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Flüchtlingskrise - National löst man die Probleme nicht

Kolumne: Leicht gesagt. Bis zum nächsten EU-Gipfel hat Angela Merkel noch eine Woche Zeit: Dann muss sie Lösungen für die Flüchtlingspolitik präsentieren. Die EU ist bislang keine Hilfe, dabei ist kein EU-Staat national gewappnet gegen die Krisen dieser Welt

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Es sagt sich leicht, dass die Flüchtlingskrise Deutschland überfordert. Dabei ist Syrien erst der Anfang und dies nur eine der großen Herausforderungen, mit denen Europa konfrontiert ist. Im Unterschied zu den anderen Krisen ist das die derzeit sichtbarste, aber bei weitem nicht größte.

Derzeit läuft der Countdown für Bundeskanzlerin Merkel. Bis zum nächsten EU-Gipfel am 18. Februar muss sie einen belastbaren Plan erstellen, wie die Türkei die vielen syrischen Flüchtlinge aufhalten könnte. Dafür verlangt Ankara Zusagen Europas. Die EU muss versprechen, dass sie jährlich Kontingente von Flüchtlingen aus den Lagern abholen wird. Es soll eine kontrollierte Aufnahme einiger in die EU geben, keinen unkontrollierten Ansturm vieler. Damit die EU mitspielt, will Merkel mit einer Koalition der Willigen aus wenigen kerneuropäischen Nationen voran gehen, um dieses Versprechen zu erfüllen.

Erosion von Staatlichkeit


Sie hat keine andere Wahl. Auf die Zusagen der bislang unwilligen Osteuropäer kann sie nicht mehr warten. Sie setzt jedoch darauf, dass diese Staaten folgen werden. Die Kanzlerin beginnt damit, eine eigene Rechnung aufzumachen: Danach werden diese jungen EU-Mitglieder ohne innereuropäische Solidarität in der Flüchtlingsfrage auf mittlere Sicht EU-Förderungen verlieren und auf lange Sicht ihren gleichberechtigten Status. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die EU an dieser Krise zerbricht, zumindest drastisch schrumpft. Die Unwilligen würden bald begreifen, kalkuliert Merkel, dass der wirtschaftliche Schaden für Osteuropa wesentlich größer wäre als Kosten und Mühen, sich an der kontrollierten Flüchtlingsaufnahme zu beteiligen.

Außenminister Steinmeier hat jüngst vor all seinen deutschen Botschaftern in der Welt klargemacht, dass dies keine temporäre, sondern eine dauerhafte Krise ist. Steinmeier sprach von einer „Erosion von Staatlichkeit“. Die droht in Nordafrika und dem Nahen Osten insgesamt. Libyen, Mali und viele andere Staaten erodieren bereits. Wie in Syrien fehlen Staatslenker, die man stützen oder stürzen kann. Es wird, und das ist das Fatale, in weiten Teilen dieser Weltregion gar keine Ansprechpartner mehr geben, die Einfluss ausüben könnten auf ihre unzufriedenen und fliehenden Völker. Nochmal: Syrien ist erst der Anfang.

Ukrainekrise als Zeitenumbruch für Europa


Das Problem wird dadurch erschwert, dass Europa keine brauchbaren Helfer hat in dieser Krise. Jedenfalls nicht, was die vielbeschworene Ursachenbekämpfung angeht. Russland scheint ein Totalausfall, mehr noch: ein Flüchtlingsverursacher zu sein, wie die Bombardements Aleppos zeigen. Der wahre Zeitenumbruch für Europa begann bereits vor 2014 mit dem Ukraine-Konflikt. Damit bewies Russland, dass es an einer gemeinsamen Weltordnung kein Interesse mehr hat. Dass ihm Erhalt und Eroberung eigener Einflusssphären wichtiger sind als Frieden.

Auf die USA kann Europa auch nicht zählen. Sie müssen sich vorwerfen lassen, die Krise mit ausgelöst zu haben durch nicht zu Ende gedachte Interventionspolitik. Der geplante Regime-Change etwa im Irak klappte nur halb: Das Alte war zerstört, das Neue aber wurde nicht aufgebaut. Das angerichtete Chaos führte zu Interventionsangst. In Libyen wurde gar nicht eingegriffen und in Syrien der Diktator immer nur gewarnt, aber am Ende geduldet – die Folgen scheinen nicht weniger dramatisch.

Dabei bräuchte der militärisch schwache Nachbar EU nun jenen potenten Weltpolizisten an seiner Seite, der zu sein die USA einst – vor 25 Jahren – versprochen hatte. Natürlich hat Washington selten altruistisch gehandelt, schon mit dem legendären „Marshall-Plan“ nach dem Zweiten Weltkrieg nicht. Doch Amerikas „national interest“ deckte sich häufig mit den Interessen Westeuropas. Inzwischen haben die USA aber ihr Interesse am Öl aus Nahost weitgehend verloren.

Kein Mitleid mit der EU


Und sie richten ihr Augenmerk auf eine andere, für sie in vielerlei Hinsicht näher liegende Weltregion: die pazifische Asienregion. Bereits vor zwei Jahren, als die Flammen der Krim-Krise vor der Haustür der EU loderten, sprach Präsident Obama in einer großen Rede in Malaysia vom „Pivot to Asia“, der Hinwendung zu Asien.

Denn dort entfacht Peking einen weiteren Konfliktherd, um seine Einflusssphäre auszubauen: China will die maritime Ordnungsmacht im Pazifik werden. Es beansprucht massenweise unbewohnte Inseln im südchinesischen Meer und hat dort schon Militärbasen aufgebaut, um bis 2020 der Kontrolleur des wichtigsten Seewegs der globalisierten Welt zu werden. 60 Prozent des weltweiten Schiffsverkehrs führt dort entlang, es ist die Lebensader von Amerikas Verbündeten Japan und Südkorea. Deshalb ist den USA die Straße von Malakka, wie die berüchtigte Meerenge in Südostasien heißt, wichtiger als jede Balkanroute.

Da draußen in der Welt lösen die Ängste der 500 Millionen Europäer vor derzeit ein, zwei, drei Millionen Flüchtlingen wenig Mitleid und keine Mithilfe aus. Die EU ist also gut beraten, Euro- und Flüchtlingskrisen zum Trotz wenigstens als Gemeinschaft der 28 zusammen zu halten. Wer glaubt, national die Probleme dieser Welt besser lösen zu können als im Verbund, lebt schlicht in der falschen Zeit.

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