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Deutsch-französische Beziehungen - Angela Merkel als Feindbild

Berlins strikter Sparkurs gefährdet die deutsch-französische Partnerschaft. Wer von dieser Situation profitiert? Die Präsidentin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen

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Leiterin des Frankreichprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

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Just im Jubiläumsjahr des vor 50 Jahren unterzeichneten Élysée-Vertrags befindet sich die deutsch-französische Beziehung in ihrer schwersten Krise seit dem Ende des zweiten Weltkriegs. Der mächtige linke Flügel der regierenden sozialistischen Partei Frankreichs (PS) hat die Europapolitik Angela Merkels zu ihrem „Feindbild“ erklärt. In der ersten, unter äußerem Druck dann aber noch abgeänderten Version eines für den kommenden Parteitag konzipierten internen Papiers prangern die französischen Sozialisten die „egoistische Unnachgiebigkeit“ Angela Merkels an und geißeln sie als „Sparkanzlerin, die an nichts anderes denke als an die Einlagen der Deutschen und die Handelsbilanz der Bundesrepublik“. Einen besonders bitteren Beigeschmack hat die Affäre dadurch, dass Claude Bartolone, der als Parlamentspräsident das vierthöchste Staatsamt in Frankreich innehat, die Kritik ausdrücklich unterstützt und Staatspräsident François Hollande sich erst spät und nur halbherzig und verklausuliert  davon distanziert hat.

In seiner Wortwahl ist der Angriff auf die Bundeskanzlerin bewusst verletzend und exzessiv – und somit inakzeptabel. Tatsache ist aber auch, dass eine überwältigende Mehrheit der französischen Politiker, Experten, Journalisten und Ökonomen die Kritik inhaltlich teilt, auch wenn sie aus Höflichkeit und berechtigter Angst vor einem Zerwürfnis mit Deutschland ihre Überzeugung nicht in dieser quasi-offiziellen Form zum Ausdruck bringen würden. Selbst die ehemalige französische Wirtschafts- und Finanzministerin und heutige Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, hat bereits 2010 im Kern nichts anderes ausgedrückt, als sie die „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ und „egoistische Handelspolitik“ Deutschlands beklagte.

Die Massenarbeitslosigkeit in Frankreich wächst stetig – laut Statistik betrifft sie heute 3,2 Millionen Menschen, in Wirklichkeit sind es aber mehr als 5 Millionen; in der Euro-Zone sind es knapp 30 Millionen. Vor diesem Hintergrund verlangen die Franzosen, dass Deutschland die Rolle einer europäischen Konjunkturlokomotive übernimmt, vor allem aber seine Forderung nach einer strikten Sparpolitik beendet und sich EU-Wachstumsprogrammen nicht länger verweigert. Angesichts des anhaltenden Nullwachstums in Frankreich und der fortschreitenden Verarmung breiter Schichten in Südeuropa ist das deutsche Beharren auf die schnellstmögliche Konsolidierung der Staatshaushalte aus Pariser Sicht nicht mehr nachzuvollziehen. Ebenso wenig versteht man dort die deutsche Gelassenheit bei der Umsetzung der Bankenunion. Sie gilt auf französischer Seite als Voraussetzung für den Erhalt von niedrigen Zinsen.

Die Kritik der PS an Angela Merkel auf germanophobe Reflexe der französischen Elite zurückzuführen, ist somit irreführend. Natürlich gibt es diese Tendenz und sicher schwillt sie unter den gegebenen Umständen an. Aber genauso zeigt sich auch in Deutschland eine frankophobe Arroganz gepaart aus Ironie angesichts der jüngsten Sex- und Finanzskandale der französischen Elite und einer kaum verhohlenen Verachtung über die aus deutscher Sicht marode französische Wirtschaft. Sie äußert sich in der gehässigen Tonlage der deutschen Kritik an der „Reformunfähigkeit“ Frankreichs, der überhöhten Staatsquote der „Grande Nation“, dem ineffizienten Zentralismus und der Streikwut seiner Bürger. Diese deutschen Töne rufen in Frankreich ein ähnlich lautes Echo in den Medien, den Ministerien, in Wirtschaft und Expertenzirkeln hervor wie die französische Kritik in Deutschland.

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So überspitzt und verletzend diese gegenseitigen Vorwürfe sein mögen: Sie haben einen wahren Kern. Frankreich leidet zweifellos nicht nur an der europaweiten Rezession, sondern an dem starken Widerstand des Landes gegen notwendige Strukturreformen. Eine Agenda 2010 „à la française“ ist unabdingbar, nur kann sich Frankreich im Gegensatz zur Bundesrepublik nicht auf ein mächtiges und engmaschiges Netz kleiner und mittlerer Unternehmen stützen, die in der Lage wären, die arbeitsmarktpolitischen Impulse einer mutigen Reformagenda umzusetzen. Die Ausgangslage für den in den Umfragen dramatisch abgestürzten Staatspräsidenten ist somit äußerst ungünstig. Das bürgerliche Lager ist tief zerstritten und kann von dieser Situation kaum profitieren. Auch ein politisches Comeback des in mehrere Finanzskandale verstrickten ehemaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy ist unwahrscheinlich. Insofern würde ein „nationales Bündnis“, das sich eine große Mehrheit der Franzosen nunmehr wünscht, die Regierungsprobleme eher verschärfen als lösen.

Nutznießerin dieser Entwicklung ist die Präsidentin des rechtsextremen Front National, Marine Le Pen. In den Umfragen steht sie inzwischen an zweiter Stelle und ihre Partei gewinnt kontinuierlich an Zustimmung. Bei einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl käme sie mühelos in die Stichwahl, und selbst ein Wahlsieg von Le Pen kann nicht mehr völlig ausgeschlossen werden. Sollte sich diese Entwicklung bestätigen, könnte sie zur Auflösung der Nationalversammlung, der Einführung des Verhältniswahlrechts und damit einem massiven Einzug des Front National und des linksradikalen Front de Gauche ins französische Parlament führen – aktuellen Umfragen zufolge mit mehr als 40 Prozent der Sitze.

In diesem Szenario erscheint plötzlich ein Austritt Frankreichs aus der Eurozone, im Extremfall sogar aus der EU möglich. Nicht nur die französische Demokratie wäre bedroht, sondern auch die deutsch-französische Partnerschaft, ebenso wie die gesamte Friedens- und Wirtschaftsordnung Europas. Berlin muss sich dieser realistischen Perspektive bewusst sein – wie auch der Tatsache, dass nicht die Hyperinflation zu Beginn der Weimarer Republik die Machtergreifung Hitlers ermöglicht hat, sondern die Deflations- und Austeritätspolitik des Reichskanzlers Heinrich Brüning zwischen 1930 und 1932.


(Claire Demesmay ist Leiterin des Frankreichprogramms der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Hans Stark leitet das Studienkomitee für deutsch-französische Beziehungen im Institut français des relations internationales (Ifri) in Paris und ist Professor für deutsche Landeskunde an der Sorbonne.)

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