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(picture alliance) Aktivist mit Fawkes-Maske bei Protestmarsch von Occupy in LA

Occupy - Guy Fawkes und die Fratze des Protests

Die Protestierer von heute maskieren sich mit dem Gesicht von Guy Fawkes – der wollte vor über 400 Jahren das britische Parlament in die Luft sprengen

So richtig sympathisch wirkt die Fratze nicht: Ein diebisches Grinsen liegt auf den kalkweißen Zügen, Wangen und Mund tragen ein leichtes Rouge, Schnurrbart und Goatee sind so schwarz wie die Augenbrauen. Tausendfach ist die im Handel für zehn Euro erhältliche Maske zum Symbol geworden für die Protestcamps junger Kapitalismuskritiker der „Occupy“-Bewegung. Da sei „eine Ikone populärer Kultur“ zum „passenden Protestzeichen gegen Tyrannei“ geworden, freut sich der britische Illustrator David Lloyd über die neu gewonnene Bedeutung seines 30 Jahre alten Kunstwerks.

Mit dem Texter Alan Moore erfand Lloyd damals den Comic-Roman „V for Vendetta“, der 2006 auch verfilmt wurde. Für die Maske ließ sich der Zeichner inspirieren von Guy Fawkes (1570 bis 1606). Den hält Lloyd nämlich für „den größten Revolutionär unserer Geschichte“. So ähnlich sieht das auch der konservative Aktivist Paul Staines. Er nannte seinen einflussreichen Blog „Guido Fawkes“, schließlich habe sein Vorbild „hohes Ansehen als der einzige Mann, der jemals mit ehrlicher Absicht ins Parlament ging“.

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Die zynische Einstellung zum Parlamentarismus bezieht sich auf ein mehr als 400 Jahre zurückliegendes Ereignis. In der Nacht zum 5. November 1605 entdeckten Gerichtsdiener im Kellergewölbe des Parlaments von Westminster 36 Fässer Schwarzpulver und verhafteten den damals 35-jährigen Fawkes. Lunte und Streichhölzer trug der katholische Berufssoldat bei sich. Der Anschlag galt der festlichen Eröffnung der alljährlichen Parlamentssitzung durch König James I, die Explosion hätte die gesamte Elite des Landes auf einen Schlag ausgelöscht.

Ein Söldner, religiöser Fanatiker und Möchtegern-Terrorist – taugt so jemand zum Vorbild für eine weltweite Protestbewegung? 400 Jahre lang haben sich die Engländer einen Spaß daraus gemacht, Guy Fawkes zum Inbegriff papistischer Perfidie aufzupeppeln. Gleich im Jahr nach dem verhinderten Anschlag erhob das Parlament den 5. November zum Nationalfeiertag. „Remember, remember, the fifth of November“ galt als Mahnung gegen Versuche, einen Keil zu treiben zwischen Thron und Altar, zwischen das Königshaus und die anglikanische Staatskirche, als deren Oberhaupt (Fidei Defensor, Verteidigerin des Glaubens) Queen Elizabeth II bis heute auf jeder britischen Münze deklariert wird.

von den Todesqualen des Guy Fawkes, auf der nächsten Seite

Als Tyrannei empfanden Englands Katholiken ihre Unterdrückung durch die noch junge Staatskirche im 16. Jahrhundert. Als die letzte Tudor-Königin ­Elizabeth I 1603 starb, hofften die Angehörigen der religiösen Minderheit auf bessere Behandlung. Doch der neue Mann auf dem englischen Thron, Schottlands König James Stuart, setzte weiter auf religiöse Intoleranz – und eine Gruppe katholischer Adliger unter Führung des charismatischen Robert Catesby begann mit den Planungen für ihr Komplott.

Weil Teile des Kellers im Parlament zur Vermietung standen, gelang es den „Pulververschwörern“ tatsächlich, 36 Fässer Schwarzpulver an strategisch günstiger Stelle zu deponieren. Wissenschaftler der Universität Aberystwyth (Wales) haben die geplante Explosion 2003 in die Tat umgesetzt und errechnet: Vom Parlament selbst, der Westminster Abbey und manch anderen angrenzenen Gebäuden wäre wenig übrig geblieben.

Sprengmeister Fawkes war unter den Verschwörern nur ein ganz kleines Licht, besaß aber einen unschätzbaren Vorteil: Berufserfahrung. Jahrelang hatte der aus York gebürtige Sohn eines Gerichtsschreibers in Flandern den katholischen Königen Spaniens als Söldner gedient, von einer Reise nach Spanien brachte er den neuen Vornamen Guido mit. Jetzt wollte er die Heimat befreien helfen. „Groß und breitschultrig“ soll er gewesen sein, weiß seine Biografin Antonia Fraser und beteuert: „Er war weder schwach noch dumm.“

Das wird jene Maskenträger freuen, die dem frommen Gotteskämpfer nacheifern. Erfreulicherweise wird ihnen in den westlichen Demokratien auch das Schicksal ihres Vorbilds erspart bleiben. Auf schriftlichen Befehl des Königs unterzogen dessen Büttel den Verhafteten der Streckfolter. Fawkes’ Unterschrift unter sein Geständnis legt erschütterndes Zeugnis ab von den Qualen, die der in mancherlei Schlachten gestählte Soldat erlitten haben muss. Bei der Hinrichtung im Januar 1606 hatte das Schicksal ein Einsehen: Fawkes starb durch Genickbruch, je nach Quellenlage am Galgen oder durch einen Sprung vom Schafott. Damit blieb ihm erspart, was seine Mitverschwörer erleiden mussten: Sie wurden nur kurz gehängt, anschließend bei lebendigem Leib kastriert, ihrer Eingeweide entledigt und geköpft – wie es den damals üblichen Gepflogenheiten entsprach.

Im multikulturellen Großbritannien sind die fröhlichen Umzüge und Papstpuppen-Verbrennungen aus der Mode gekommen, statt in der „Feuerwerksnacht“ des 5. November ziehen kleine Briten nach USVorbild am Abend des 31. Oktober anlässlich von Halloween durch die Straßen. Guy Fawkes, früher Abziehbild des Bösen, gilt plötzlich als politisches Vorbild für all jene, die sich weltweit gegen die Tyrannei der Finanzindustrie auflehnen. Dem Kapitalismus entgehen die Protestierer freilich auch dabei nicht: Weil die Fawkes-Fratzen zu den Merchandise-Produkten für die „V for Vendetta“-Verfilmung gehörten, kassiert der US-Konzern Time Warner eine Gebühr – Maske für Maske. 

Sebastian Borger schreibt als freier Korrespondent aus London, unter anderem für Financial Times Deutschland und die Basler Zeitung

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