Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
(picture alliance) Athen hat gewählt

Parlamentswahlen - Ende der griechischen Zitterpartie?

Nun, da die Griechen gewählt haben, sind längst noch nicht alle Fragen beantwortet. Denn jetzt hängt es davon ab, welche Koalition sich bildet – und um welchen Preis

Kaum ein Superlativ wurde ausgelassen, wenn es in diesen Tagen um die Bedeutung der Parlamentswahl in Griechenland ging. Denn nicht nur die Zukunft Griechenlands selbst, sondern die der europäischen Gemeinschaftswährung und damit die der Europäischen Union selbst stand auf dem Spiel.

Was bedeutet das Wahlergebnis?

Das griechische Wahlrecht belohnt die stärkste Partei zwar mit einem Bonus von 50 der 300 Parlamentsmandate. Sicher war aber bereits am Sonntagabend: Keine der beiden führenden Parteien wird eine absolute Mehrheit der Sitze erreichen. Damit steht Griechenland vor schwierigen Koalitionsverhandlungen.

[gallery:Griechenland: Jahre des Leidens]

Nach Zahlen vom Montagmorgen führt die konservative Neue Demokratie nach Auszählung von 99 Prozent der Stimmen mit 29,7 Prozent und kann ein Regierungsbündnis mit der Pasok (12,3 Prozent) bilden. Gemeinsam verfügen beide Parteien über eine Mehrheit im Parlament. Das Linksbündnis Syriza landete mit 27 Prozent auf dem zweiten Platz. Viele Anleger reagierten mit Erleichterung: Der Euro legte im Vergleich zum späten Freitagshandel einen knappen US-Cent zu. In Asien zogen die Aktienmärkte an und beim Dax wird zur Eröffnung ein Plus von gut zwei Prozent erwartet.

Gerechnet wird mit einem Bündnis der Parteien Neue Demokratie und Pasok, als Mehrheitsbeschaffer in Frage kämen aber auch die ultra-nationalistische Gruppierung Unabhängige Griechen, die laut Hochrechnungen vom Sonntagabend 7,6 Prozent erreichte, sowie die bei 6,2 Prozent liegende Demokratische Linke.

Eine Niederlage ist das Wahlergebnis für das Linksbündnis Syriza von Alexis Tsipras. Er will die Kreditverträge mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) einseitig aufkündigen, den Schuldendienst einstellen und die meisten in den vergangenen zwei Jahren beschlossenen Reformen zurückdrehen. Außerdem plant Syriza umfangreiche Verstaatlichungen. Die Polizei soll entwaffnet werden, die auf eine Million geschätzten illegalen Einwanderer will Syriza legalisieren, ihnen den Nachzug ihrer Familien und die Weiterreise in andere EU-Staaten ermöglichen. Zugleich versicherte Syriza-Chef Tsipras, er werde alles dafür tun, das Land in der Euro-Zone und in der EU zu halten. Das wäre aber schwierig geworden, wenn eine von Syriza geführte Linksregierung tatsächlich ihre programmatischen Vorstellungen in die Tat umgesetzt hätte. Dann hätte Europa die Hilfszahlungen eingestellt, das Land wäre wahrscheinlich schon im Sommer in die Pleite gestürzt.

Die konservative Nea Dimokratia will zwar grundsätzlich am Spar- und Reformkurs festhalten, mit der EU und dem IWF aber über eine zeitliche Streckung der Konsolidierungsvorgaben und konjunkturfördernde Maßnahmen für die griechische Wirtschaft verhandeln, die in der tiefsten und längsten Rezession seit Kriegsende steckt.

Wie verlief der Wahltag in Griechenland?

In der Nacht vor der Wahl hatten die Griechen allen Grund zur Freude. Nach dem sensationellen 1:0-Sieg ihrer Fußball-Nationalmannschaft gegen Russland bei der EM und dem damit erreichten Einzug ins Viertelfinale erleuchtete Feuerwerk den Athener Himmel und hupende Autokorsos durchquerten die Stadt. Und bei der EM selbst berührten sich einmal mehr Sport und Politik aufs Engste: Griechenlands Trainer Fernando Santos, wenngleich Portugiese, wies im Erfolgsrausch Mahnungen der deutschen Bundeskanzlerin, die Hellenen mögen an den Sparabmachungen festhalten, zurück: „Hier ist die Demokratie entstanden. Da ist es schwierig, uns Ratschläge zu geben.“

Griechenland erwachte am Wahltag in angespannter Hochstimmung. „Heute spricht das griechische Volk. Morgen beginnt eine neue Ära für Griechenland“, sagte der Chef der Konservativen, Antonis Samaras, nach der Stimmabgabe in seiner Heimatstadt Pylos. Vor Dutzenden Journalisten gab der Chef der Linken, Alexis Tsipras, seine Stimme in Athen ab. Zu Befürchtungen, Griechenland gehe bankrott, wenn die Linke gewinnt, sagte er: „Wir haben die Angst besiegt. Heute gehen wir einen neuen Weg. In ein Europa, das sich ändert.“

Seite 2: Was kommt jetzt?

In den ruhigen Wahlauftakt platzte gegen Mittag die Nachricht, dass zwei Handgranaten in den Hinterhof des griechischen TV- und Radio-Nachrichtensenders Skai geworfen worden waren. Die Sprengsätze explodierten jedoch nicht. Der Sender, der als proeuropäisch gilt und sich für tiefgreifende Reformen einsetzt, war zuvor gewarnt worden.

Was folgt nun nach der Wahl?

Sobald das offizielle Wahlergebnis feststeht, wird Staatspräsident Karolos Papoulias den Führer der stärksten Partei zu sich bitten und ihm einen Sondierungsauftrag zur Bildung einer Regierung erteilen. Dieses Mandat gilt für 72 Stunden. Hat der Chef der führenden Partei bei seinen Koalitionsverhandlungen binnen dieser Frist keinen Erfolg, geht das Mandat an den Führer der zweitstärksten Partei, danach gegebenenfalls an den der drittstärksten Kraft über. So war es im Mai, als es keinem der drei Parteichefs Samaras, Tsipras und Venizelos gelang, eine Mehrheit für eine Regierung zusammenzubekommen.

Diesmal sind die Politiker zum Erfolg verurteilt. Die finanzielle Lage des Landes hat sich in den vergangenen Wochen dramatisch verschlechtert. Am 20. Juli, so warnte Interims-Finanzminister Giannis Zannias bereits, sind die Kassen leer, dann kann der Staat keine Renten und Gehälter mehr zahlen. In den staatlichen Krankenhäusern herrschen katastrophale Zustände. Von den 1900 Bussen der Athener Verkehrsbetriebe stehen rund 400 in den Depots, weil es kein Geld für benötigte Ersatzteile gibt. Niedergang, wohin man blickt: Grünanlagen werden nicht mehr bewässert, Verkehrsampeln nicht mehr gewartet. Ohne neue Hilfskredite gehen in Griechenland womöglich schon bald die Lichter aus, denn selbst das Geld für Öl- und Erdgasimporte wird knapp. Die staatlichen Elektrizitätswerke warnen bereits vor drohenden Stromabschaltungen.

Wie reagieren die Geldgeber?

Das wichtigste wird sein, dass Griechenland so schnell wir möglich eine handlungsfähige Regierung hat. Nur dann gibt es die Aussicht, dass die Geldgeber in der EU weitere Kreditraten überweisen. Führende europäische Politiker signalisierten bereits, dass man an den Inhalten der Abmachungen nicht zu rütteln gedenkt, weil man sonst Begehrlichkeiten auch bei andern Krisenländern wecken würde. Doch möglicherweise wird der Zeitplan ein wenig gestreckt. Der Chef des Europaparlaments, Martin Schulz, verlangte, den Griechen „mit einem Wachstums- und Beschäftigungspakt und ein bisschen mehr Zeit zum Sparen“ wieder auf die Beine zu helfen, „damit sie ihren Verpflichtungen nachkommen können“. Ein solcher Kurs sei „im deutschen Interesse, denn wenn Euro-Zone und EU auseinanderbrechen, beginnen dunkle Zeiten auf unserem Kontinent“, sagte der SPD-Politiker dem Tagesspiegel.

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.