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(picture alliance) Neue Sparmaßen, neue Proteste - dieses Mal sind die Polizisten in Rage.

Sparmaßnahmen - Droht Griechenland der nächste Regierungswechsel?

Schicksalswoche in Athen. Griechenlands Parlament muss neue dramatische Kürzungen beschließen. Gibt es eine Mehrheit für die geplanten Reformen?

Im griechischen Parlament beginnt eine Schicksalswoche. Die Abgeordneten sollen über das neue Sparpaket und den Haushalt 2013 entscheiden. Die Verabschiedung ist nicht nur Voraussetzung für die Freigabe der dringend benötigten nächsten Kreditrate. Sie entscheidet auch über den Bestand der Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras.

Worüber wird in Athen gestritten?
Nach monatelangen, zähen Verhandlungen mit der Troika aus dem Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Union (EU) und der Europäischen Zentralbank (EZB) bringt die griechische Regierung diese Woche das umstrittene Spar- und Reformprogramm ins Parlament.

Das Paket sieht für die kommenden beiden Jahre Ausgabenkürzungen in Höhe von 13,8 Milliarden Euro vor, was rund sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) entspricht. Auf die Griechen kommen neue Rentenkürzungen zu, Gehälter im Staatsdienst werden beschnitten, Zulagen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld gestrichen, Ausgaben im Gesundheitswesen gekürzt, der Kündigungsschutz gelockert, zahlreiche Steuern erhöht. Am Mittwoch soll das Parlament im Eilverfahren über die Sparpläne, und am kommenden Sonntag um Mitternacht über den Haushalt abstimmen – rechtzeitig vor der Konferenz der Euro-Finanzminister am Montag kommender Woche. Nur wenn das Parlament Sparprogramm und Haushalt billigt, kann Griechenland damit rechnen, dass die Minister grünes Licht für die Freigabe der nächsten Kreditrate von 31,5 Milliarden Euro geben. Das eigentlich schon im Sommer fällige Geld benötigt die Regierung dringend.

Gibt es eine Mehrheit für die Reformen?
Doch ihre Mehrheit im Parlament bröckelt. Die drei Koalitionsparteien – die konservative Nea Dimokratia (ND) von Ministerpräsident Antonis Samaras, die sozialistische Pasok und die Splitterpartei Demokratische Linke (Dimar) – verfügten nach der Wahl vom Juni über 179 der 300 Sitze. Jetzt sind es nur noch 175. Die 16-Dimar-Abgeordneten wollen dem Sparprogramm ihre Zustimmung verweigern. Auch in der Pasok regt sich Widerstand. Beobachter erwarten eine knappe Mehrheit für das Paket. Aber auch ein Scheitern ist nicht auszuschließen. Vergangene Woche hatte Premier Samaras bereits eine Schlappe erlitten: Bei der Abstimmung über das Privatisierungsgesetz votierten mehrere Koalitionsabgeordnete gegen die Regierungsvorlage. Das Gesetz wurde mit nur 148 gegen 139 Stimmen dann doch gebilligt.

In pausenlosen Beratungen versuchte die Regierung am Wochenende, mögliche Abtrünnige zu halten. Ministerpräsident Samaras beschwor in einer Fraktionssitzung die Abgeordneten seiner ND: „Wir haben die Verpflichtung, eine drohende Katastrophe abzuwenden. Das Land ist in Agonie, es geht um die Zukunft unserer Kinder.“ Ein Scheitern des Programms werde zum Ausschluss Griechenlands aus dem Euro führen. „Dann verlieren wir in wenigen Monaten 80 Prozent unseres Lebensstandards“, warnte Samaras. „Unsere Gesellschaft würde sich auflösen, unsere Wirtschaft würde zerstört, unsere Demokratie würde explodieren.“ Auch Finanzminister Giannis Stournaras appellierte: „Ein einziger Fehler kann jetzt Griechenland in eine ungeordnete Insolvenz stürzen, unvorhersehbares Chaos auslösen und zum Verlust des Euro führen.“

Seite 2: Wie ist die Stimmung in Griechenland?

Wie ist die Stimmung in Griechenland?
Begleitet wird die Parlamentsdebatte von der massivsten Protestwelle seit Beginn der Krise. Für Dienstag und Mittwoch haben die Gewerkschaften zum Generalstreik aufgerufen. Bereits am heutigen Montag treten Rechtsanwälte, Taxifahrer, Krankenhausärzte, Journalisten und Müllabfuhr in den Ausstand. Auch Straßen- und Stadtbahnen werden bestreikt.

Scheitert das Sparprogramm im Parlament, würde das wohl den Sturz der im Juni gebildeten Regierung bedeuten. Die dann fälligen Neuwahlen könnten die politische Landschaft Griechenlands grundlegend verändern: Stärkste Partei in allen jüngst veröffentlichten Umfragen ist das Bündnis der radikalen Linken (Syriza), dessen Chef Alexis Tsipras den Schuldendienst einseitig einstellen und große Teile der Wirtschaft verstaatlichen will. Damit wäre der Abschied Griechenlands vom Euro und der EU vorgezeichnet.

Sparkurs, Rezession und steigende Arbeitslosigkeit – bereits jeder vierte Grieche ist ohne Job, unter den Jugendlichen sogar jeder zweite –, verschaffen politischen Extremisten Zulauf. Die Neonazi-Partei „Goldene Morgenröte“ ist in den Umfragen bereits drittstärkste politische Kraft, mit Stimmenanteilen von fast 15 Prozent. Fast täglich kommt es in Athen zu Übergriffen von Rechtsextremisten gegen Einwanderer, so am Samstagabend im Stadtteil Agios Panteleimonas, wo etwa 100 Neonazis Wohnungen und Geschäfte von Migranten demolierten und Ausländer durch die Straßen jagten. Rechtsextremistische Schlägertrupps machen immer häufiger Stadtviertel Athens unsicher, in denen Migranten leben. Ministerpräsident Samaras fürchtet „Weimarer Verhältnisse“ in seinem Land.

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