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OSZE-Vorsitz 2016 - Wie Deutschland den Friedensstifter probt

Deutschland übernimmt zum 1. Januar den Vorsitz der OSZE. Leicht gesagt, dass damit 2016 alles friedlicher wird. Denn die Aufgaben, vor denen die Bundesregierung steht, sind kaum lösbar

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Wulf Schmiese leitet das „heute journal“ im ZDF. Zuvor hat er als Hauptstadtkorrespondent, jahrelang auch für die FAZ, über Parteien, Präsidenten, Kanzler und Minister berichtet.

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Wird 2016 besser, friedlicher? Deutschland hat sich verpflichtet, daran mitzuwirken: Es übernimmt am 1. Januar den Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Die größte sicherheitspolitische Regionalorganisation der Welt wird damit von Berlin aus geführt.

Das sei ein „Glücksfall der Geschichte“, sagt Hans-Dietrich Genscher der Bild-Zeitung. Doch das sagt sich leicht für den ehemaligen Außenminister, der in seiner aktiven Zeit den Höhepunkt des Friedens in Europa erlebte – eben genau mit diesem sicherheitspolitischen Bündnis.

Im Kalten Krieg war Europa zerrissen zwischen Ost und West. 1975 gab es auf Betreiben der Bonner Regierung unter Kanzler Helmut Schmidt eine Annäherung zwischen den Blöcken. Grund war die Unterzeichnung der Schlussakte von Helsinki.

Euphorie nach Ende des Kalten Krieges


Das war die Gründung der OSZE-Vorgängerorganisation, der KSZE. Die Konferenz wollte für eine im Wortsinn umfassende Sicherheit sorgen, ideologische Blöcke überwindend. Im Kern bestand das Neue darin, dass der Westen die Territorien des Ostblocks anerkannte. Der Osten sagte dafür aber zu, dass die Menschenrechte in diesen Staaten eingehalten werden. Das wiederum half später bei der Überwindung der osteuropäischen Diktaturen.

Die Bemühungen mündeten vor 25 Jahren in einem nahezu universalen Friedensvertrag, an dem übrigens Außenminister Genscher beteiligt war: Ende November 1990 haben alle Mitglieder der KSZE die „Charta von Paris“ unterzeichnet. Das war der Entwurf einer weltumspannenden Friedensordnung, die von Vancouver bis Wladiwostok reichen sollte, von Nordamerika bis Zentralasien.

Es war die optimistische Phase nach der Wende in Osteuropa und vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion. In den USA wurde da schon vom fröhlichen „Ende der Geschichte“ fabuliert, und in Deutschland war die Begeisterung so groß, dass man Michail Gorbatschow wenn möglich zum Weltkurdirektor gekürt hätte: auf den immer währenden Frieden!

Die OSZE ist völlig machtlos


Die Euphorie war ein Trugschluss, wie sich bald zeigte. Die KSZE wurde 1995 in OSZE umbenannt – ihren rapiden Bedeutungsverlust hielt das aber nicht auf. Dabei ist die OSZE die einzige sicherheitspolitische Organisation, in der nicht nur die Nachfolgestaaten der Sowjetunion und die USA Mitglieder sind, sondern alle europäischen Länder. Außer Kosovo. Das hat Serbien verhindert, das soeben den Vorsitz an Deutschland übergeben hat. Und hier zeigt sich, worin eines der größten Probleme der 57 OSZE-Staaten liegt – im Prinzip der Einstimmigkeit, das noch aus KSZE-Gründungszeiten stammt.

Diese Mammutorganisation hat es in den vergangenen zwölf Jahren nicht geschafft, auch nur einen einzigen gemeinsamen politischen Beschluss zu fassen. Die Machtlosigkeit der OSZE ist also messbar. Dennoch hat Deutschland ausgerechnet hier einen Hebel für Frieden gesehen, den es nun selbst bedienen will.

In der Krim-Krise bewarb sich Berlin um den Vorsitz


Die faktische Wiederbelebung der OSZE begann mit der Krim-Krise und dem Krieg in der Ostukraine 2014. Im selben Jahr erklärte sich Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier bereit, den OSZE-Vorsitz für 2016 zu übernehmen. Dieser wird immer zwei Jahre im Voraus bestimmt.

Das Auswärtige Amt hatte einen Grund: Es wollte inmitten der schwersten Krise der europäischen Sicherheitsordnung seit 1990 das eigene diplomatische Gewicht erhöhen. Als Anfang Dezember auf dem OSZE-Ministerrat in Belgrad der Führungsstab von Serbien offiziell an Deutschland übergeben wurde, verpflichtete sich Steinmeier, die OSZE als Ganzes zu stärken. „Dialog erneuern, Vertrauen wieder aufbauen, Sicherheit wiederherstellen“, das sind seine drei großen Ziele für 2016.

Diese Vorsätze klingen floskelhaft und schwer nach hohler Diplomaten-Sprache. Tatsächlich hat die OSZE weitgehend als bloße Gesprächsrunde gedient. Doch das war und ist nicht wenig. So haben die Außenminister der Türkei und Russlands auf dem letzten Ministerrat immerhin 40 Minuten miteinander gesprochen, obwohl wegen des Jet-Abschusses über Syrien zwischen beiden Staaten Eiszeit herrscht.

Deutschland will die OSZE zum Dialogforum ausbauen. Darin soll – wie im russischen-türkischen Streit oder im Ukraine-Konflikt – der Bruch grundliegender Prinzipien zwar klar benannt werden. Aber die Folge darf eben nicht Sprachlosigkeit sein, sondern das Gegenteil: Jeweils beide Seiten sollen Wege finden, über die sie Vertrauen zueinander wiederfinden. Oft hilft dabei die Abwehr gemeinsamer Feinde. Insofern könnte die Abwehr der Terrormiliz IS hier hilfreich wirken.

Putins Hebel gegen die OSZE


In dem Erkennen einer gemeinsamen Bedrohung liegt aber auch ein Problem für die OSZE. Russland ist nicht mehr derart auf den Dialog über die OSZE angewiesen wie noch 2014. Damals war Moskau weltpolitisch isoliert und brauchte den OSZE-Tisch. Inzwischen ist es wegen seines Einsatzes im Syrienkrieg wieder ein Akteur, an dem niemand vorbei kommt. Putin könnte die OSZE-Einsätze in der Ukraine zu einem Ende bringen, wie es Deutschland nicht wünschen kann.

In der Ukraine laufen zwei OSZE-Missionen, an denen sich Russland beteiligt: die Special Monitoring Mission (SMM) umfasst 610 internationale Beobachter aus 46 OSZE-Staaten, davon 500 in der Ost-Ukraine. Sie sollen dort den Waffenabzug und die Einhaltung der Waffenruhe kontrollieren. Das SMM-Mandat endet am 31. März 2016, Deutschland will es verlängern. Hier könnte Russland noch zustimmen.

Immer fraglicher aber scheint das bei dem anderen OSZE-Mandat. Es ist die Observer Mission (OM), die Grenzbeobachtung zwischen ukrainischem und russischem Staatsgebiet. Schon jetzt hat Russland die Ausweitung des bislang nur auf zwei Grenzübergänge begrenzten Mandats verhindert. Sollte es der für Januar 2016 geplanten Verlängerung nicht zustimmen, hätte die Ukraine einer sogenannten „frozen conflict“, einen eingefrorenen Konflikt. Sie wäre gelähmt. So wie Georgien und weitere OSZE-Mitgliedsstaaten, die wegen ihres ungelösten Grenzkonflikts keine Chance haben auf irgendwelche Aufnahmeverhandlungen mit der EU oder der Nato.

Der Altmeister Genscher will jedoch, dass sich Deutschland vom Gestrüpp der Gegenwart nicht aufhalten lässt. Schließlich sei Deutschland der Motor des KSZE-Prozesses gewesen, und es sollte den Ehrgeiz haben, diesen neu anzuwerfen. „Die Geschichte pflegt ihre Angebote nicht beliebig oft zu wiederholen“, mahnt Genscher. „Die Gefahr ist groß, dass dauerhaft verspielt wird, was vor 25 Jahren eingeleitet wurde. Deshalb sollte Deutschland im Vorsitz der OSZE die Charta von Paris wieder auf die Tagesordnung der Länder von Vancouver bis Wladiwostok setzen.“

Leicht gesagt, schwer getan. Es wäre ein Wunder, wenn das 2016 gelingen würde.

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