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Francis Fukuyama - „Kein besseres Modell als die liberale Demokratie“

Sind die USA im Niedergang begriffen? Und welchen Stellenwert hat die Demokratie in der Welt überhaupt noch?

Autoreninfo

Judith Hart ist Ressortleiterin Weltbühne bei Cicero

So erreichen Sie Judith Hart:

Herr Fukuyama, unmittelbar nach dem Kalten Krieg haben Sie mit Ihrem Buch „Das Ende der Geschichte“ die erste Blaupause für ein neues Zeitalter vorgelegt. Müssen Sie Ihre damalige These, dass liberale Demokratie und Marktwirtschaft keine ideologischen Konkurrenten mehr haben, revidieren?
Francis Fukuyama: Mir ging es in dem Buch um die Frage: Welche Gesellschaft werden wir nach dem Ende des Modernisierungsprozesses haben? Vor 1989 haben die fortschrittlichsten Intellektuellen gedacht, dass in diesem Prozess alles auf eine Form von Sozialismus, Kommunismus und Marxismus hinauslaufen würde. Ich hingegen war der Auffassung, dass am Ende dieses Modernisierungsprozesses eine Form von liberaler Demokratie und freier Marktwirtschaft stehen wird. Davon bin ich immer noch überzeugt. Es gibt nichts zu widerrufen.

Auch nicht angesichts einer neuen Konfrontation mit Russland, das sich als Gegenmodell zum „dekadenten Westen“ sieht, oder des Erstarkens eines radikalen politischen Islam?
Nein, ich halte an meiner These fest: Weder das islamische Kalifat noch der russische Petrostaat scheinen mir Modelle zu sein, die moderne Gesellschaften entwickeln können.

Wie steht es mit Chinas „autoritärem Kapitalismus“?
China ist tatsächlich die größte Herausforderung – ein autoritärer Staat, dem es offensichtlich gelingt, die Prozesse wirtschaftlicher Entwicklungen sehr gut zu steuern.

Könnte China also ein ernsthafter Konkurrent für die liberale Demokratie sein?
China betreibt wirtschaftliches Wachstum auf Kosten sozialer Werte. Es kombiniert eine autoritäre Regierung mit einer in Teilen marktwirtschaftlichen Ökonomie. Die Legitimität des Systems und die andauernde Herrschaft der Partei beruhen auf kontinuierlich hohen Wachstumsraten. Die wird es aber nicht ewig geben, was Chinas Entwicklung von einem Land mit einem mittleren Durchschnittseinkommen zu einem Land mit hohem Durchschnittseinkommen beträchtlich erschweren wird. Dieser Wachstumsprozess hat zu enormen Hypotheken geführt. Dazu gehört die unglaubliche Verschmutzung von Böden, Luft und Wasser. Sollten die Zeiten schlechter werden, wird die wachsende Mittelklasse das System des korrupten Paternalismus nicht akzeptieren. Seit Maos Zeiten verfügt China nicht mehr über ein universales Ideal, eine über die eigenen Grenzen hinaus reichende ideologische Anziehungskraft.

Was wird dann aus dem „chinesischen Traum“?
Die wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft und ein System, das jenen mit den richtigen politischen Verbindungen enorme Vorteile verschafft, zeigt, dass der „chinesische Traum“ nichts weiter ist als die Möglichkeit für ein paar wenige, in kürzester Zeit sehr reich zu werden. Mein Fazit lautet daher: Das chinesische Modell ist ein Konkurrent, aber es wird sich langfristig nicht durchsetzen.

Gibt es denn gar keine Bedrohung der liberalen Demokratie?
Die Frage ist doch, ob es irgendwo ein anderes, besseres Modell gibt. Das kann ich nicht erkennen. Niemand in Europa oder den USA wird sich ernsthaft den Modellen zuwenden, die China, Russland oder der Iran repräsentieren.

Wenn man die Entwicklung Afghanistans und Iraks betrachtet, spielen die USA und der Westen nicht gerade eine rühmliche Rolle bei der Implementierung demokratischer Strukturen.
Diese Fälle zeigen, dass es für Außenstehende extrem schwer ist, eine nationale Identität aufzubauen. Das muss tatsächlich von den Eliten in den entsprechenden Gesellschaften geleistet werden. Wenn sie dazu nicht bereit sind, wird es wahrscheinlich auch nicht geschehen. Allerdings muss ich auch sagen: Die Erwartung der Menschen an die Entwicklung von Institutionen ist unglaublich hoch. Man muss doch nur die Entwicklung der Demokratie im 19. Jahrhundert in Europa betrachten: Es dauerte mehrere Generationen, bis sie wirklich etabliert war.

Es gibt nicht wenige, die behaupten, dass Demokratie für manche Gesellschaften nicht geeignet ist – so seien Islam und Demokratie nicht miteinander vereinbar. Die Aufstände in der arabischen Welt seien schließlich in Bürgerkriege oder Diktaturen gemündet.
Die Vorstellung, dass man in der arabischen Welt nur wenige Jahre nach dem Arabischen Frühling eine gefestigte Demokratie etablieren kann, ist lächerlich. Es hat mehrere Jahrzehnte gedauert, bis die Demokratie in Europa gefestigt war. Meiner Auffassung nach erfüllt der Islam in Teilen die Rolle, die der Nationalismus im 19. Jahrhundert spielte – man kann Menschen auf unterschiedliche Art und Weise mobilisieren. In Europa wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Demokratie durch Nationalismus umgelenkt und hat zu verheerenden Kriegen geführt. Heute spielt Religion in der muslimischen Welt in mancher Hinsicht eine ähnliche Rolle.

Wenn die Demokratie das beste Modell ist, dann könnten es sich die Demokratien doch recht bequem machen …
Nur weil man eine reiche Demokratie geworden ist, bedeutet das nicht, dass deren Institutionen auch weiterhin gut funktionieren. Einer Demokratie droht der Verfall, wenn zwei Komponenten zusammentreffen: geistige Unbeweglichkeit und die Vereinnahmung staatlicher Einrichtungen durch die Eliten.

Erfüllen die Vereinigten Staaten noch die Standards einer liberalen Demokratie – oder ist die politische Ordnung der USA anfällig geworden?
Ich glaube nicht, dass Amerikas Demokratie brüchig geworden ist in dem Sinne, dass sie jederzeit kollabieren könnte. Allerdings ist die Leistungsfähigkeit der Regierung nicht besonders gut – und sie wird schon seit einigen Jahrzehnten immer schlechter. Man betrachte nur einmal eine grundlegende Angelegenheit wie die Verabschiedung eines Haushalts – seit fast einem Jahrzehnt ist der Kongress nicht in der Lage, einen Haushalt zu verabschieden, weil er sich nicht einigen kann, wie eine langfristige und zukunftsfähige Finanzpolitik aussehen könnte. Hier wird die grundlegende Pflicht einer Regierung nicht erfüllt. In dieser Hinsicht funktioniert die Demokratie nicht sehr gut. Das bedeutet aber nicht, dass eine soziale Revolution ausbricht.

Häufig werden die Republikaner beziehungsweise die Tea Party hierfür verantwortlich gemacht. Ist die Tea Party durch ihre Politik der Verweigerung eine Gefahr für die Demokratie in den USA?
Nein. Dass die Tea Party zu einer politischen Kraft geworden ist, ist der Stärke der amerikanischen Demokratie geschuldet. Sie ist eine Graswurzelbewegung, die einen wichtigen Teil der amerikanischen Wähler vertritt, und sie ist in der Lage, das politische System zu nutzen, um ihre Ansichten zu vertreten.

Also kein Grund zur Sorge?
Das Problem ist ein anderes. Ich nenne es: „Vetocracy“. Damit meine ich, dass wir so viele Ebenen des checks and balances, also der Kontrollen, in unserem System eingebaut haben, dass sie es gut organisierten Minderheiten einfach machen, Entscheidungen der Mehrheit zu blockieren. Die Teay Party vertritt vielleicht ein Drittel der Republikaner, was nicht mehr als 15 bis 20 Prozent aller Wähler ausmacht. Die Architektur unserer Institutionen aber ermöglicht es ihnen, das Repräsentantenhaus zu kontrollieren, was es wiederum unmöglich macht, Gesetze zu verabschieden. Das ist Teil eines größeren Problems: Wir haben so viele Veto-Möglichkeiten in unserem Gesetzgebungsverfahren, dass wir am Ende größtenteils gelähmt sind. Das führt zu schlechter Gesetzgebung und verhindert, dass wir uns wichtigen Fragen zuwenden wie etwa der Waffenkontrolle und der Immigration.

Würden Sie Amerika noch als Vorbild bezeichnen?
Während die amerikanische Ökonomie ein Quell überragender Innnovationen bleibt, ist die US-Regierung zurzeit kaum ein Hort der Inspiration für die Welt.

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