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(flickr: Freedom Mag) Er gilt als kompromisslos und unerbittlich

Scientology-Chef David Miscavige - Der pseudo-religiöse Diktator

Der Ober-Scientologe ist reich und einflussreich. Aussteiger berichten, er sei ein Soziopath, der die unbedingte Macht wolle. Inzwischen lebt er quasi militärisch abgeschirmt als Diktator einer Sekte mit Auflösungserscheinungen. Es heißt, er sei zum äußersten bereit

Ausgerechnet Tom Cruise. Es ist nicht bekannt, wie David Miscavige auf die Nachricht reagiert hat, dass Katie Holmes sich von Hollywoods Superstar scheiden lässt. Doch amüsiert wird der Scientology-Chef über die Meldungen nicht gewesen sein. Es ist gewiss nicht schön zu lesen, dass Katie Holmes die gemeinsame Tochter Suri vor der bösen Sekte ihres Mannes schützen wollte und sich deshalb von ihm trennt. Schließlich ist Tom Cruise Scientologys wichtigster Werbeträger – und der beste Freund von David Miscavige.

Der Sektenführer scheut die Öffentlichkeit, ganz anders als der charismatische Scientology-Gründer L. Ron Hubbard. Der knapp 1,70 Meter kleine, 52 Jahre alte „Vorstandsvorsitzende“ verbirgt sich meist hinter den Mauern der Scientology-Bürohäuser in Hollywood oder der schwerbewachten „Gold Base“ in der kalifornischen Wüste. Glaubt man abtrünnigen Top-Scientologen, so führt er das ausschweifende Leben eines karibischen Diktators und agiert zugleich kühl wie der Chef eines multinationalen Konzerns – der er auch ist.

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Zu wirklich großer Form läuft der Mann mit den scharfen Gesichtszügen stets auf, wenn er auf den glamourösen Meetings seiner Organisation in Hollywood davon spricht, wie die „weltweite Expansion von Scientology“ noch energischer vorangetrieben werden könne. Bei diesen Versammlungen sitzen die Hollywood-Berühmtheiten in der ersten Reihe, neben Tom Cruise beispielsweise John Travolta, Kirstie Alley, Juliette Lewis. Der Fischzug in der Filmbranche war eine Idee des 1986 verstorbenen Hubbard, und Miscavige hat sie umgesetzt. Er hat verstanden, dass Macht in Hollywood Macht in der Öffentlichkeit und sogar Macht in der Politik bedeutet.

Vielleicht war es auch Miscavige, der deshalb jetzt dafür sorgte, dass die Scheidung von „TomKat“ schnell geregelt wurde. Mit Tom Cruise geht Miscavige seit 20 Jahren Gleitschirm springen, Motorrad fahren und Tontauben schießen. Ehemalige Top-Scientologen haben keinen Zweifel daran, dass Miscavige die Regeln ihrer Beziehung definiert und er den Superstar – als eine Art bürgerliches Alter Ego – losschickt, um beispielsweise Politiker in den USA zum Protest gegen die angebliche Diskriminierung von Scientology in Europa zu gewinnen.

Es war Miscavige gewiss nicht in die Wiege gelegt, Hollywoodstars wie Schachfiguren zu benutzen. Ebenso wenig wie voraussehbar war, dass er als Vorsitzender des scientologischen „Religious Technology Center“ in Los Angeles, mitten in einem der freiesten Länder der Erde, eine totalitäre Gehirnwäsche-Organisation leiten würde. Der Erbe Hubbards stammt aus kleinsten Verhältnissen und machte bei Scientology eine uramerikanische Karriere – vom Laufburschen zum Milliardär. „Er ist extrem eitel, aber auch sehr intelligent“, sagt sein ehemaliger Geheimdienstchef Mike Rinder, der 2007 ausstieg. „Doch er nutzt seine Intelligenz für böse Dinge. Er ist wirklich der Diktator von Scientology. Ein verrücktes Genie. Wenn er sich von dir gekränkt fühlt, wird er das nie vergessen – und dir das Messer in den Rücken stechen, wenn du es überhaupt nicht erwartest.“

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David Miscavige wurde 1961 in eine polnisch-italienische Einwandererfamilie in Philadelphia geboren. Als er zehn Jahre alt war, begann sein Vater, der die Familie als Trompeter durchbrachte, in der lokalen Scientology-Filiale („Org“) sogenannte Auditings zu buchen, Rückführungen in vergangene Leben am Lügendetektor („E-Meter“). Weil David unter Asthma litt, nahm ihn der Vater mit in die Org – und die Beschwerden verschwanden, zumindest eine Zeit lang. Miscavige sagte später, er habe damals gefühlt: „Das ist es. Ich habe die Antwort.“ Kurz danach ging die Familie für drei Jahre nach England, um dort „clear“ zu werden. Nach der Rückkehr in die USA entschied sich der 15-Jährige, fortan nur noch für Scientology zu arbeiten. Der ehrgeizige Jugendliche fand zunächst Verwendung als Laufbursche. Bald aber wurde er für die „Messenger Org“ rekrutiert, eine Elitetruppe aus halbwüchsigen Kindern von Scientologen, die unmittelbar dem Sektenchef Hubbard unterstanden.

1979 fand in Washington ein aufsehenerregender Prozess gegen die Führung des Scientology-Geheimdiensts statt wegen Verschwörung gegen die USA, bei dem elf Top-Scientologen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Hubbard tauchte damals unter, und Miscavige wurde sein wichtigster Verbindungsmann zur Zentrale in Hollywood. Der Aufsteiger nutzte Hubbards Protektion und die internen Wirren, um 1982 gegen das Scientology-Management zu putschen. Handstreichartig kaperten er und seine „Messenger“-Kumpel – ungebildete, wilde Jungen, die nichts als Scientology gelernt hatten – ein globales Unternehmen, das einen jährlichen Umsatz von rund 300 Millionen Dollar machte und Tausende von abhängigen Kunden besaß.

Anschließend begannen der 21-Jährige und sein Führungsstab, den Psychokonzern militärisch straff durchzuorganisieren. Doch gingen sowohl die Strapazen des Machtkampfs wie die unkontrollierten Wutanfälle Hubbards an Miscavige nicht spurlos vorbei. Der Aussteiger Jesse Prince, damals die Nummer zwei in der Scientology-Spitze, beobachtete schreckliche Asthma-Attacken des jungen Führers. „Mit Hubbard unmittelbar zu tun zu haben, war eine traumatische Erfahrung.“ Vielleicht empfand Miscavige es als Befreiung, als der Sektengründer 1986 im kalifornischen Creston starb. Die Stärke des Nachfolgers war es, dass er die Sekte nach dem Verlust des charismatischen Führers darauf einschwor, dessen Werk fortzusetzen. Zugleich begann er, um Hollywoodstars zu werben, denen die Sekte Seelenmassage und Hilfe beim beruflichen Aufstieg versprach.

Die größte Aufgabe aber, die vor Miscavige lag, war, den jahrzehntelangen Streit mit der Steuerbehörde IRS zu lösen, deren Millionen-Dollar-Forderungen den Bankrott für Scientology bedeutet hätten. Miscavige ging zweigleisig vor. Zunächst begann er, große Summen aus den USA auf Konten in Europa zu leiten. Sein Ex-Finanzchef Marty Rathbun, der 2004 ausstieg, beziffert den Wert des Scientology-Vermögens auf derzeit rund drei Milliarden Dollar. Er bestätigt zudem, dass es Scientology gelang, die Steuerbehörde mit 2300 Klagen gegen einzelne Sachbearbeiter fast lahmzulegen: „Das hat ausgereicht.“ Die Behörde kapitulierte und gewährte Scientology 1993 völlige Steuerfreiheit. Der Coup machte aus einer Sekte, die damals auch in Amerika als verrückt und gefährlich galt, eine respektable „Kirche“ mit Steuerprivilegien und Protektion durch die US-Regierung. „Der Krieg ist vorbei!“, jubelte Miscavige vor Tausenden Anhängern in Hollywood.

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Der „Vorstandsvorsitzende“ bezieht nach offiziellen Angaben nur ein sehr bescheidenes Geschäftsführergehalt. Doch Jesse Prince konnte „Daves“ Verwandlung vom bettelarmen Boten in einen der vermutlich tausend reichsten Männer Amerikas direkt miterleben. Während seine Untergebenen oft gerade mal 25 Dollar in der Woche verdienten, habe sich der junge Scientology-Herrscher maßgeschneiderte 250-Dollar-Hemden gegönnt, sagt Prince. Ein Stab von bis zu 20 scientologischen Butlern, Dienstmädchen, Boten und Bodyguards sei nur für den Chef tätig. Sein Reisebudget sei unbegrenzt, wenn er mit Entourage zum Shoppen nach Paris oder zum Hochseefischen auf die Bahamas fliege. Seine Frau Shelly habe am liebsten bei Chanel und Dior eingekauft (sie ist allerdings in Ungnade gefallen und wurde seit zwei Jahren nicht mehr öffentlich gesehen).

„DM“, wie er intern genannt wird, gilt als absoluter Perfektionist, der jedes Detail seines Imperiums unter Kontrolle haben will, bis hin zur Auswahl der Uniformstoffe für die paramilitärische Elitetruppe Sea Org. „Seine Macht und Kontrolle sind in jeder Hinsicht absolut“, sagt Jesse Prince. Seine Untergebenen lässt er angeblich sogar vor seinem Hund salutieren, der eine Uniform mit goldenen Streifen trägt. 

Ende der neunziger Jahre verlagerte Miscavige das Machtzentrum in die „Gold Base“ genannte Wüstenbasis rund 100 Kilometer südöstlich von Los Angeles, die er in ein Luxusresort mit privaten Kinos, Swimmingpools und Golfplatz umbauen ließ. Neben seinem Anwesen wurden dort Villen für Tom Cruise und John Travolta errichtet. Die Sicherheitsarchitektur des mit 700 Elitescientologen besetzten Geländes entspricht der einer Militäreinrichtung: Kameras, Bewegungsmelder und massive Stahlzäune mit rasiermesserscharfen Metallspitzen. Jesse Prince ist überzeugt, dass man auch Waffen einsetzen würde, falls die Regierung jemals auf die Idee käme, David Miscavige zu verhaften. „Der einzige Weg, den er kennt, um zu handeln, ist mit extremer Kraft alles zu überwältigen, was sich ihm in den Weg stellt.“

Frühere hochrangige Scientologen schildern den Waffennarren als skrupellosen Tyrannen mit extremen Launen, der Untergebene erniedrigt und geschlagen habe. Miscavige wies die Anschuldigungen zurück und höhnte in einem Zeitungsinterview: „Bringt doch endlich was vor oder haltet den Mund. Lasst mal die Beweise sehen.“ Zumindest Hinweise gibt es inzwischen zuhauf. Zahlreiche Schlüsselfiguren aus dem innersten Führungszirkel haben Scientology in den vergangenen Jahren verlassen und von körperlichen Misshandlungen, Psychoterror, Sklavenarbeit berichtet. Mike Rinder, der selbst nicht als zimperlich galt, bezeugt, er sei von Miscavige bis zu 50 Mal mit Faustschlägen und Fußtritten malträtiert worden. Auch Marty Rathbun erzählt von regelrechten Prügelorgien. Miscavige habe eine interne Gewaltkultur etabliert, die den gesamten Apparat durchziehe, und er halte etwa 80 Manager seit Jahren in einer Baracke in der Gold Base gefangen. „Sie müssen auf dem Fußboden schlafen und immer wieder vor allen anderen ihre Verbrechen gestehen. Weil Miscavige sie zu Feinden erklärt hat.“ Scientology bestreitet all dies. Es handele sich um „absolute und totale Lügen“.

Miscavige aber fürchtet die Abtrünnigen. Seit mehr als einem Jahr werden Rathbun und seine Frau in ihrem Haus in Texas von Scientology-Agenten rund um die Uhr observiert, gefilmt, geschmäht. Ähnlich geht es den anderen Top-Aussteigern. „Immer angreifen, nie verteidigen“, den Leitspruch Hubbards hat Miscavige offenbar verinnerlicht. 1998 sagte er der Zeitung St. Petersburg Times in Florida: „Wenn wir in einen Krieg verwickelt werden, in dem wir unser Überleben bedroht sehen, werden wir entschlossen kämpfen!“

Es könnte bald so weit sein, befürchten ehemalige Weggefährten. Mehr und mehr Mitglieder verlassen die Organisation in immer kürzeren Abständen. Darunter sogar Miscaviges Eltern, sein Bruder Ronnie und seine Nichte Jenna. Für den ehemaligen Finanzchef Marty Rathbun befindet sich Scientology derzeit „in der Endphase einer Diktatur“. Er glaubt, dass ihr harter Kern aus gerade noch 20 000 Menschen bestehe. „Ich habe Angst, dass Scientology in einem Blutbad endet“, sagt er. „Mein Albtraum: Miscavige befiehlt die letzten tausend Scientologen in die Gold Base und lässt seine Garde dann mit Maschinengewehren alle niedermähen. Er ist ein Soziopath, er will die Herrschaft oder den Untergang.“

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