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(Petra Sorge) Beim armenischen Rundfunk werden heute weniger scharfe Witze über die Staatsführung gerissen als noch zu Zeiten der Sowjetunion.

Armenien - Eine Frage an Radio Eriwan

Die Witze von Radio Eriwan über die Pannen des Sozialismus gingen um die Welt. Doch der einst sprühende Humor des armenischen Senders wird heute durch eine rigide Staatsmacht und kühle Beziehungen zu den eigenen Nachbarn eingehegt.

Das Parkett, auf dem der sowjetische Humor seine Blüte fand, ist schon sehr abgenutzt. Die Holzlasur ist ausgeblichen. Die Panelen knarzen bei jedem Schritt. Der staatliche Rundfunk Armeniens hat seinen Sitz in einem hohen Altbau im Zentrum Eriwans, in einem Boulevard, der sich ringförmig um den Stadtkern zieht.

Hier, beim Radio Eriwan, wurden zu Zeiten des Sozialismus die weltberühmten Witze erfunden. Immer folgte auf eine scheinbar naive Frage aus dem Volk eine heikle Spitze auf die Parteikader, die Korruption oder die Mangelwirtschaft. Ein Beispiel ist diese Frage an Radio Eriwan: „Kann man in der Sowjetunion sein Leben in vollen Zügen genießen?“ Die Antwort des Senders lautete: „Im Prinzip ja, aber es kommt auf die Bahnstrecke an.“ [gallery:Radio-Eriwan-Witze]

Radio Eriwan, 1926 gegründet, ist heute Teil des Senders Armenian Radio Intercontinental. Im Büro des Programmchefs für die Unterhaltung, Vahe Hayrapetyan, stapeln sich die CDs. Die Hitze drückt. Hayrapetyan trägt eine Jeans und trinkt einen türkischen Espresso, der Kaffeesatz ist fingerdick. Der 43-jährige Komponist kam erst nach dem Zerfall der Sowjetunion zum armenischen Radio, doch wenn er über die berühmten Anekdoten spricht, könnte man meinen, er sei dabei gewesen.

„Mit dem Witzprogramm hat alles vor 58 Jahren angefangen“, erzählt er. Damals habe es einen Wettbewerb in der Unterhaltungssparte gegeben. Anschließend seien die besten Witze gesendet worden. Sie wurden ein großer Erfolg in der sozialistischen Welt und wurden in mehrere Sprachen übersetzt, auch ins Deutsche. Heute sendet das Radio aus 17 Studios in zwölf Sprachen.

Von den früheren Redakteuren, die beim ehemaligen Radio Eriwan für das Witzprogramm arbeiteten, sind nur noch eine Handvoll bei dem Sender angestellt. Die meisten sind im Ruhestand, einige sind ins Ausland gegangen, andere haben den Job gewechselt. So auch Mairanush Grigoryan. Die 58-Jährige arbeitet jetzt als Schauspielerin und Regisseurin. Beim Rundfunk ist sie nur freischaffend tätig.

Wenn Grigoryan über die früheren Zeiten spricht, ist das auch ein bisschen ein Schauspiel. Sie wirft ihre Arme in die Luft, und die lila Lesebrille um ihren Hals baumelt wild hin und her. Ihre gelockten blonden Haare wippen mit. 1976 sei sie zum Rundfunk gekommen, wo sie sowohl für das staatliche Fernsehen als auch den Rundfunk arbeitete. „Ich war beim ‚TV Theater‘, der einzigen derartigen Sendung in der damaligen Sowjetunion“, erinnert sie sich. „Nach einigen Jahren fragte mich der Chef der neuen Redaktion, Grigor Chalikyan, ob ich ein humoristisches Programm mit aufnehmen würde“. Und schon war sie Teil des Witzeteams von Radio Eriwan.

Lesen Sie hier, warum die Witze gerade in Armenien entstanden.

Die Redakteure hätten viele Witze selbst erfunden, einige seien auf der Straße erzählt und dann von den Programmmachern aufgegriffen worden. „Später kamen auch aus dem Ausland immer neue Varianten der Radio-Eriwan-Witze hinzu“, sagt Grigoryan. Natürlich habe es ab und zu empörte Anrufe von Parteikadern gegeben.

Dass die Witze ausgerechnet in Armenien entstanden, erklärt der stellvertretende Direktor des Senders, Hrachya Kostanyan, mit dem Frohsinn seines Volkes. „Das war die Mentalität hier.“ Allerdings sei Armenien zu Sowjetzeiten auch weniger repressiv gewesen als andere sozialistische Staaten: „Armenien liegt jenseits der Berge, jenseits des Kaukasus, weit von Moskau entfernt. Und deshalb fühlten wir uns hier sicherer und freier.“

Der Sender, der sich selbst als öffentlich-rechtlich bezeichnet, ist heute immer noch ein Staatsfunk. Finanziert wird das Radio von den Steuerzahlern, wie Kostanyan einräumt. Über eigene Mittel – zum Beispiel Werbeeinnahmen oder Gebührengelder, wie sie in Deutschland für die Anstalten der ARD und ZDF üblich sind – verfügt der Sender nicht. Kostanyan sagt, das Geld reiche trotzdem, und seine Mitarbeiter seien freier als je zuvor.

Das amerikanische Demokratieforschungsinstitut Freedom House hat die armenische Presse im vergangenen Jahr dagegen als „unfrei“ eingestuft. In einem internationalen Ranking der Organisation landete die Pressefreiheit in Armenien auf Platz 146 von 196 Ländern. Das Mediensystem rangiert damit noch hinter denen von korrupten Staaten wie Algerien, Kambodscha und Irak. Freedom House zufolge kontrolliert die Regierung unter Präsident Serge Sargsyan den Rundfunk auch über den Aufsichtsrat. In Privatsendern herrsche Selbstzensur. Auch aus Sicht der Deutschen Botschaft bedarf es bei der Umsetzung der Menschenrechte in Armenien noch „erheblicher Verbesserungen“.

Der Systemwandel drückt sich auch in einem veränderten Verständnis von Humor aus, erzählt die Künstlerin Mairanush Grigoryan. Heute lache man eher über Alltagssituationen oder über die Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Sie nimmt ihre Lesebrille ab, wird ernster. „Wenn wir politische Witze machen, etwa über Oppositions- oder Koalitionsparteien, nennen wir nicht die Namen der Parteien“, sagt Grigoryan.

Wenn sie vom armenischen Rundfunk spricht, redet die Künstlerin in der „wir“-Form, auch wenn sie nur noch wenige Stunden pro Woche hier arbeitet. „Wir wollen niemanden beleidigen.“ Noch vorsichtiger seien die Redakteure, wenn es um Schmähkritik an der Regierung gehe. „Wir wissen, dass wir vom Staat bezahlt werden“, räumt Grigoryan ein und zitiert einen armenischen Spruch: „Wenn man aus dem Fluss Wasser trinkt, sollte man diesen nicht vergiften. Deswegen sind wir unserem Radio treu.“

Lesen Sie hier, wie die Außenpolitik den armenischen Humor beeinflusst.

Der einst so berühmte armenische Scharfsinn wird auch durch schwierige Außenbeziehungen eingehegt. Über die eigenen Nachbarn – Türken und Aserbaidschaner – lacht heute kein Armenier mehr. „Es gab zu Sowjetzeiten Witze über sie“, betont Grigoryan. „Aber heute werden keine neuen mehr erzählt“.

17 Jahre nach dem Krieg mit Aserbaidschan herrscht zwischen den Kaukasusrepubliken lediglich Waffenstillstand. Einen Friedensvertrag gibt es nicht. Im Mittelpunkt des Streits steht die Region Berg-Karabach, die auf aserbaidschanischem Territorium liegt, aber überwiegend von Armeniern bewohnt ist. Während des Konfliktes starben nach Angaben der International Crisis Group auf beiden Seiten rund 30.000 Menschen, eine Million wurden vertrieben.

Auch mit der Türkei pflegt Armenien allenfalls eisige Beziehungen. Alle Grenzübergänge sind versperrt. Die überwiegend christliche Republik fordert, dass die Türkei den Massenmord an den Armeniern 1915 als Genozid anerkennt. Die Regierung in Ankara lehnt das jedoch ab.

„Natürlich macht man eher Witze über Leute, die man gern hat“, sagt der Chef des Unterhaltungsprogramms, Vahe Hayrapetyan, „denn man weißt ja nicht, wie die Witze ankommen.“ Er spricht dabei nicht über die früheren Spitzen gegen die ungeliebten Parteikader, sondern über Alltagswitze, die man etwa über seine Schwiegermutter oder über rückständige Landbewohner macht. „Der armenische Humor ist heutzutage stärker lokalisiert“, sagt der Komponist, „man lacht eher über das eigene Volk“. In Armenien würden etwa viele Späße über die Bewohner der jeweiligen Regionen gemacht – so, wie man in Deutschland über Ostfriesen oder Ossis schmunzelt. „In Kjavar sind sie etwa für ihre Trinksucht bekannt, und in Lori sind die Leute besonders naiv“, sagt Hayrapetyan.

Der Unterhaltungschef räumt ein, dass die Radio-Eriwan-Witze dennoch irgendwie unschlagbar waren: „Erst kürzlich habe ich für meine aktuelle Sendung ein älteres Programm ‚Witze über Eriwan‘ neu aufgelegt.“ Bei dem Sender sei noch das ganze Archiv voll von den heiteren Dialogen.

Erst kürzlich wurde eine Witzesammlung in mehreren Sprachen veröffentlicht. Im Vorwort des kleinen Heftchens heißt es, Radio Eriwan sei in der Sowjetunion eine „Wahrheitsstimme“ gewesen. Zugleich war es auch „die Volksstimme, der Schrei aus der Seele, der Durst nach Freiheit, die in Form eines Witzes zum Ausdruck kam.“ Auf den Fluren ist diese Stimme manchmal noch zu hören. Aber nur noch ganz leise.

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Sigrid Lehmann | Mo., 29. Oktober 2018 - 17:23

Ich war 1973 während einer Kaukasus Rundreise auch in Jerewan. Wir spielten im Bus bei längeren Fahrten dann immer " Radio Jerewan", das heißt jeder erzählte einen Witz. Natürlich habe ich sie fast alle vergessen ; nur einen nicht : "Frage an Radio Jerewan: warum haben einige Flaschen des berühmten Armenischen Cognac Etiketten mit fünf Sternen und andere nur mit drei Sternen? Antwort von Radio Jerewan: das wissen wir auch nicht, zu mal alle aus dem gleichen Fass kommen.`"