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Sarkozy-Vertrauter - „Deutschland muss sich militärisch stärker engagieren“

Einer der engsten Vertrauten von Frankreichs Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy fordert von Deutschland einen größeren Beitrag in der Verteidigungspolitik. Alain Minc, Sohn jüdischer Holocaust-Überlebender, spricht über den Mali-Einsatz, den deutschen Nazi-Komplex, Hollandes Wirtschaftsreformen und lobt die Agenda 2010

Autoreninfo

Petra Sorge ist freie Journalistin in Berlin. Von 2011 bis 2016 war sie Redakteurin bei Cicero. Sie studierte Politikwissenschaft und Journalistik in Leipzig und Toulouse.

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Der Intellektuelle und Ökonom Alain Minc (*1949) gehört zu den brillantesten politischen Bestsellerautoren Frankreichs. Er war Berater von Ex-Präsident Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast. Zuletzt erschien sein Buch „Vive l’Allemagne“

 

Cicero Online: Herr Minc, Sie halten die militärische Zurückhaltung Deutschlands für „ungesund“. Jetzt will die Bundesregierung die deutsch-französische Brigade nach Mali schicken und eigene Flugzeuge für die Zentralafrikanische Republik stellen. Ist Deutschland damit auf dem richtigen Weg?
Alain Minc: Ja, ich freue mich, dass die neue Merkel-Regierung den außenpolitischen Faden der Schröder-Fischer-Ära wieder aufgenommen hat. Unter Rot-Grün hatte die Bundesrepublik bereits begonnen, jenen Platz in den internationalen Beziehungen einzunehmen, der ihr zusteht.

Sie meinen das sicher mit Blick auf die Verteidigungspolitik?
Aber natürlich, Deutschland muss sich auch stärker militärisch engagieren. Dieses Tabu ist dank Fischer gefallen.

Das sehen viele Deutsche anders. Eine große Mehrheit sprach sich zuletzt gegen eine Syrien-Intervention aus – ähnlich könnte es sich mit einem Einsatz in Afrika verhalten.
Die Aufgabe von Politikern ist es nicht, nur nach Umfragen zu handeln.

Viele Deutsche sind Pazifisten – Stichwort „nie wieder deutsche Soldaten in der Welt“.
Das ist ein heuchlerisches Argument. Die Länder, in die Truppen entsandt werden sollen, kennen die Soldaten des „schlechten“ Deutschlands doch gar nicht.

Sie selbst sind Sohn jüdischer Eltern, die während der Nazi-Besatzung aus Polen geflohen sind. Sie müssten doch am besten wissen, was da stets mitschwingt.
Ich habe im Holocaust alle meine vier Großeltern verloren. Ich habe sie selbst nie kennengelernt. Wenn jemand mit einer solchen Biografie wie ich sagt: „Es lebe Deutschland“, dann ist ein solches Plädoyer doch viel glaubwürdiger.

Sie sprechen von Ihrem jüngsten Buch mit dem Titel „Vive l’Allemagne“ (Es lebe Deutschland). Mit Verlaub: Darin bezeichnen Sie den Nationalsozialismus als einen Irrtum der Geschichte, der „wie ein UFO“ über Deutschland gekommen ist. Ist das nicht eine etwas waghalsige Interpretation?
Ich erkläre aber auch, dass der Nazismus eine Art säkulare Religion war, die sich gegen alle anderen Religionen richtete. Er war anti-westlich und widersprach insofern den historischen und kulturellen Werten Deutschlands. Er hätte sich auch anderswo ereignen können. Die meisten Unterstützer der Nazis haben damals nicht „Mein Kampf“ gelesen – und wenn sie es taten, dachten sie, dass nichts davon umgesetzt würde. Ein großer Irrtum.

Sie unterschätzen mit Ihrer Hommage an Deutschland aber womöglich die Gefahr, die von rechts ausgeht: Mit der AFD könnten erstmals deutsche Rechtspopulisten ins Europaparlament einziehen.
Es gibt drei Länder in Europa, die heute keine starken rechtsextremen oder rechtspopulistischen Parteien haben: Deutschland, Spanien und Portugal. Zufällig sind das Länder, die sich noch sehr genau an die Diktatur erinnern. Diese kollektive Erinnerung ist – wenn man das mit der Medizin vergleicht – ein guter Antikörper.

Steckt dann hinter den französischen Forderungen nach mehr deutschem Militärengagement vielleicht einfach die Hoffnung, dass Deutschland die Rechnung für den Krieg zahlt?
Nein! Das ist nicht das Thema. Sehen Sie: Man kann sehr gut eine Schweiz sein mit 8 Millionen Einwohnern. Man kann aber keine Außenpolitik nach Schweizer Muster machen, wenn man 80 Millionen Einwohner hat und zu den stärksten Wirtschaftsmächten der Welt gehört. Das ist ein Grundproblem, keine Rechenfrage. Außerdem, wenn wir von Geld reden: Interventionen sind in einem Staatshaushalt nicht der teuerste Posten.

Gesetz den Fall, Deutschland würde diese Führungsrolle annehmen: Was bliebe dann noch für Frankreich?
Im Moment sitzt Frankreich an zwei Arbeitstischen: am wirtschaftlichen ist es geschwächt und nur Juniorpartner Deutschlands. Am Tisch für internationale Politik fehlt Deutschland. Hier arbeitet Paris eng mit London zusammen – sogar als „Seniorpartner“, weil es außenpolitisch deutlich aktiver ist als Großbritannien. Unser Interesse muss sein, beide Tische zu vereinigen.

Aber wenn Deutschland das tut, verliert Frankreich doch weiter an Bedeutung: Es wäre dann nicht nur wirtschaftlich geschwächt, sondern auch politisch.
Deutschland und Frankreich sollten endlich damit aufhören zu sagen: „Wenn der eine aufsteigt, steigt der andere ab.“ So darf man nicht argumentieren. Außerdem erwarte ich ohnehin, dass Deutschlands Aufschwung bald zu Ende ist. Der Niedergang hat vier Gründe: die verheerende Demografie; die Lohnsteigerungen, die mittelfristig an der Wettbewerbsfähigkeit zehren; die absurde Energiepolitik – Deutschland steuert zwar seine Volkswirtschaft klug, fährt aber die Energiewende vor die Wand –; und viertens, weil die Chinesen stückweise die deutsche Industrieproduktion übernehmen. Statt also zu behaupten, dass die Kluft zwischen beiden Ländern größer wird, sollten nicht nur die Deutschen alarmiert sein, sondern auch die Franzosen endlich handeln.

Das geschieht doch längst: François Hollande hat umfassende Wirtschaftsreformen angekündigt.
Seine Rede deutete eher von einem tiefgreifenden ideologischen Wandel: Es war das Bad Godesberg der Sozialistischen Partei Frankreichs – 54 Jahre, nachdem sich die deutsche SPD zur Marktwirtschaft bekannt hat.

Aber Hollande hat konkrete Vorschläge gemacht: etwa, Unternehmen bei den Lohnnebenkosten zu entlasten.
Wichtiger ist, dass Hollande seine Partei gezwungen hat, endlich die Realität anzuerkennen. In der Regierungszeit von Mitterrand war die Politik zwar liberal, der Diskurs aber noch immer sozialistisch. Das Verdienst Mitterrands war, den Kommunismus zu überwinden. Hollande wird nun den Sozialismus entsorgen.

Vor vier Jahren haben Sie Ex-Kanzler Gerhard Schröder in den Elysée-Palast eingeladen, um über die Agenda 2010 zu reden…
…das war ein brillantes Gespräch!

Was genau macht Deutschland ökonomisch besser als Frankreich?
1995 hatte Frankreich einen Wettbewerbsvorteil von 10 bis 15 Prozent gegenüber Deutschland. 2007 hinkte es 10 bis 15 Prozent hinterher. Wie das? In der Zwischenzeit hat Frankreich die 35-Stunden-Woche eingeführt und den Mindestlohn drastisch erhöht. Deutschland hat die Agenda 2010 eingeführt. Man kann schon sagen, das war ein Erfolgsmodell.

Muss man die Hartz-Reformen also einfach nur kopieren und in Frankreich einfügen?
Nein, dafür muss man schon etwas mehr tun: nicht nur, die beiden Maßnahmen rückgängig machen, sondern auch den Unternehmen mit fünf Milliarden Euro unter die Arme greifen. Man muss das Rentenalter erhöhen…

…das die Große Koalition in Berlin jetzt auf 63 senken will…
…eine dumme Idee. Angela Merkel musste wirklich einen hohen Preis für dieses Bündnis zahlen.                                                                                            

Wenn das alles so einfach klingt, warum hat Sarkozy nichts davon umgesetzt?
Weil wir zwischen 2008 und 2011 die größte Krise seit den 30er Jahren hatten.

Warum zögert Hollande? Fürchtet er, dass sein Land von Streiks lahmgelegt wird?
Mag sein – ich sehe einen anderen Grund: Das durchschnittliche Vermögen eines Franzosen ist etwa dreimal höher als das eines Deutschen – was historisch daran liegt, dass die Inflation, der Zweite Weltkrieg, die Wiedervereinigung den privaten Wohlstand in Deutschland aufgefressen haben. Frankreichs Reichtum dagegen ist Chance und Risiko zugleich: Chance, weil Geld für alles da wäre, und Risiko, weil man sich auch gerne auf seinem Wohlstand ausruht.

Wie kann Deutschland den Franzosen da helfen?
Wir erwarten von Deutschland bei diesem Punkt nicht, dass sie uns helfen! Wir erwarten, dass das Merkel-Deutschland ein Schäuble-Deutschland wird.

Sie erwarten noch mehr deutsche Strenge in der Eurokrise?
Nein, Deutschland sollte seine Erfahrungen mit dem Föderalismus in den Integrationsprozess einbringen. Schäuble ist ein Föderalist und ein echter Europäer. Die Kanzlerin ist eher eine Europäerin aus Vernunft, nicht von Herzen. Deutschland und Frankreich sollten einen gemeinsamen Vorschlag für ein integriertes Eurozonen-Europa vorlegen, anstatt sich weiter über Airbus und Atomkraft zu streiten.

Und was ist mit Außenminister Frank-Walter Steinmeier? Wird der Sozialdemokrat besser mit dem Sozialisten Hollande klarkommen als die Kanzlerin?
Frankreich wird sich mit der Großen Koalition insgesamt viel wohler fühlen. Denn die Sozialdemokraten sind Europa deutlich zugewandter als das die Westerwelle-Liberalen waren. Die FDP – unter Walter Scheel und Hans-Dietrich Genscher einst die pro-europäischste Partei Deutschlands – war zuletzt äußerst populistisch. Das wird jetzt für alle einfacher.

Sie waren überrascht, dass die Deutschen in der NSA-Affäre so verärgert über die USA sind. Warum halten Sie die Reaktion der Deutschen hier für übertreiben?

Es ist normal, dass es da bei den Deutschen eine größere Sensibilität gibt als bei uns. Man muss nur diesen wunderbaren Film „Das Leben der Anderen“ gesehen haben, um diese Ängste zu verstehen.

Wäre das nicht ein sinnvoller Ansatzpunkt für eine gemeinsame deutsch-französische Initiative in der Außenpolitik?
Ja, beide Seiten könnten in diesem Punkt durchaus den Widerstand gegen die Amerikaner anführen. Es wird kein starkes Europa geben, wenn sich Deutsche und Franzosen nicht über solche grundlegenden Fragen einigen. Aber im Moment sind beide Seiten viel zu schwach. Hollande und Merkel fehlt der Mut ihrer Vorgänger Mitterrand und Kohl.

Herr Minc, Sie waren ein enger Vertrauter von Sarkozy. Haben Sie einen Tipp für Hollande, was man am besten tut, wenn man wegen einer Liebesaffäre in der Klemme steckt?
Da habe ich leider keinen Ratschlag.

Einen klitzekleinen vielleicht?
Wissen Sie: Französische Präsidenten sind in dieser Sache die Erben der französischen Könige. Und fast alle Könige Frankreichs hatten – wie soll man sagen – so ihre Bettgeschichten.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Thesen des Ex-Sarkozy-Beraters können Sie auch nachlesen in Alain Minc: Vive l'Allemagne (Französisch), Grasset, 155 Seiten, erschienen im Oktober 2013, 16,20 Euro.

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