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(Wikimedia Commons) Stürzt er die Nato in einen Krieg mit Syrien?

Türkei-Syrien-Konflikt - Der Kriegstreiber vom Bosporus

Der türkisch-syrische Grenzkonflikt spitzt sich zu. Auch die Bundeswehr wird sich an einer Nato-Bündnisverpflichtung beteiligen. Hinter dem Konflikt steht auf Seiten der Türkei Generalstabschef Necdet Özel. Sürzt er die Nato in einen Krieg mit Syrien? Ein Porträt 

Schultern klopfen, Wangen tätscheln, im Kampfanzug ein Gläschen Tee auf dem Dorfplatz trinken. Necdet Özel, der Mann, der die Nato und den Westen in einen Krieg mit Syrien reißen könnte, muss erst noch die Heimatfront auf Linie bringen. In Akçakale, einem Grenzstädtchen im Südosten der Türkei, reißt er den Arm hoch und ballt die Faust. „Wir haben ihnen eine Antwort verpasst“, sagt der türkische Armeechef und meint die Syrer auf der anderen Seite der Grenze. „Wenn es sein muss, schlagen wir noch härter, noch schlimmer zu.“ Nur Stunden später zwingen türkische Kampfjets eine syrische Passagiermaschine auf dem Flug von Moskau nach Damaskus zur Landung.

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Die Türken aber wollen keinen Krieg mit den Nachbarn, keine syrischen Flüchtlinge in Lagern und erst recht keine Artilleriegeschosse, die im Garten einschlagen. Sie wollen ihre Soldaten wie früher beim Paradieren bewundern und keine Generäle im Gefängnis sehen. Alles scheint ihnen wie auf den Kopf gestellt, und Necdet Özel müsste es richten. Doch die Zweifel an diesem „sehr besonderen Armeechef“, wie ein türkischer Kolumnist süffisant schrieb, nagen an der Bevölkerung.

Den Einmarschbefehl nach Syrien hat die türkische Armee bereits in der Tasche. Özel, der Vier-Sterne-General, so heißt es in Ankara, habe die Regierung überzeugt, dass er mehr Spielraum brauche, um auf die Grenzverletzungen zu reagieren. Schwer war das nicht. Außenminister Ahmet Davutoğlu drängt ohnehin schon auf eine „Pufferzone“, ein militärisch besetztes Gebiet möglichst im Norden Syriens, damit die Armee auch gleich die Kurden dort unter Kontrolle bekommt. Regierungschef Tayyip Erdoğan wiederum will keine Schwäche zeigen. Özel ist sein Armeechef. Der erste, den sich eine gewählte türkische Regierung selbst ausgesucht hat.

„Pascha“ nennt er ihn höflich, und Necdet „Pascha“, Herr über knapp eine halbe Million Soldaten, lässt kaum eine Gelegenheit aus, um sich bei Erdoğan zu revanchieren. Ein freundliches Wort hier, ein gut gewählter Auftritt dort. Über Politik redet er nicht, anders als seine Vorgänger und Kollegen, die nun im Gefängnis sitzen und denen wegen angeblicher Putschpläne gegen die konservativ-religiöse Regierung der Prozess gemacht wird. „Unser Land gehört uns allen. Unser Land kommt zuerst“, sagt Özel. Das findet auch Erdoğan gut.

Seit dem Sommer 2011 steht der 62-Jährige an der Spitze der türkischen Armee. Die schlechten Nachrichten kommen seither in immer kürzeren Abständen: Schlampereien in Kommandostellen, Nachlässigkeit, Inkompetenz, die türkische Rekruten und Zivilisten das Leben kosten. 25 Soldaten starben zuletzt bei einer Explosion in einem Munitionslager. Und jetzt droht der syrische Sumpf.

Seite 2: Erdogan machte Özel aus Mangel an Alternativen zum Generalstabschef

Als Özel bei einer Trauerfeier für tote Soldaten die Tränen kommen, fällt die Presse über ihn her. Der islamische Prediger Fethullah Gülen, die graue Eminenz der türkischen Politik, kommt ihm zu Hilfe. „Auch Mohammed hat geweint“, sagt Gülen. Es ist ein Zeichen, wie sehr der Armeechef vom Lager der Konservativen kooptiert wird.

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Dabei ist Necdet Özel, Sohn eines Offiziers an der Militärakademie in Ankara, in seiner Laufbahn allen kompromittierenden Wegmarken glücklich ausgewichen: Er war zu jung für den Putsch von 1971, zu weit weg beim nächsten Coup 1980. Özel ist damals Stabsoffizier im türkisch besetzten Norden von Zypern. Sein Name fehlt auch 1997, als die Armeeführung den islamistischen Regierungschef Necmettin Erbakan aus dem Amt drängt. Dafür spricht er als Truppenkommandeur in den Kurdengebieten vom notwendigen „Gleichgewicht zwischen Sicherheitsbedürfnissen und Menschenrechten“ – ein neuer Ton. 

Özel fällt den frommen Männern an der Macht auf. Er akzeptiert die Regierung der Zivilisten. Er ist Demokrat aus Einsicht. Bei der Sitzung des obersten Militärrats 2010, einem Gremium, das jedes Jahr die Beförderungen der höchsten Generäle festlegt, sichern Erdoğan und Staatschef Abdullah Gül Özels Platz auf den letzten Sprossen der Karriereleiter. Er wird Kommandeur der Gendarmerie. Seine Einheiten vereiteln einen Anschlag auf Erdoğans Konvoi während des Wahlkampfs im vergangenen Jahr. Einen Gendarmeriekommandanten, der seine Männer bei gewalttätigen Protesten während eines Wahlkampfauftritts des Regierungschefs zusehen lässt, setzt er ab. So etwas vergisst Erdoğan nicht. Als im Sommer 2011 Armeechef IŞik Koşaner und die Kommandeure von Marine, Heer und Luftwaffe aus Protest gegen die Serie von Verhaftungen zurücktreten, schlägt Özels Stunde. Er ist der Einzige, der in der Stabsführung übrig bleibt. Erdoğan und Gül machen ihn zum Chef.

Özel, ein Spezialist im Kampf gegen die PKK, ist einer der wenigen türkischen Generäle, die nie in Nato-Strukturen gearbeitet haben oder in den USA ausgebildet wurden. Zehn Monate lässt Özel sich nach seiner Ernennung zum Armeechef Zeit, bis er eine Einladung nach Washington annimmt. Der General schmeichle der Regierung und sei überfordert, heißt es jetzt in vielen Leitartikeln türkischer Zeitungen. „Das sind freche Bemerkungen“, grummelt Erdoğan. „In meinen zehn Jahren im Amt als Ministerpräsident haben wir nie willkürliche Ernennungen durchgeführt.“ Der Sultan und sein Pascha sind ein Team.

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