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(picture alliance) Der Kampf um die konservative Identität wird sich verschärfen

Das neue Amerika - Die Republikaner stehen vor einem Scherbenhaufen

Der Sieg der Demokraten zementiert ein neues Bild von Amerika: multiethnisch, anti-dogmatisch, solidarisch, tolerant. Für die Republikaner dagegen beginnt eine schwere Zeit

Der Wahlsieg von Barack Obama deutet auf ein neues Amerika hin. Es ist zunehmend multiethnisch, anti-dogmatisch, solidarisch, tolerant, weniger kirchengebunden. Für Obama stimmten überwiegend junge Menschen, Frauen, Latinos, Schwarze. Das war auch vor vier Jahren so. Überraschend ist, dass sich an dieser Koalition durch die zentralen Wahlkampfthemen – Wirtschaftslage, Staatsverschuldung, Gesundheitsreform – nichts geändert hat. [gallery:Barack Obama – Bilder aus dem Leben des mächtigsten Mannes der Welt]

Weil Minderheiten überproportional von Arbeitslosigkeit und Armut betroffen sind, hatten die Republikaner gehofft, in einigen der demokratisch gesinnten Wählergruppen neues Terrain zu erobern. Doch der Block steht. Mitt Romney kam über seine traditionelle Klientel - vereinfacht gesagt: weiße, verheiratete Kirchgänger – nicht hinaus. „Das ist eine Katastrophe“, sagte noch am Wahlabend der republikanische Parteistratege Steve Schmidt. „Dies muss das letzte Mal gewesen sein, dass die Republikanische Partei versucht hat, auf solche Weise eine Wahl zu gewinnen.“

Der demographische und kulturelle Trend ist eindeutig. Thomas B. Edsall von der Columbia University hat ausgerechnet, dass die Wählerschaft in Amerika alle vier Jahre zwei Prozent weniger weiß und zwei Prozent mehr multi-ethnisch wird. Denn Schwarze, Latinos und Asiaten bekommen mehr Kinder als Weiße. Zwischen 2000 und 2010 stieg die Zahl der „Asian Americans“ um 43,3 Prozent, der „African Americans“ um 12,3 Prozent, der Latinos um 43 Prozent – und die der Weißen um 5,7 Prozent.

Die Zahl der Wahlberechtigten in der Gruppe der Minderheiten steigt also kontinuierlich, sowohl absolut als auch in Relation zur Gruppe der Weißen. Bei gleich bleibendem Wahlverhalten gewinnen die Demokraten durch diesen gewissermaßen demographisch eingebauten Vorteil 1,7 Prozentpunkte hinzu.

Ein weiterer gesellschaftlicher Großtrend ist die nachlassende Kirchenbindung, besonders bei weißen Protestanten. Sie bilden die Stammwählerschaft der Republikaner. Doch während sich vor vierzig Jahren noch zwei Drittel der erwachsenen Amerikaner einer protestantischen Kirche verbunden fühlten, sind es heute nur noch 48 Prozent. Von der Schrumpfung profitieren nun nicht etwa andere Religionsgemeinschaften, sondern die „Nones“, die sich zu keiner Glaubensgemeinschaft zählen. Deren Zahl steigt schnell. Vor vierzig Jahren bezeichneten sich 7 Prozent der Amerikaner als „Nones“, vor fünf Jahren 15,3 Prozent, heute sind es bereits 19,6 Prozent, wie eine Studie des Forschungszentrums Pew ergab. „Nones“ sind überwiegend jung, sind sozial und kulturell linksliberal.

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Deutlich niedergeschlagen hat sich der gesamtgesellschaftliche Wandel am Wahltag sowohl in den Referenden zur gleichgeschlechtlichen Ehe und Legalisierung von Haschisch als auch in einigen Senatswahlen. In gleich drei Bundesstaaten – Maryland, Maine und Washington – stimmten die Wähler mehrheitlich für die Homo-Ehe. Das markiert eine historische Wende. Seit 1998 wurde keine der mehr als 30 Volksabstimmungen darüber gewonnen (die einzige Ausnahme in Arizona 2006 wurde zwei Jahre später durch ein zweites Referendum rückgängig gemacht). In sechs Bundesstaaten plus Washington D.C. wurde die Homo-Ehe indes per Parlamentsentscheidung legalisiert.[gallery:Barack Obama – Bilder aus dem Leben des mächtigsten Mannes der Welt]

Obama war der erste Präsident, der sich für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hat. Auch in dieser Frage bewies er Gespür. Vor acht Jahren noch war eine große Mehrheit der Amerikaner dagegen; im Jahr 2009 waren 49 Prozent dagegen, 41 Prozent dafür; in diesem Jahr sind 49 Prozent dafür und 40 dagegen. Die kulturellen Traditionalisten sind deutlich in der Defensive.

Eine Premiere gab’s auch beim Marihuana. Colorado und Washington sind die ersten Bundesstaaten, die künftig den Anbau, Besitz und Konsum von Marihuana in eingeschränktem Maße (bis zu einer Unze, das sind rund 28 Gramm) erlauben. Aus medizinischen Gründen ist der Besitz bereits in 17 Bundesstaaten legal. Aber der „recreational use“, frei übersetzt: das Kiffen zur Entspannung, war bislang überall verboten.

Nicht unerwähnt darf freilich bleiben, dass die Kalifornier gegen die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt haben. Offenbar spielen bei diesem Thema noch andere Faktoren eine entscheidende Rolle als die Ausweitung der individuellen Lebensführung.

Drei Senatsentscheidungen indes komplettieren das Bild. In Missouri und Indiana verloren die Wahl zwei evangelikale Republikaner, die von der Tea Party unterstützt worden waren. In beide hatten die Republikaner große Hoffnungen gesetzt, und beide lagen lange Zeit in Führung. Doch dann diskreditierten sich Todd Akin (Missouri) und Richard Mourdock (Indiana) durch Aussagen zur Abtreibung. Der eine sprach von „legitimer Vergewaltigung“, der andere von „gottgewollten“ Kindern nach einer Vergewaltigung. Obamas großer Erfolg bei den Frauen, von denen rund 55 Prozent für den Präsidenten votierten, erklärt sich wohl auch durch die abschreckende Wirkung solcher Bekundungen. In Wisconsin schließlich gewann mit Tammy Baldwin die erste offen lesbische Frau einen Senatssitz für die Demokraten.

Die Republikaner stehen nun vor einem Scherbenhaufen. Demographisch, kulturell und sozialpolitisch (Gesundheitsreform) haben sie sich marginalisiert. Obamas große neue Koalition liegt im Trend. Die Zahl der weißen, verheirateten Kirchgänger nimmt ab. Allerdings wird es schwer für die Republikaner, sich kulturell und einwanderungspolitisch zu öffnen. Die harte Haltung zur Abtreibung, Homo-Ehe und illegalen Einwanderung ist ein identitätsstiftendes Element der Tea Party und für große Teile der Evangelikalen. Ihnen war der weichgespülte Mitt Romney aus der Schlussphase des Wahlkampfes eher zu lasch. Moderate Republikaner hingegen halten es für den größten Fehler ihres Spitzenkandidaten, durch das Konzept der „self deportation“ illegaler Einwanderer viele Latinos verprellt zu haben. Der Kampf um Amerikas Seele ist entschieden, der um die konservative Identität wird sich verschärfen.

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