frankreich - „Die EU hat noch keine Schulden“

In Frankreich gibt es schon Vorschläge, für die Finanzierung von Hollandes Wachstumsplänen den EU-Haushalt anzuzapfen, erklärt die Frankreich-Expertin Claire Demesmay im CICERO-ONLINE-Interview. Zugleich sei Deutschlands Spielraum mit der Wahl des neuen Staatspräsidenten eng geworden

Frau Demesmay, kaum zum neuen Präsidenten gewählt, wandte sich der Sozialist François Hollande in seiner allerersten Rede schon an Deutschland und forderte mehr Wachstum in Europa. War das eine Kampfansage?
Er musste das so sagen, schon weil es ein zentraler Punkt in seinem Wahlkampf war. Als frisch Gewählter kann er da jetzt nicht zurückrudern. Ich glaube, dass er die Forderung auch in Deutschland gut verkaufen kann. Die Frage ist schließlich nicht: Wollen wir Wachstum? Die Frage ist, wie. Alle wollen Wachstum.

Deutschland hat es schon.
Ja, aber Deutschland ist Exportland und braucht das Wachstum in den anderen europäischen Ländern. Außerdem ist es für die Stabilität der Eurozone extrem wichtig, dass alle Wachstum haben – oder wenigstens, dass die Rezession ein Ende hat.

Wird Hollande den Fiskalpakt weiterhin infrage stellen?
Das glaube ich nicht. Ich denke, er sagt das, um sich Spielraum für die Verhandlungen zu erkaufen. Er wird den Stabilitätsvertrag ratifizieren, wenn er dafür mehr Unterstützung beim Wachstum bekommt. Das ist ein klassisches deutsch-französisches Pokerspiel. Hollande ist für Projektbonds – Merkel auf gar keinen Fall. Auch Hollandes Forderung einer stärkeren Europäischen Zentralbank – dass die auch Geld an die Staaten, nicht nur an die Banken, ausleihen kann,– ist für Deutschland nicht zu akzeptieren. Aber es gibt andere Punkte, auf die sich beide einigen könnten, wie etwa die Rolle der europäischen Investitionsbank. Merkel hat da schon Signale in diese Richtung gegeben.

Und wenn Deutschland trotzdem nicht weiter gehen will?
Hollande hat zwei Argumente gegenüber Deutschland. Das wirtschaftliche ist klar: Er will eine Rezession verhindern. Auf politischer Ebene geht das aber viel weiter. Hollande wird auf den massiven Widerstand der Völker Europas gegen die Sparpolitik hinweisen – und der kann für die Demokratie gefährlich werden. In Frankreich erhielten die Protestparteien 30 Prozent der Stimmen. Und noch drastischer ist das Wahlergebnis in Griechenland. Ein Fiskalpakt ist dort nur möglich, wenn man nebenher auch noch etwas für das Wachstum macht. Somit kann Hollande bei seinem Eurokurs mit der Unterstützung der anderen Länder rechnen. Er hat überall Alliierte.

Ist Deutschland in Europa isoliert?
Der Spielraum ist in der Tat sehr eng geworden. Aber nicht nur für Deutschland, auch für Frankreich. Die Kassen sind leer. Die Finanzmärkte erwarten sehr schnelle Maßnahmen – und zwar die richtigen.

Aber Investitionen funktionieren nur, wenn man staatliches Geld in die Hand nimmt – und damit Schulden macht.
Ja, das stimmt. Aber es gibt nicht nur in Staatshaushalten Geld, sondern auch in der Europäischen Union. Das ist ein Argument, das man in Frankreich immer wieder hört: Die EU hat noch keine Schulden. Sie ist schuldenneutral – hier wäre also ein großes Potenzial. Viele französische Wirtschaftswissenschaftler schlagen vor, diese Investitionen mit EU-Mitteln zu finanzieren.

Das wäre für Deutschland ein Horrorszenario.
Genau. Deutschland sieht strukturelle Reformen als Voraussetzung von Wachstum, während Frankreich eher die Rolle von öffentlichen Ausgaben dabei betont. Und das ist der Punkt, wo es zwischen beiden Ländern schwierig werden kann. Die französischen Gewerkschaften akzeptieren keine weiteren Reformen.

Wie will Hollande damit umgehen?
Die Gewerkschaften haben Hollande unterstützt, weil er Sarkozys Reformkurs kritisiert hat. Dabei ist der unvermeidlich – denn Frankreich hat ein großes Problem mit der Wettbewerbsfähigkeit seiner Unternehmen. Da muss sehr viel gemacht werden. Es wird für Hollande eine große Herausforderung, diese schmerzhaften Reformen anzugehen. Ob und wie stark er sie anpackt, wird auch von den Parlamentswahlen im Juni abhängen.

Claire Demesmay leitet das Frankreich-Programm der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Sie studierte politische Philosophie an den Universitäten Dijon und Paris 4-Sorbonne und promovierte in Berlin.

Das Interview führte Petra Sorge. Fotos: picture alliance, DGAP

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