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Eurokrise - An Griechenland soll ein Exempel statuiert werden

Der bayerische Finanzminister Markus Söder forderte schon im August 2012, dass an Griechenland ein Exempel statuiert werden müsse. Nun wird seine Forderung womöglich umgesetzt, mit massiven Schäden für Griechenland, aber auch für die Zukunft der Europäischen Union. Eine weitaus bessere Option wäre ein gut vorbereiteter Euro-Ausstieg Griechenlands

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Professor für Politik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

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Die Finanzminister der Eurozone haben der griechischen Regierung am Montag geschlossen verdeutlicht, dass sie weitere Kredite nur bei einer Fortführung des bisherigen Sparprogramms bewilligen. Die griechische Seite lehnt diese Bedingung ab. Ihr erscheint ein Teil dieses Programms ökonomisch kontraproduktiv – zumal es zu einer Arbeitslosenquote von 26 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 50 Prozent geführt hat. Ob vor dem Auslaufen des aktuellen Hilfsprogramms Ende Februar noch eine Einigung erzielt werden kann, ist derzeit unklar. Ein erster Versuch der griechischen Regierung, die Verlängerung der Kredithilfen bei der EU zu beantragen, ist von deutscher Seite bereits abgelehnt worden.

Eine Fortsetzung der Konfrontation wird dazu führen, dass der griechische Staat bald seine regulären Ausgaben nicht mehr tätigen kann. Auch einer Reihe griechischer Banken droht in absehbarer Zeit der endgültige Bankrott, zumal die Bevölkerung zunehmend nicht nur die Zahlung von Steuern einstellt, sondern auch Einlagen von den Sparkonten abzieht. Der für 2015 prognostizierte Primärüberschuss, der die griechische Regierung von weiteren Hilfszahlungen vorübergehend unabhängig machen würde, könnte so nicht realisiert werden.

Die griechische Regierung kann in dieser Situation nur noch verlieren. Entweder gibt sie nach und akzeptiert die Fortsetzung des bisherigen Wegs, der das Land in eine schwere wirtschaftliche und soziale Krise geführt hat. Oder Griechenland wird de facto gezwungen, unvorbereitet aus dem Euro-System auszuscheren.

Ein ungeordneter Euro-Ausstieg spielt dem Rechtsextremismus in die Hände
 

Ein ungeordneter Euro-Ausstieg würde zu weiteren schweren Schäden in der bereits stark geschwächten Wirtschaft Griechenlands führen. Die humanitäre Krise Griechenlands würde sich nochmals intensivieren, etwa durch Ausfälle von Energie-und Medizinimporten. Das Land würde von einer Insolvenzwelle erfasst. Eine Hinwendung zum Rechtsextremismus wäre dann nicht mehr ausgeschlossen.

Auch die übrige europäische Wirtschaft dürfte kurzfristig in erhebliche Turbulenzen geraten. Vor allem die Finanzmärkte wiegen sich bisher in trügerischer Sicherheit. Besonders gefährdet sind in diesem Falle die Banken in Portugal, Spanien und Italien, denen ebenfalls ein massiver Kapitalabfluss droht. Dazu kommt eine gravierende Belastung der Haushalte aller Eurozonenmitglieder durch den Schuldenschnitt.

Im Gegensatz zur griechischen Seite wäre es den übrigen Regierungen der Eurozone wohl ein leichtes, die aktuelle Situation vorübergehend zu entschärfen, ohne vollkommen das Gesicht zu verlieren. Griechenland könnte eine Überbrückungsfinanzierung zur Verfügung gestellt werden, um in Verhandlungen mit der noch unerfahrenen neuen Regierung in Ruhe die Möglichkeit eines neuen Abkommens auszuloten. Eine solche Überbrückung könnte mit selektiven Konditionen versehen werden, wie es ein inoffizielles Kommissionspapier vorgeschlagen hat, das vom griechischen Finanzminister Varoufakis spontan akzeptiert wurde.

Bisher zeigt die von Deutschland angeführte Seite jedoch keinerlei Anzeichen eines Einlenkens. Das irritiert sogar die Öffentlichkeit außerhalb der Eurozone, artikuliert etwa von der Financial Times.

Warum nehmen die Regierungen der Eurozone das sich anbahnende Desaster in Kauf? Warum soll an Griechenland nun ein Exempel statuiert werden?

Die Motivation der Bundesregierung ist klar. Die harte Linie dient zur Abschreckung der anderen südlichen Mitgliedsländer, die unter der vom Eurozonen-Regime verhängten Austerität leiden. Sie unterstützt zudem die kooperative spanische Regierung gegenüber der Herausforderung durch die austeritätskritische Podemos-Bewegung. Das selbstbewusste Auftreten des griechischen Finanzministers und die unsäglichen Gleichsetzungen deutscher Politiker mit Nazi-Schergen führen schließlich dazu, dass die Bundesregierung im Einklang mit einem großen Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland handelt.

Der harte Kurs bedroht die Zukunft der EU
 

Die anderen südeuropäischen und vor allem die baltischen Regierungen teilen den harten Kurs der Eurozone oder führen ihn sogar verbal noch an, weil sie die bittere Troika-Medizin bereits selbst schlucken mussten. Im Baltikum führte diese Medizin zu schweren ökonomischen und sozialen Krisen sowie einer massiven Emigration der jungen Bevölkerung. Warum sollte Griechenland das erspart bleiben, zumal der durchschnittliche Lebensstandard dort noch etwas höher liegt?

Außerdem wollen die Eliten dieser Länder zum Kern der EU gehören. Die Konfrontation mit Russland verstärkt dieses Bedürfnis noch.

Auch wird die deutsche Regierung hinter den Kulissen dafür gesorgt haben, dass niemand aus der Phalanx ausscheidet. Das wäre nicht das erste Mal: Auf dem ersten Höhepunkt der Eurokrise bat die Bundesregierung die chinesische Regierung, den als Hilfsmaßnahme gedachten Ankauf von Schuldverschreibungen der Südländer einzustellen, um den Druck zu Strukturreformen nicht zu verringern.

Auf der Strecke bleibt bei diesem harten Kurs die Zukunft der Europäischen Union. Drohungen, Zwang und Ultimaten mögen ihren Platz in der internationalen Politik – oder auch im Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern – haben, für das versöhnliche Zusammenleben in Europa sind sie Gift. Die EU mutiert so von einer Vision von Demokratie, Wohlstand, Solidarität und friedlicher Kooperation zu einem harten Regime, das – unter deutschem Primat – nicht viel auf Legitimität, Selbstbestimmungsrechte und den Schutz der Schwachen gibt, sondern abweichendes Verhalten massiv sanktioniert.

Wir brauchen eine unorthodoxe Lösung
 

Vom bayerischen Finanzminister Söder muss man nicht unbedingt erwarten, dass er Überlegungen über die langfristigen Implikationen eines griechischen Exempels für die europäische Idee anstellt. Aber dass überzeugte Europäer wie Finanzminister Schäuble oder Außenminister Steinmeier diese massiven Kollateralschäden sehend in Kauf nehmen, ist dann doch erschütternd.

Auch wenn beide Seiten des griechischen Dramas nachvollziehbare Gründe für das Festhalten an ihrer starren Haltung haben, treibt die Europäische Union so auf eine desaströse Zukunftsperspektive zu. In einer solch verfahrenen Situation sollte man vielleicht über unorthodoxe Lösungen nachdenken, die für beide Seiten potenziell attraktiv sind.

Eine solche Lösung könnte darin bestehen, dass die Europäische Union Griechenland bei einem freiwilligen und gut vorbereiteten Ausstieg aus dem Euro massiv unterstützt. Dazu würde nicht nur das Abschreiben der Kredite der europäischen Institutionen gehören, sondern auch eine zusätzliche finanzielle Unterstützung zur Wiederbelebung der griechischen Wirtschaft, zur Abfederung der humanitären Krise und beim schwierigen Übergang zu einer Parallel- oder Alternativwährung zum Euro. Dazu gehören würde auch eine Unterstützung bei der Umstellung grenzüberschreitender Privatkontrakte und den zu erwartenden Streitigkeiten über deren Wert.

Eine solche Vorgehensweise würde die Gläubigerländer nicht wesentlich teurer kommen als der aktuelle Kurs. Die an Griechenland bereits vergebenen Kredite sind ohnehin weitgehend verloren, eine vollumfängliche Rückzahlung unrealistisch.

Die griechische Regierung wurde zwar mit einem klaren Mandat zur Fortsetzung der Euromitgliedschaft gewählt. Aber wenn es ihr gelingen sollte, Griechenland vom Großteil der Staatsverschuldung zu befreien und zugleich eine Anschubfinanzierung für ein neues Wirtschaftsregime auszuhandeln, dürfte sie eine faire Chancen auf Wahrung ihres Gesichts bekommen, auch wenn ihr hier ebenfalls eine Kehrtwende abverlangt wird.

Im Gegensatz zur nicht funktionierenden und nicht durchsetzbaren Politik der Troika würde ein solcher Schritt zumindest langfristig eine wirtschaftliche Perspektive für Griechenland eröffnen. In dieser Frist würde sich die Wettbewerbsposition griechischer Güter auf heimischen wie auswärtigen Märkten verbessern. Das Ende der Hängepartie in Bezug auf den Euro dürfte die Unsicherheit über die langfristige Entwicklung der griechischen Wirtschaft reduzieren und die Bereitschaft in Griechenland zu investieren, endlich wieder erhöhen. Ein gut vorbereiteter Euroaustritt Griechenlands würde schließlich auch der Europäischen Union eine Gelegenheit geben, sich zu besinnen und den Marsch in eine wenig attraktive Zukunft zu beenden.

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