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Ukraine-Krieg - Nur mit Waffen verschafft man sich Respekt

Angela Merkel handelt im Konflikt mit Russland defensiv und pragmatisch. Zum konsequenten letzten Schritt kann sie sich nicht durchringen: Mit Defensivwaffen ihrer Diplomatie Stärke zu verleihen, beobachtet der Potsdamer Politologe Maximilian Terhalle

Porträt Maximilian Terhalle

Autoreninfo

Maximilian Terhalle ist Politikwissenschaftler und derzeit Visiting Professor of Strategic Studies am King's College in London. Zu seinen Veröffentlichungen gehören unter anderem „The Transition of Global Order” (Palgrave 2015) und „The Munich Consensus and the Purpose of German Power” in Survival (2016).

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Vor einem Jahr forderte der Bundespräsident in München die deutsche Außenpolitik zu intensiverem Engagement in der Weltpolitik auf. Am selben Ort hat am vergangenen Wochenende die Kanzlerin das nachgeholt, was Gauck ausgelassen hat. Nämlich die Grundvoraussetzungen und Grenzen eines solchen Engagements zu benennen. Und dies ungewollt.

Ihr Realismus lässt zum Kern der Überzeugungen deutscher Außenpolitik durchblicken. Zwei Bemerkungen stachen hervor. Zum einen sagte sie, der Grund für den Nicht-Einmarsch der Amerikaner beim Mauerbau 1961 sei kalter Realismus gewesen. Die Zementierung der Teilung Deutschlands wurde hingenommen, um einen Krieg der Supermächten zu verhindern. Zum anderen betonte sie, dass diese Zurückhaltung 30 Jahre später dennoch zur Wiedervereinigung geführt habe.

Nun ist es zunächst immer vorteilhaft, Außenpolitik mit kaltem Blick für das Machbare zu betrachten. Etwas viel Schwierigeres ist es, Analogien zur politischen Rechtfertigung des eigenen Handelns heranzuziehen. Die Frage im Ukraine-Konflikt ist deshalb: Sind die Situationen hinreichend ähnlich und ist die Schlussfolgerung der Analogie richtig? In den beiden von Merkel genannten Fällen bleiben erhebliche Zweifel – trotz ihres Realismus.

Der Blick auf den Kalten Krieg verzerrt die Realität
 

Zum ersten: Die Ukraine sei keinen Krieg wert. Das übergeordnete Verhältnis zu Russland sei wichtiger. Aber lässt sich dies wirklich aus dem Nicht-Einmarsch von 1961 folgern? Denn im gegenwärtigen Konflikt gibt es nicht zwei sich ideologisch und nuklear zutiefst feindlich gesonnene Mächte. Weder starrt Russland auf den roten Knopf, noch hat Deutschland einen solchen überhaupt. Die Ukraine mag östlich an NATO und EU angrenzen. Aber sie doch nicht geteilt in zwei Allianzbündnisse.

Zum zweiten: Weil der Siegeszug freiheitlich-kapitalistischer Ideen letztlich unaufhaltbar sei, werde auch die Ukraine (Russland?) in circa 30 Jahren dem Westen angehören. Nun, ob der liberale Optimismus eines solch‘ fröhlichen End-of-history-Determinismus analog zutreffen wird, wissen wir nicht. Vielleicht. Aber während die Zurückhaltung 1961 damals angemessen war, um einen Weltkrieg zu verhindern, bleibt fraglich, ob mangels dieser Grundvoraussetzungen heute analoge Zurückhaltung sich möglicherweise ins Gegenteil verkehrt. Der Kontext ist entscheidend, will man das Prinzip „lessons learned“ anwenden – und der ist heute fundamental anders.

So gesehen verzerrt der Blick auf den Kalten Krieg das Vorhandensein von heute tatsächlich vorhandenen Handlungsspielräumen und -optionen aus westlicher Sicht. Damit scheint Frau Merkels Realismus in ungewöhnlich festen Geschichtsbildern verankert zu sein. Ihr Analogieschluss nimmt ihrem (Macht-)Pragmatismus die Flexibilität, wesentliche Unterschiede zwischen 1961 und 2015 zu erkennen.

Dass ihre Analogien unmittelbar in ihre Außenpolitik einwirken, lässt ihre dritte Bemerkung vermuten. Präventiv an die USA gewandt, hob sie hervor, dass sie keine (realistische) Möglichkeit sehe, Putins militärischem Übergewicht in der Ostukraine effektiv zu begegnen. Putin, für den Völkerrecht Machtpolitik ist, wäre nicht der selbst ernannte Rächer russischer Geschichte, hätte er nicht dafür gesorgt, dass die russisch besetzten Teile der Ostukraine nicht mehr zu nehmen sind.

Wer militärisches Handeln ausschließt, entzieht der Verhandlungsposition die Stärke
 

Lässt man für einen Moment die – berechtigten – Sorgen der Osteuropäer beiseite, dann sollte der kühle Blick jedoch zumindest den Zusammenhang zwischen militärischen Mitteln und der als „unverantwortlich“ (Steinmeier) gebrandmarkten Eskalationsrhetorik aufhellen. Denn militärische Instrumente dienen zwei Zielen: Erstens durch Defensivwaffen der Eindämmung des Putin’schen fait accompli und – dadurch – zweitens der psychologischen Stärkung und Kohäsion des eigenen Lagers im Angesicht einer ausgreifenden Aggression. Westliche Diplomatie gewönne dadurch Respekt (den Putin ihrer Dekadenz wegen nicht zollt) und würde glaubwürdig.

Wer diese zentrale Komponente der Verhandlungen aber negiert und dem Gegenüber kontinuierlich erklärt, man schließe militärisches Handeln aus, der entzieht seiner Verhandlungsposition Stärke. Diese wiederum ergibt sich aus der wohl kalkulierten Kombination von politischen Verhandlungen und dem jederzeit erkennbaren militärischen Willen, bereits während der Verhandlungen für ein mögliches Scheitern defensiv gewappnet zu sein. Damit kann man der Gegenseite im Vorhinein signalisieren, dass eine Verschleppung des diplomatischen Prozesses gleich wie fortgeführte Aggression auf massiven Widerstand treffen. Diese Logik war es, die wesentlich zur Erschütterung der damaligen Sowjetunion geführt hat, nicht der unwiderstehliche Freiheitsdrang der Russen. Auch hat erst die materielle Korrosion Moskaus die Bürgerbewegungen der DDR keimen lassen.

Die Kanzlerin zeigte sich „hundertprozentig überzeugt, dass wir am Ende siegen werden“. Diplomatischer Erfolg und damit ein Ende oder zumindest die Eindämmung russischer Expansion werden aber nicht 30 Jahre auf sich warten lassen dürfen. Putin wird nicht nachgeben bei seinen Versuchen, die souveräne Ukraine zu unterminieren. Das Geschäft ist ihm bestens vertraut.

Vor Waffenlieferungen bleibt Kontensperrung als letztes Mittel
 

Stellt sich der Erfolg nicht ein, bleibt Putins Haltung mithin faktisch unverändert, dann kann Merkel dem nichts mehr entgegensetzen. Dies wird ihre Effektivität infrage stellen. Putin weiß wohl, dass Deutschland und die USA grundsätzlich andere Auffassungen von und materielle Kapazitäten für Diplomatie haben. Dass er Merkel und Hollande dennoch nicht höchst konstruktiv am Samstag begegnete, sondern sich am Mittwoch in Minsk nur unter Vorbedingungen treffen will, zeigt, wie wenig von ihm zu erwarten ist. Ob Putin damit die ersehnte Augenhöhe mit Amerika erlangt, bleibt fraglich. Vielmehr wird er zusehen müssen, wie Amerika Poroschenko militärisch aufrüstet. Denn nach der Lesart Washingtons kann Russland – wie einst die Sowjetunion – die materielle Auseinandersetzung nicht durchhalten. Und China wird seinen Aufstieg um Russlands willen nicht opfern, BRIC hin oder her.

Somit hat die Münchner Rede der Kanzlerin die von Gauck nicht benannten Grenzen der angemahnten deutschen Verantwortung bezeichnet. Es sind diejenigen einer internationalen Politik, deren außereuropäische Anarchie die Trennung von Diplomatie und militärischen Mitteln für eine Anomalie hält. Die Bundeskanzlerin sieht dies durchaus, will (und kann materiell) aber nicht die Schlussfolgerungen hieraus ziehen.

Damit die Zersetzungsstrategie Putins gegenüber Merkel und Obama nicht aufgeht, bliebe allerdings ein letztes Mittel, bevor Defensivwaffen in großem Umfang geliefert werden: die Androhung des Ausschlusses Russlands aus dem SWIFT-Abkommen.

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