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(picture alliance) Überholen ohne einzuholen: Draghi hat Merkel vom Krisen-Chefsessel vertrieben

Draghis Coup - Merkels kalte Entmachtung

EZB-Chef Mario Draghi hat sich in den Chefsessel der Euro-Krisenpolitik gesetzt – der Staatsstreich gegen die Kanzlerin ist die Folge ihrer zaudernden Finanz- und Personalpolitik in der EU

Es sind nur wenige Tage vergangen, bis Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, klargemacht hat, was er meinte mit dem Satz, die EZB werde alles tun, den Euro zu sichern, und man möge sicher sein: „It will be enough!“ – Es wird reichen!

Mit seiner Ankündigung, jetzt Staatsanleihen schwankender Euro-Staaten im  großen Stil aufzukaufen, hat Draghi nicht nur die dicke Bertha herausgeholt, von der immer die Rede war. Er hat eine unerhörte Grundsatzentscheidung in der Geldpolitik Europas getroffen. Der EZB-Chef hat die deutsche Kanzlerin, die bisher mächtigste Frau des Kontinents war, auf den Sessel der Copilotin verfrachtet, um den Steuerknüppel selbst in die Hand zu nehmen.    

So was kommt von so was. Merkels inkonsistente Krisenpolitik ist allerdings nur ein Grund für den Staatsstreich der Zentralbank. Der andere betrifft Merkels europäische Personalpolitik: Jetzt holt die Kanzlerin jene Durchsetzungsschwäche ein, die sie in den letzten Monaten und Jahren bei der Besetzung von europäischen Spitzenpositionen an den Tag gelegt hat. 

Erinnert sich noch jemand an den Oktober vergangenen Jahres? Und erinnert sich noch jemand an Axel Weber, vormals Chef der Deutschen Bundesbank? Wäre es nach Merkel gegangen, dann säße jetzt Axel Weber auf dem Posten, den ihr Gegenspieler Draghi nun innehat. Weber, ein knallharter Geldpolitiker alter deutscher Schule, hatte sich aber nach einem Zerwürfnis mit der Kanzlerin wegen deren Krisenpolitik zurückgezogen und stand für die Nachfolge von Jean-Claude Trichet seinerzeit nicht mehr zur Verfügung.

Frankreich, Spanien, Luxemburg und Italien stellten sich mit aller Kraft hinter den Kandidaten Mario Draghi – und damit gegen Merkel. Die musste sich dieser Übermacht beugen. Als die Kanzlerin sah, dass ihre Felle davonschwimmen, wurde Draghi kurzerhand zum Deutschen erklärt: Er firmierte fortan als „italienischer Preuße“, also einer, der es mit den deutschen Tugenden der Geldwertstabilität hält. 

Wortgeklingel. Der angeblich deutsche Italiener bietet den Deutschen mit einer sehr undeutschen, vielmehr angelsächsisch anmutenden Krisenpolitik im Stile der amerikanischen Notenbank die Stirn. 

In der Politik holen einen Fehler immer ein: Hätte Merkel damals nicht erst Weber vergrault und dann Draghi schlucken müssen, wäre ihr wohl jetzt diese finanz- und machtpolitische Schmach erspart geblieben. 

Der aktuelle Draghi-Putsch gegen Merkel zeigt, es macht sich zwar für die Kanzlerin innenpolitisch gut, wenn der Eindruck entsteht, dass ohne sie in Europa nichts geht. Bei Lichte betrachtet hat sie in den vergangenen Monaten aber immer wieder in Kauf nehmen müssen, dass bei wichtigen Personalfragen ohne oder sogar gegen sie entschieden wurde. Die Causa Weber/Draghi mit den akuten Konsequenzen reiht sich ein in eine Folge von Fällen, in denen Merkel bei wichtigen Personalbesetzungen im europäischen Finanzkontext den Kürzeren gezogen hat.

So hat Merkel für Deutschland ohne Gegenwert den Posten an der Spitze der Europäischen Bank für Wiederaufbau verloren: Der Amtsinhaber Thomas Mirow wollte keine zweite Amtszeit. Daraufhin wurde ein Franzose ausgeguckt, was gleichzeitig die Chancen für Wolfgang Schäuble gestärkt hätte, Eurogruppenchefs und damit Nachfolger von Jean-Claude Juncker zu werden. In das Vakuum deutscher Ratlosigkeit stieß schließlich ein Brite. Die wiederum verbaute für Schäuble den Weg in Richtung Eurogruppenchef.

Die Folge dieser fortunelosen deutschen Personalpolitik ist, dass derzeit nur eine Schlüsselposition von der finanz- und wirtschaftsstärksten Nation der Europäischen Union besetzt ist: Der deutsche Klaus Regling leitet den Rettungsschirm ESM. Der muss jetzt jenen 700-Milliarden-Euro-Fonds managen, den er nie gewollt und lange bekämpft hat.

Erfolgreiche deutsche Interessenpolitik in Europa sähe anders aus.

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