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(picture alliance) Randalierende Jugendliche ziehen durch London

Großbritannien - „Der Jugend fehlt jeglicher Gemeinschaftssinn“

Nachdem sich die Lage in Großbritanniens Städten zu beruhigen scheint,  kann die Aufarbeitung der Ursachen der landesweiten Randale beginnen. Um die Jugend zurückzugewinnen und Gewalteskalationen in Zukunft zu vermeiden, wird eine deutliche Neuausrichtung der Sozial- und Sicherheitspolitik geschehen müssen.

Die Krawalle und das Chaos in Großbritannien hat die Bevölkerung schockiert und traumatisiert zurückgelassen. Umso wichtiger war es für Premierminister David Cameron das Problem nicht nur polizeilich sondern genauso schnell auch sprachlich in den Griff zu bekommen. Teile der Gesellschaft seien kaputt und krank, verkündete er, es gehe um pure Kriminalität, die man bekämpfen und besiegen werde - mit allen Mitteln, die dazu nötig seien.

Harte Worte waren für Cameron das Gebot der Stunde, um der Polizei jegliche Rückendeckung für ihre Einsätze zu geben und um die fassungslosen Britten zu beruhigen. Dennoch war die drastische Wortwahl vermutlich kein kluger Schachzug. Sie hat die Jugendlichen mehr provoziert als beschwichtigt. Der Premier hat es vermieden in irgendeiner Form Verständnis für die Frustration der Jugendlichen zu äußern. Dabei scheinen die Jugendlichen eine klare Botschaft mit ihrem Aufstand zu verbinden: DIe Jugendlichen fühlen sich von der britischen Gesellschaft verstoßen, von den Medien missachtet und von der Polizei bedroht und ohne jeden Respekt behandelt.

Sobald sich die Lage endgültig beruhigt hat, wird die Regierung rhetorisch wieder abrüsten und sich den tiefer liegenden Ursachen der Revolte zuwenden müssen. Es wird die bittere Erkenntnis folgen, dass die Frustration der Jugendlichen nicht über Nacht daherkam. Seit Beginn seiner Amtszeit vor einem Jahr hat Camerons konservativ-liberale Regierung einen rigorosen Sparkurs verfolgt. Das Budget für Sozialwohnungen wurde um die Hälft gekürzt, die Ausbildungsunterstützung für Kinder aus sozial schwachen Familien entfiel komplett. Den Stadtquartieren wurden die Gelder gestrichen, die sie für Jugendeinrichtungen wie Jugendclubs oder Sportvereine verwenden können.

Über 20% der Jugendlichen fehlt eine Arbeit. Die pure Hoffnungslosigkeit hat sich breit gemacht. Den Respekt vor gesellschaftlichen oder staatlichen Autoritäten haben die Jugendlichen längst verloren. „Es fehlt ihnen jeglicher Sinn für die community, für das was Gemeinschaft ausmacht“ erklärt Mike Hardy, Direktor des Forschungsinstitut für community cohesion (Zusammenhalt in der Nachbarschaft). Deswegen waren sie in der Lage die Nachbarschaft zu verwüsten und die Geschäfte zu zerstören, in denen ihre Eltern, Freunde und Verwandte arbeiten oder einkaufen.

Dennoch glaubt der Forscher, mit mehr Feingefühl der Politik und der Medien sowie mit einem klügeren Verhalten der Polizei hätte die totale Eskalation vermieden werden können. „Anstatt die Randalierer auseinanderzutreiben, hätte die Polizei früh versuchen sollen, mit ihnen zu kommunizieren“ so Hardy. Außerdem hätten die Behörden schneller über die Todesumstände des 29-jährigen Schwarzen, der bei einem Polizeieinsatz getötet wurde, informieren müssen. So hätte man der Ausbreitung von Gerüchten über dessen Tod vorbeugen können.

Trotz aller Erklärungen, bleibt auch der erfahrene Community-Experte sprachlos und irritiert über das Ausmaß der Gewaltbereitschaft. Er ist erstaunt über die extrem niedrige Hemmschwelle der Jugendlichen zu randalieren und zu plündern. Sie hätten überhaupt keine Angst gehabt, erwischt zu werden und auch nicht das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun.

Somit steht nicht nur die britische Sozialpolitik und die Stadtentwicklungspolitik nach den Krawallen der letzten Tage vor einem Berg an Hausaufgaben. Auch die Sicherheitspolitik, die nach den Anschlägen des 11. September 2001 auf das Ziel der Terrorismusbekämpfung ausgerichtet wurde, wird auf den Prüfstand kommen.

„Wir sind das am meisten beobachtete Land in der Welt. Die Millionen von Kameras haben aber zu einer totalen Gewöhnung an die permanente Überwachung geführt.“ gibt Mr. Hardy zu bedenken. Nun hätten die Jugendlichen, die unvermummt und im gemütlichen Schritttempo die Fernseher nach Hause getragen haben, die Untauglichkeit des staatlichen Sicherheitskonzept entblößt. Kameras könnten vielleicht helfen Täter und Verdächtige zu observieren. Sie dienen aber nicht dazu die Kriminalität in den Städten in großem Umfang zu bekämpfen oder im Vorfeld zu vermeiden.

Die geplanten Kürzungen bei der Polizei wird Premierminister Cameron nun nicht mehr durchboxen können. Doch Polizisten allein werden Großbritannien ohnehin nicht sicherer machen.

 

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