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(picture alliance) Romney war komplett überrascht, Obama gewann die Oberhand

Kandidaten-Duell - Hat Obama etwa gelogen?

Die beiden sollten über Außenpolitik diskutieren, vor allem aber ging es um Libyen und den Anschlag auf die US-Botschaft. Beim letzten Mal lag Romney vorn, nun siegte Obama. Weil er sich offenbar die Wahrheit zurechtbog

Ach, es könnte alles so einfach sein. In einer klaren, übersichtlichen Welt hätte der Abend an der Hofstra University in Hampstead auf Long Island einen Anfang und ein Ende. Das zweite TV-Duell zwischen Barack Obama und Mitt Romney wäre reduziert auf 90 Minuten, auf eine intensive Debatte, auf einen aggressiven, schlagfertigen Präsidenten und einen in die Enge gedrängten Herausforderer. Und es gäbe einen Sieger (Obama) und einen Verlierer (Romney).

Wenn da nur nicht die Sache mit Libyen wäre!

Diese Sache ist kompliziert, aber wichtig, und muss der Reihe nach erzählt werden. Am 11. September 2012, dem Jahrestag der Al-Qaida-Terrorangriffe auf New York und Washington D.C., stürmten schwer bewaffnete Männer das US-Konsulat in der libyschen Hafenstadt Bengasi. Sie ermordeten vier Amerikaner, darunter den Botschafter Christopher Stevens.

Die Angreifer waren gut organisiert und vorbereitet. Der Ablauf der Ereignisse in dieser Nacht sprach eindeutig dagegen, dass die Aktion ein spontaner gewaltsamer Protest gegen das Youtube-Video „The Innocence of Muslims“ war. Auch der Vorsitzende des Geheimdienstausschusses im Repräsentantenhaus, Mike Rogers, vermutete daher umgehend einen terroristischen Hintergrund. Der Angriff trage klar die Handschrift von Al Qaida, sagte er. „Seit Monaten haben wir beobachtet, wie Al Qaida nach Zielen Ausschau gehalten hat, die den Westen treffen.“ Dafür spreche ebenfalls, dass der derzeitige Anführer von Al Qaida, Aiman al-Sawahiri, kurz zuvor dazu aufgerufen hatte, die Tötung des Top-Terroristen Al-Libi zu rächen, der bei einem amerikanischen Drohnenangriff ums Leben gekommen war.

Doch die Obama-Administration schloss sich der Terror-These nicht an. Statt dessen verwies sie auf laufende Ermittlungen und antiamerikanische Ressentiments in der muslimischen Welt nach Bekanntwerden des Youtube-Videos. Das wiederum erzürnte die Republikaner. Sie warfen dem Präsidenten, Außenministerin Hillary Clinton und der amerikanischen UN-Botschafterin Susan Rice Verschleierung vor. Das Thema Bengasi kochte hoch und höher.

Vor diesem Hintergrund erhielt die Libyen-Frage aus dem Publikum, kurz vor Ende der Debatte, eine besondere Brisanz. Ob es richtig sei, wurde Obama gefragt, dass zusätzliche Sicherheitsbeamte für das Konsulat in Bengasi nicht genehmigt worden seien. Obama weicht inhaltlich aus, nutzt seine Antwort aber zu einem seiner vielen Vorhaltungen an die Adresse Romneys. Der würde die Tragödie politisieren. Und dann folgt der Satz, der wohl überlegt, genau kalkuliert und strategisch geplant worden war. Vor laufender Kamera und einem Millionenpublikum behauptet der amtierende Präsident, bereits am Folgetag im Rosengarten des Weißen Hauses von einem Terrorangriff gesprochen zu haben. Wie es scheint, zerplatzt in diesem Moment die Libyen-Blase der Konservativen mit einem lauten Knall.

Seite 2: Romney wird ausgezählt

Romney guckt entsprechend verdattert. Ob er sich da verhört habe, will er von Obama wissen. Der verweist ihn triumphierend auf das Manuskript der Rede. Romney ist immer noch verwirrt und wiederholt, was er schon zigmal in seinen Wahlkampfreden gesagt hatte: „Der Präsident hat 14 Tage gebraucht, bis er von einem Terroranschlag sprach.“ Doch CNN-Moderatorin Candy Crowley weist Romney zurecht. Obama habe in der Tat bereits am 12. September von einem „Terrorakt“ gesprochen. Romney kann nur noch erwidern: „Gut, dass wir das im Protokoll haben.“ Dann wird er stehend ausgezählt.

In jener klaren, übersichtlichen Welt, in der die TV-Debatte einen Anfang und ein Ende hat, verlässt Obama als strahlender Sieger das Feld. Die Schlappe aus der ersten Runde in Denver hat er wettgemacht, seinen Kontrahenten mehr oder weniger locker in die Tasche gesteckt.

Aber jede Debatte kennt ein Erwachen. Spätestens am Tag danach werden beide Seiten an ihren Worten gemessen. Obama ist Präsident und Oberkommandierender der Streitkräfte. Wenn er, vorbereitet und gebrieft, öffentlich behauptet, bereits am 12. September die Erstürmung des amerikanischen Konsulats und Ermordung des US-Botschafters einen „Terrorakt“ genannt zu haben, muss das stimmen. Selbst Ambiguitäten müssen ausgeschlossen sein.

Obamas Rede an diesem Tag lässt sich nachlesen. Allerdings hält sie nicht, was er verspricht. In der ersten Hälfte geht der Präsident auf die Ereignisse in Bengasi ein. Kein Wort von Terror. In der zweiten Hälfte redet Obama über den 11. September 2001 und Amerikas Antiterrorkampf im allgemeinen. Allein in diesem Zusammenhang sagt er: “No acts of terror will ever shake the resolve of this great nation, alter that character, or eclipse the light of the values that we stand for.” (Keine Terrorakte werden jemals die Entschlossenheit dieser großen Nation erschüttern, ihren Charakter ändern oder das Licht der Werte verdunkeln, für die wir stehen).

Hat Obama am 12. September von Terrorakten gesprochen? Ja. Hat er die Ereignisse in Bengasi einen Terrorakt genannt? Nein! Mit anderen Worten: Für einen effekthascherischen Wahlkampfmoment hat sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in einer zentralen Frage der Außen- und Sicherheitspolitik die Wahrheit ein wenig zurechtgebogen. Ein verdutzter Romney – von der Moderatorin in die Schranken gewiesen – ließ ihm das durchgehen.

Die Debatte nach dieser Debatte hat erst begonnen.

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