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EU-Gipfel zur Flüchtlingspolitik - So scheitert Europa

Die EU-Innenminister können sich nicht auf eine Strategie zur Lösung der Flüchtlingskrise einigen. Nun macht Deutschland Druck – dabei liegt auch Berlin in wichtigen Punkten falsch. Innenminister Thomas de Maizière schafft sogar neue Probleme

Autoreninfo

Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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„Zu wenig Europa, zu wenig Union“: Gerade einmal eine Woche ist es her, dass Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der Europäischen Union dieses blamable Zeugnis ausgestellt hat. Nationalismus und Egoismus machten eine gemeinsame Flüchtlingspolitik fast unmöglich, klagte der Luxemburger in seiner Rede zur „Lage der Union“.

Das Treffen der EU-Innenminister am Montagabend in Brüssel lieferte dafür erneut einen traurigen Beweis. Bundesinnenminister Thomas de Maizière und seine 27 Amtskollegen konnten sich nicht einmal auf eine Quote zur fairen Verteilung der Flüchtlinge einigen. Sogar die Zahl von 160.000 umzuverteilenden Menschen war umstritten.

Die Quote ist nicht zu Ende gedacht
 

De Maizière will nun Druck machen - und eine Entscheidung beim nächsten Ministertreffen am 8. Oktober erzwingen. Zur Not müsse man den unsolidarischen Staaten in Osteuropa eben die EU-Subventionen kürzen, fordert der CDU-Mann. Aus Berliner Sicht gibt es zu diesem harten Kurs wohl keine Alternative. Schließlich kann Deutschland die Last der Krise nicht mehr lange allein schultern.

Indes: Die Umverteilung von Flüchtlingen lässt sich nicht erzwingen - schon gar nicht, wenn weder Menschen noch Staaten mitspielen. Genau das ist aber das Problem. Die meisten Flüchtlinge wollen weiter unbedingt nach Deutschland - da haben Kritiker der Quote wie der slowakische Innenminister Robert Kalinak durchaus Recht. Man wird sie nur mit Zwang in andere Länder schicken können.

Will de Maizière das? Ist er bereit, Flüchtlingstransporte aus Griechenland oder sogar Deutschland nach Polen zu organisieren? Und wie will er reagieren, wenn die zwangsverschickten Menschen aus Warschau nach Berlin zurückkehren? Nach Darstellung der EU-Kommission haben die Quoten-Flüchtlinge keine Wahl mehr. Sie müssten also gegen ihren Willen zurückgeschickt oder ausgewiesen werden.

Die Quote ist offensichtlich nicht zu Ende gedacht. Die Menschenrechtsorganisation Pro Asyl hat sie sogar als weltfremd kritisiert. „Eine Quote, wo man kreuz und quer Menschen durch Europa schiebt, gegen ihren Willen, wird scheitern“, warnen die Experten. Zudem ist die Zahl von 160.000 überholt. Das Uno-Flüchtlingshilfswerk fordert, Europa müsse mindestens 200.000 Menschen aufnehmen.

Dublin ist tot
 

Die Quote ist jedoch nicht die einzige Schwachstelle im deutsch-europäischen Krisenplan. Noch problematischer ist, dass Brüssel und Berlin an der gescheiterten Dublin-III-Verordnung festhalten. Sie sieht vor, dass für die Flüchtlinge in der Regel derjenige EU-Staat zuständig ist, in dem sie ankommen. Doch diese Regel wird schon seit Jahre gebrochen - zuerst von Italien und Griechenland, zuletzt auch ganz offen von Deutschland.

„Dublin ist tot“, hieß es in Berlin vor zwei Wochen, als es galt, den in Ungarn malträtierten Syrern zu helfen. Doch nun soll die Leiche wiederbelebt werden. Deutschland soll wieder eine Insel der Seligen werden - umgeben von sicheren Herkunftsländern (auf dem Westbalkan) und zuverlässigen EU-Partnern, die Dublin wortgetreu umsetzen. Man muss kein Experte für EU-Recht sein, um zu sehen, dass sich diese Position nicht halten lässt.

Sollbruchstelle Schengen
 

Und es gibt noch eine dritte Sollbruchstelle: Schengen. In seiner Amtszeit werde am Abkommen für die grenzenlose Reisefreiheit nicht gerüttelt, sagte Juncker in seiner Rede. Offenbar wusste er da noch nicht, was de Maizière im Schilde führte. Mit seiner Entscheidung, die Grenzkontrollen zu Österreich wieder einzuführen, hat dieser eine Kettenreaktion ausgelöst. Immer mehr Staaten folgen dem deutschen Beispiel und machen ihre Grenzen dicht.

De Maizière hat das Gegenteil dessen erreicht, was er bezweckt hatte: Die im Alleingang verhängten Grenzkontrollen sollten Druck auf die Osteuropäer machen, sich endlich solidarisch zu zeigen. Stattdessen fühlen sich Polen, Tschechen, Slowaken und Ungarn in ihrer harten Haltung bestätigt; Premier Viktor Orbán beglückwünschte de Maizière sogar ausdrücklich. Und nun wackelt auch noch Schengen, und damit ein Grundpfeiler der europäischen Einigung.

„Zu wenig Europa, zu wenig Union“: Junckers Klage ist heute aktueller denn je. Doch leider haben dazu auch jene beigetragen, die - völlig zu Recht - mehr Solidarität einfordern. Auch Juncker selbst ist nicht ganz unschuldig. Sein Krisenplan kam zu spät, er geht nicht weit genug und nährt neue Illusionen. „Too little, too late“ hieß es in der Eurokrise immer wieder. In der Flüchtlingskrise scheint sich das zu wiederholen.

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