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Griechenland - Die Euro-Wut der Athener

Einst gehörten die Griechen zu den begeistertsten Europäern. Nun sieht es so aus, als ob die Mehrheit in einem Referendum über die Euro-Sparpläne mit „Nein“ stimmen würde.

Autoreninfo

Alkyone Karamanolis ist freie Journalistin und auf das Thema Griechenland spezialisiert.

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Die Stimmung in Griechenland dieser Tage schwankt zwischen Nervosität und Befreiung. Begonnen hat die Woche mit einer Demonstration derjenigen, die beim Referendum kommenden Sonntag mit „Nein“ stimmen wollen und damit den Euro-Sparkurs ablehnen.

„Meine Grundrente beträgt nurmehr 460 Euro“, sagt etwa der Rentner Dimitris Avgeridis. „Weil das zum Leben nicht reicht, stockt sie der Staat mit 120 Euro auf“. Genau diese Zusatzrenten für sozial Schwache sollen nun aber gestrichen werden. Deshalb ist Dimitris Avgeridis mit einem selbstgemachten Plakat zur Demonstration gekommen, auf dem ein großes rotes „Nein“ steht. Ein Stückchen weiter steht ein Paar Mitte fünfzig. Sie Rechtsanwältin, er Wirtschaftswissenschaftler. Auch sie wollen gegen die Brüsseler Vorgaben stimmen. „Ich bin weder gegen Europa noch gegen den Euro“, sagt die Frau. „Aber die neuen Vorgaben aus Brüssel fahren an die Wand, was von unserer Wirtschaft übrig ist. Weiter zu sparen ist Irrsinn. Und wenn die Konsequenz ist, dass wir aus dem Euro austreten müssen, was soll ich sagen, dann haben wir wohl keine andere Wahl“. Und ihr Mann fügt hinzu: „Ich glaube, dass hier ein politisches Modell etabliert wird, wo der Bürger nichts zu sagen hat. Auch deshalb ist Brüssel so erzürnt über das Referendum. Das ist eine neue Art der Governance, und je mehr sich die Weltwirtschaftskrise verstärkt, desto weitere Kreise wird das ziehen und auch das übrige Europa erreichen.“

Am Tag darauf demonstrieren jene, die mit „Ja“ stimmen wollen. Der Athener Bürgermeister spricht, später auch der Bürgermeister von Thessaloniki. Trotz Regen haben sich wieder Tausende Menschen vor dem Parlament versammelt. „Ich bin hier, weil ich in Europa bleiben möchte. Die Brüsseler Maßnahmen gefallen mir zwar nicht, aber ich möchte nicht zurück zur Drachme. Das bin ich mir und meinen Kindern schuldig“, sagt eine ältere Frau. Dabei ist ihr durchaus klar, dass die Vorschläge der Institutionen die Rezession verschärfen werden. Dennoch sei das „Ja“ das kleinere Übel, erklärt sie. „Europa steht für Verhandlungen“, erklärt Giannis Leontidis weiter. „Es ist wichtig, dabei zu sein und nicht draußen, vor der Tür.“

Griechen waren einst die begeistertsten Europäer


Die Griechen haben seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union zu den begeistertsten Europäern gehört. Das ist auch heute nicht grundsätzlich anders. Die Erklärung, dass die Befürworter des „Ja“ für Europa und Reformen seien, die Befürworter des „Nein“ dagegen, sei eine unzulässige Schwarz-Weiß-Malerei, erklärt zum Beispiel Nick Malkoutzis. Malkoutzis ist Chefredakteur der englischen Ausgabe der konservativen Tageszeitung Kathimerini, der seriösesten Tageszeitung des Landes, und Gründer des Wirtschafts- und Politik-Portals Macropolis. „Die Trennlinien verlaufen quer durch die griechische Gesellschaft und Politik. ‚Nein‘ sagen natürlich auch manche, die glauben, Griechenland wäre ohne den Euro besser dran, aber ein großer Teil sind Leute, die sagen: nach fünf Jahren Austerität und mit einer Wirtschaft in Scherben, was sollen da weitere Sparmaßnahmen noch bringen?" Malkoutzis sieht den Grund für diese Haltung im schwierigen Alltag der Leute. Dagegen könnte Furcht ein Grund dafür sein, dass die Leute mit "Ja" stimmen: "Dahinter steht der Gedanke: wir wollen in der Eurozone bleiben und zwar um jeden Preis, denn draußen wird es noch schlimmer." Bei beiden Entscheidungen sind für Malkoutzis negative Gefühle im Spiel, keine der beiden Entscheidungen werde aus Zuversicht getroffen: "Weder die griechischen Parteien – keine von ihnen – noch die Geldgeber vermitteln den Menschen ein Gefühl der Hoffnung.“

Dass der Zeitpunkt für das Referendum unglücklich gewählt ist, ändere nichts daran, dass die Volksbefragung an sich keine schlechte Idee ist, fährt der Journalist fort. Die Regierung war ganz offenbar an einem Punkt angekommen, an dem die Verhandlungen stockten. „Ihr seid frei, Euch Euren eigenen Maßnahmenkatalog zu schneidern, so lange ihr die Maßnahmen wählt, die wir haben wollen“, fasst Malkoutzis die Brüsseler Verhandlungsdynamik zusammen.

Die Ansicht, die Athener Regierung habe die Spielregeln verletzt, teilt er nicht. „Die neue griechische Regierung hat vermutlich am Anfang viel Zeit vertan, ohne detailgenau zu verhandeln, aber die letzten zwei Monate gab es sehr konkrete Vorschläge aus Griechenland. Wir haben es also nicht mit einer Regierung zu tun, die keinen Deal wollte, sondern mit einer Regierung, der nicht klar war, wie sie einen Deal erreichen sollte, der politisch für sie akzeptabel wäre. Und eine Dimension, die in dieser Debatte völlig fehlt, vor allem von Seiten der Gläubiger: Griechenland startet ja nicht bei Null. Es hat bereits fünf Jahre harter Austerität, eines der schwersten Anspassungsprogramme und eine der größten Rezessionen der Geschichte hinter sich und soll nun noch mehr davon tragen. Dafür gibt es weder politischen noch sozialen Rückhalt in der Bevölkerung. Und wir müssen uns auch klar machen: Keine Regierung in Griechenland könnte heute so etwas durchsetzen.“

„Syriza hätte fertige Gegenvorschläge parat haben sollen“


Auch die Vorgängerregierung unter dem konservativen Premier Samaras war an der Austerität gescheitert, und so hatte sie die Wahl zum Staatspräsidenten, von der klar war, dass sie zu Parlamentswahlen führen würde, vorzeitig ausgerufen. Antonis Samaras hätte eigenrlich bequem bis in den April hinein regieren können. Doch er sah keinen politischen Spielraum für die Sparmaßnahmen, die die Institutionen immer nachdrücklicher forderten. Genau genommen hatte Samaras schon Monate vorher aufgehört, weiter zu sparen.

Nun steht Syriza genau vor dem gleichen Problem. Der Vorwurf, die Regierung in Athen sperre sich grundsätzlich gegen Reformen, sei indes falsch und greife zu kurz, glaubt Nick Malkoutzis. „Syriza hätte, als sie die Macht übernahmen, fertige Gegenvorschläge parat haben sollen. Das war ein Fehler. In den vergangenen Wochen hat die griechische Seite allerdings umfangreiche und detaillierte Vorschläge für Sparmaßnahmen, Reformen und Neuerungen in der Verwaltung vorgeschlagen, nur wurden sie alle von den Gläubigern zurückgewiesen. Die sagen schlichtweg: wir wollen Maßnahmen, die quantifizierbar sind – und das sind eben Ausgabenreduzierung und Steuererhöhungen. Etwas anderes interessiere sie derzeit nicht.“

Doch das sind Maßnahmen, die die Rezession verstärken, sagt Charalambos Gotsis, Professor für Makroökonomie in Athen. Er sitzt am Tag, nachdem das Referendum ausgerufen wurde, in einem Café in der Nähe des Parlaments. Sein Telefon klingelt alle paar Minuten, Ökonomen sind heute gefragte Gesprächspartner griechischer Medien. Die Vorstellung, Griechenland könnte durch das Referendum zur Drachme zurückkehren, macht dem Professor große Sorge. Andererseits kann er inhaltlich nachvollziehen, warum die griechische Seite bei den Verhandlungen nicht einfach nachgegeben hat. „Griechenland versucht sich davor zu schützen, weitere Maßnahmen zu treffen, die die Rezession vertiefen könnten. Genau das hatte der Brüsseler Beschluss vom 20. Februar doch vorgesehen: Griechenland hatte damals ausgehandelt, die Sparmaßnahmen durch Strukturreformen ersetzen. Doch leider wurde dieser Beschluss nicht respektiert. Nur drei Tage später hat zum Beispiel der deutsche Finanzminister verkündet, erst müsse das laufende Programm nach Plan abgeschlossen werden – noch mehr Austerität also“.

Starke Vereinfachung in den Medien


In der Folge hat sich Griechenland dennoch weit auf die Geldgeber zubewegt und ist in vielen Punkten von seinen Wahlversprechungen abgerückt: Sei es bei den Privatisierungen, beim Mindestlohn, bei den Renten oder der Mehrwertsteuer. Das einzige substanzielle Zugeständnis, das Griechenland in den langen Wochen der Verhandlungen erwirken konnte, war eine Minderung des Primärüberschusses. Dabei hätte alles ganz anders ausgehen können, wäre das Abkommen vom 20. Februar umgesetzt worden. Allein die Aussicht darauf, dass Athen keine weiteren, die Rezession vertiefenden Maßnahmen vornehmen müsse, hat die Realwirtschaft sofort aufatmen lassen. So stiegen die Exporte im März um 16 Prozent, die Industrieproduktion um 0,8 Prozent und der Privatkonsum um 1,6 Prozent.

Die Lösung scheint also auf der Hand zu liegen. Doch es gibt eine Dynamik, die die Sache erschwert, erklärt Henrik Scheller, der am Lehrstuhl für Politik und Regieren in Deutschland und Europa der Universität Potsdam lehrt. Was wir hier beobachten, sagt er, sei ein Kampf um die Deutungshoheit und ein sehr fundamentaler Streit zwischen dem angebotsorientierten und dem nachfrageorientierten makroökonomischen Modell. „Zum einen haben wir die neoklassische Deutung, dass die Staatsschulden ganz zentral die Ursache der Krise in Griechenland sind“, so Scheller, „auf der anderen Seite haben wir die griechische Regierung, die eher darauf hinweist, dass die finanzielle Situation Griechenlands sich sehr stark durch die Finanz- und Wirtschaftskrise verschlechtert hat“. Wenn man auf die Zahlen schaue, dann sei das durchaus auch richtig. Die Starre zwischen den zwei Positionen führt Scheller unter anderem auf die starke Komplexitätsreduktion der Griechenlanddiskussion in den Medien zurück – auf beiden Seiten.

Die griechischen Medien jedenfalls kennen kein anderes Thema als die Wirtschaftslage im Land. Jeder Vorschlag, der aus Brüssel kommt, wird auf seine Auswirkungen auf die Realwirtschaft abgeklopft, auch die jüngste Liste aus Brüssel ist längst ins Griechische übersetzt und veröffentlicht. Die Griechen wissen also ganz genau, worüber sie kommenden Sonntag abstimmen sollen. Heute wurde eine erste Umfrage, das Referendum betreffend, veröffentlicht: Demzufolge wollen 33 Prozent der Griechen die Vorschläge der Geldgeber annehmen, die Mehrheit aber, 46 Prozent, würde mit „nein“ stimmen.

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