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(picture alliance) Hillary Clinton, Außenministerin der USA

Amerikas Strategie - Die Kunst des Führens

Das globale Mächtegleichgewicht verändert sich in bislang ungekannter Geschwindigkeit. Welche Antworten hat die einzige Weltmacht auf die komplexen Herausforderungen?

Anfang 2009, als ich Außenministerin der USA wurde, gab es Zweifel an der Zukunft der amerikanischen Vormachtstellung in der Welt. Wir waren mit zwei langen und teuren Kriegen konfrontiert, einer Wirtschaft im freien Fall, wackeligen Bündnissen und einem internationalen System, das der Last neuer Bedrohungen kaum noch gewachsen schien.

Vieles davon hat sich seither geändert. Die USA haben den Krieg im Irak beendet und den Rückzug aus Afghanistan eingeleitet; wir haben die amerikanische Diplomatie wiederbelebt, unsere Bündnisse ausgebaut und uns wieder stärker in den multilateralen Institutionen engagiert. Auch wenn die wirtschaftliche Erholung nicht so schnell erfolgt, wie es sich alle wünschen, stehen wir nicht mehr am Abgrund.

Heute herrscht Frieden zwischen den großen Mächten, kein totalitäres Reich bedroht die Weltgemeinschaft, wie es im Zweiten Weltkrieg und während des Kalten Krieges noch der Fall war. Stattdessen stehen wir vor anderen Herausforderungen – der Finanzkrise und der wachsenden Einkommensungleichheit, dem Klimawandel, der Nichtverbreitung von Atomwaffen und dem internationalen Terrorismus –, die grenzenüberschreitend sind und für die es keine unilateralen Lösungen gibt. Hinzu kommen neue Protagonisten, von aufstrebenden Wirtschaftsmächten bis hin zu nichtstaatlichen Akteuren wie Konzernen und Kartellen, die die internationale Landschaft verändern.

Die globale Machtgeometrie wird dezentraler und diffuser, während gleichzeitig die Herausforderungen komplexer und umfassender werden. Folglich wird das Schmieden von Allianzen für ein gemeinsames Handeln komplizierter, aber auch immer wichtiger.

Doch bei aller Veränderung sind zwei Dinge konstant geblieben: Erstens brauchen wir in einer Welt, die immer stärker vernetzt und verwoben ist, eine gerechte, offene und stabile internationale Ordnung, um Frieden und Wohlstand zu schaffen; zweitens ist diese Ordnung von der wirtschaftlichen, militärischen und diplomatischen Vormachtstellung der Amerikaner abhängig, die jahrzehntelang ein Garant für Frieden und Wohlstand auf der ganzen Welt war.

Für die USA bleiben die Bündnisse in Europa und Ostasien das Fundament ihrer globalen Führungsposition. Großbritannien und andere Alliierte sind unsere Partner erster Wahl, mit denen wir Seite an Seite in allen Fragen zusammenarbeiten – vom Stopp des iranischen Atomprogramms bis zum Schutz von Zivilisten in Libyen oder beim Kampf um eine Aids-freie Generation. Wir haben jahrzehntelang zusammengewirkt, um die globale Ordnung zu gestalten und ihre wesentlichen Prinzipien zu verteidigen. Die Zukunft dieser Ordnung hängt vom Fortbestehen unserer starken Partnerschaften ab.

Doch so wichtig und verlässlich unsere historischen Bündnisse auch sind, ebenso notwendig ist es, mit neuen Partnern zusammenzuarbeiten. Innerhalb kürzester Zeit sind neue regionale und globale Machtzentren entstanden – nicht nur Indien und China, sondern auch Länder wie die Türkei, Mexiko, Brasilien, Indonesien, Südafrika und Russland gehören dazu. Einige von ihnen sind Demokratien, die viele unserer grundlegenden Werte teilen. Andere haben davon abweichende politische Systeme und Perspektiven. Es ist nicht immer einfach, unsere Interessen miteinander in Einklang zu bringen – wir sehen, wie schwierig das etwa im Fall Syriens ist. Aber es gibt auch Erfolge: So haben wir mit breiter Unterstützung den Druck auf den Iran und Nordkorea aufrechterhalten, und wir haben erlebt, wie wertvoll es sein kann, nicht nur bilateral, sondern auch multilateral zu agieren, etwa im Rahmen der G 20.

Wir müssen Bereiche finden, in denen wir zusammenarbeiten können, und die diplomatischen Mechanismen ausbauen, mit denen wir Vertrauen schaffen und uns mit unseren Unterschieden arrangieren können. Der strategische und ökonomische Dialog mit China ist ein gutes Beispiel dafür wie auch der strategische Dialog zwischen Indien und den USA.

Unser Ziel ist, die sich vertiefenden bilateralen Beziehungen in eine robuste internationale Ordnung einzubetten: um regionale und globale Institutionen zu stärken und weiterzuentwickeln, die kollektives Handeln mobilisieren und Konflikte friedlich beilegen können; um einen Konsens über die Regeln und Normen zu finden, die für die Beziehungen zwischen Menschen, Märkten und Nationen gelten sollen; und um Sicherheitsvereinbarungen zu treffen, die Stabilität und Vertrauen schaffen. Damit das gelingt, müssen wir mit den aufstrebenden Mächten zusammenarbeiten. Wir haben beispielsweise mit einigen Ländern das Globale Forum zur Bekämpfung des Terrorismus oder die Koalition für Klima und saubere Luft, die den Ausstoß kurzlebiger Klimagase bekämpfen soll, gegründet.

Seite 2: Das Ideal eines internationalen Systems

Während wir diese Allianzen schmieden, dürfen wir aber nicht vergessen, dass es universelle Prinzipien gibt, die das Fundament unseres internationalen Systems bilden und die es zu verteidigen gilt: Grundfreiheiten und universelle Menschenrechte; ein offenes, freies, transparentes und faires Wirtschaftssystem; die friedliche Beilegung von Konflikten und die Wahrung der territorialen Integrität von Staaten. Dies sind Normen, von denen alle profitieren und die es allen Völkern und Nationen erlauben, in Frieden zu leben und Handel zu treiben.

Das internationale System, das auf diesen Werten basiert, hat den Aufstieg von Schwellenmächten wie China und Indien befeuert, nicht behindert. Diese Staaten haben profitiert von der Sicherheit, die diese Ordnung geboten, von den Märkten, die sie geöffnet, und dem Vertrauen, das sie geschaffen hat. Folglich haben sie ein Interesse am Erfolg dieses Systems. In dem Maße, in dem ihre Macht und ihre Möglichkeiten wachsen, werden sie ihrerseits auf wachsende und berechtigte Erwartungen stoßen – Erwartungen der Weltgemeinschaft, dass sie einen Anteil der globalen Herausforderungen schultern, und Erwartungen ihrer eigenen Bevölkerung, dass sie die Probleme im Inland lösen.

Ganz oben auf der Agenda steht das Südchinesische Meer. Es verbindet viele Länder des asiatisch-südpazifischen Raumes, von denen einige konkurrierende Ansprüche auf Gewässer und Inseln geltend machen. Die Hälfte der weltweiten Handelsfracht wird durch das Südchinesische Meer transportiert, das Interesse an der Sicherheit und der freien Zugänglichkeit dieses Seewegs ist daher groß. Zu versuchen, solch komplexe Streitigkeiten bilateral zu lösen, führt aber mit ziemlicher Sicherheit zu Verwirrung oder sogar Konfrontation. Die jüngst wieder aufgeflammten Spannungen im Südchinesischen Meer unterstreichen, wie wichtig ein multilateraler Ansatz wäre.

Nicht von ungefähr hat es sich die USRegierung zu einer ihrer Hauptaufgaben gemacht, mit regionalen Institutionen wie dem Ostasiengipfel und immer wirkungsvoller agierenden regionalen Akteuren wie der Arabischen Liga und der Afrikanischen Union zusammenzuarbeiten. Noch vor wenigen Jahren fehlte es diesen Institutionen an Mitteln und Glaubwürdigkeit. Doch das ändert sich rapide, und das ermöglicht es, bestimmte Länder ins Boot zu holen, um regionale Stabilität und Sicherheit an Brennpunkten wie dem Südchinesischen Meer oder dem Horn von Afrika voranzutreiben.

All diese Strategien, mit denen wir versuchen, dem Aufstieg neuer Mächte und den Anforderungen einer sich verändernden internationalen Landschaft zu begegnen, spiegeln eine grundlegende Erkenntnis wider: In der komplexen Welt von heute reicht es nicht mehr, nur stark zu sein. Großmächte müssen andere überzeugen. Die Bewährungsprobe für unsere künftige Führungsmacht wird sein, ob wir unterschiedliche Bevölkerungen und Staaten mobilisieren können, um an der Lösung gemeinsamer Probleme zu arbeiten und sich für gemeinsame Werte und Hoffnungen einzusetzen.

Wir haben erkannt, dass Länder wie China, Indien und Brasilien nicht so sehr wegen der Größe ihrer Armeen an Einfluss gewinnen, sondern aufgrund ihres Wirtschaftswachstums. Wir haben außerdem gelernt, dass unsere nationale Sicherheit heute von Entscheidungen abhängt, die nicht nur am diplomatischen Verhandlungstisch und auf dem Schlachtfeld getroffen werden, sondern auch an den Finanzmärkten und in den Produktionshallen. Daher wollen wir die Instrumente der Weltwirtschaft besser einsetzen, um unsere strategischen Interessen im Ausland voranzutreiben. So wollen wir innovative finanzpolitische Hebel finden, um den Druck auf das iranische Regime (wegen seines Atomprogramms) schrittweise zu erhöhen, oder öffentlich-private Partnerschaften eingehen, um die Energie und Expertise von Unternehmen bei der Bewältigung von Herausforderungen wie Klimawandel und Nahrungssicherheit zu nutzen.

Seite 3: Einsatz für universelle Menschenrechte als strategischer Imperativ

Und wir setzen auf die Jugend. Es ist ein wesentliches Merkmal unserer Zeit, dass die Menschen, vor allem aber die jüngeren, dank der vielen neuen Vernetzungstechnologien zu einer eigenen strategischen Macht geworden sind. Alle Regierungen, sogar autoritäre Regime, lernen zurzeit, dass sie die Bedürfnisse und Hoffnungen ihrer Bürger nicht ignorieren können. Wie wir im Nahen Osten und in Nordafrika gesehen haben, hat das weitreichende Auswirkungen auf die regionale und globale Stabilität.

Wir erkunden daher neue Wege, um über die traditionellen Regierungsbeziehungen hinauszugehen und mit Menschen auf der ganzen Welt direkt in Kontakt zu kommen. Wir nutzen Twitter, um den Dialog mit allen zu führen: mit Vertretern der Zivilgesellschaft in Russland, Bauern in Kenia oder Studenten in Kolumbien. Es bedeutet aber auch, dass wir eine umfassende Agenda vorantreiben, um den Demokratisierungsprozess in Ländern wie Tunesien, Ägypten und Libyen zu unterstützen und uns überall für die universellen Menschenrechte einzusetzen. Dies ist ein Markenzeichen amerikanischer Führungsmacht und ein strategischer Imperativ.

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Einsatz für die Menschenwürde im Ausland und der nationalen Sicherheit im Inland. Es ist kein Zufall, dass viele der Orte, an denen wir die größte Instabilität und die meisten Konflikte erleben, auch die Orte sind, an denen Frauen missbraucht und um ihre Rechte betrogen, junge Menschen ignoriert, Minderheiten verfolgt werden und die Zivilgesellschaft eingeschränkt wird. Man denke nur an die Taliban, die in Afghanistan Mädchenschulen niederbrennen, oder an Massenvergewaltigungen als Kriegswaffe im Kongo. Diese Arten des Missbrauchs sind nicht nur ein Symptom von Instabilität – sie treiben die Instabilität voran.

Ebenso wenig ist es Zufall, dass viele unserer engsten Verbündeten Staaten sind, die für Pluralismus und Toleranz stehen, für gleiche Rechte und gleiche Chancen. Dies sind keine westlichen Werte, es sind universelle Werte. Es liegt also in unserem Interesse, jenen zu helfen, die historisch davon ausgeschlossen waren, vollwertige Teilhabe am wirtschaftlichen und politischen Leben ihres Landes zu ermöglichen. Und es liegt in unserem Interesse, jene Menschen zu unterstützen, die auf einen demokratischen Wandel hinarbeiten, sei es in Tunis oder Rangun. Andernfalls werden wir die immer gleichen Zyklen von Konflikt und Instabilität erleben.

Vor allem die Gleichstellung von Frauen und Mädchen überall auf der Welt ist wesentlich, wenn wir langfristig Frieden, Demokratie und nachhaltige Entwicklung fördern wollen. Wir wissen, dass Frauen, wenn sie am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben teilhaben, Fortschritt nicht nur für sich selber bringen, sondern für ganze Gesellschaften. Goldman Sachs hat errechnet, dass der Abbau von Zugangsbarrieren für Frauen am Arbeitsmarkt das amerikanische BIP um 9 Prozent erhöhen würde, das der Eurozone um 13 Prozent und das japanische um 16 Prozent. Wir können es uns nicht leisten, auf dieses Wachstum zu verzichten. Wir haben ehrgeizige Versuche gestartet, die Teilhabe von Frauen am Wirtschaftsleben zu erleichtern: Wir haben ihnen mehr Zugang zu Krediten und Märkten verschafft, ihre Rolle bei der Lösung von Konflikten und der Schaffung von Sicherheit gestärkt und uns auf globale Gesundheitsprogramme konzentriert, die sich an Mütter und ihre Bedürfnisse richten, die der Dreh- und Angelpunkt ganzer Gemeinschaften sind.

Auch wenn wir nach neuen Partnerschaften suchen und nach neuen Wegen, Probleme zu lösen, wird es dennoch Zeiten geben, in denen die USA stark, direkt und alleine handeln wollen und müssen – wie etwa bei der Verfolgung von Osama bin Laden geschehen. Solche Anlässe wird es selten geben, und wir werden diese Maßnahmen als letztes Mittel betrachten, aber es wird sie geben, da wir unsere Verantwortung als globale Führungsmacht und unsere Verantwortung gegenüber dem amerikanischen Volk ernst nehmen.

Nicht von ungefähr wird unsere Führungsmacht immer noch respektiert und gebraucht. Das liegt an unserer militärischen und materiellen Stärke, aber es liegt auch an unserem Bekenntnis zu Fairness, Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie – nicht nur für unser eigenes Wohl, sondern für das Gemeinwohl.

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