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(picture alliance) Die polemische Bildsprache hat die SVP so ausschließlich besetzt, dass sie ihre Plakate nicht einmal mehr zu unterzeichnen braucht

Schweizer Fremdenfeindlichkeit - Der Fremde ist der Böse

Mit dem Slogan „Kosovaren schlitzen Schweizer auf!“ schürt die Schweizerische Volkspartei übelste Vorurteile und Ängste. Zwischenruf eines Eidgenossen
 

Wer, bis vor kurzem jedenfalls, im Hauptbahnhof von Zürich einen Zug besteigen oder verlassen wollte, konnte gar nicht anders, als an riesigen Plakatwänden vorbeizugehen, auf denen mächtige schwarze Stiefel einen helvetisch rot-weißen Boden niedertrampelten. Dann verschwanden diese gespenstischen Drohungen, bis auf ein paar wenige, und tauchten dafür da und dort in der Stadt auf.

Ein Spuk, auch deshalb, weil die von der Schweizerischen Volkspartei (SVP) geschaffenen Plakate nicht auf einen bestimmten Wahl- oder Abstimmungstag zu zielen scheinen. Sie passen immer: zur Abstimmung über den sozialen Status von Asylanten im Kanton Zürich (diese hat die SVP inzwischen hochkant verloren) oder aber auch zu den bevorstehenden Neuwahlen der nationalen Parlamente (National- und Ständerat).

Das sei Stürmer-Stil in Reinkultur, sagen viele. Tatsache ist, dass die SVP diese Bildsprache heute so ausschließlich besetzt hat, dass sie ihre Kampagnen nicht einmal mehr zu unterzeichnen braucht. Hemmungslos macht sie mit Stiefeln und schwarzen Schafen (Letztere sollten im Wahlkampf 2007 Ausländer darstellen, die es mit einem Huftritt der weißen Schafe, den Schweizern, rauszuwerfen gelte) Stimmung gegen die Ausländer in der Schweiz.

Natürlich sind die Einwanderer oder Asylsuchenden auch für uns Schweizer, wie überall in Europa, ein Problem. Der Ausländeranteil ist hoch: 22,1 Prozent der Gesamtbevölkerung. In Zürich liegt er gar bei 30,5 Prozent. „Wir riefen Arbeitskräfte“ – in der Schweiz kennt jeder diesen Satz Max Frischs aus dem Jahr 1965 – „und es kamen Menschen.“ Frisch sprach von den Italienern von damals. Heute rufen wir nicht mehr, die Menschen kommen von selber, und es sind häufig hochtraumatisierte junge Männer. Der Balkankrieg hat viele verstörte und aggressive Menschen zu uns gespült, und es ist offenkundig, dass vor allem die Asylsuchenden aus dem Kosovo nicht den besten Ruf haben – und das hat auch Gründe.

Trotzdem sind in der Schweiz, allem populistischen Lärm zum Trotz, keine allzu großen Spannungen zwischen Ausländern und Schweizern zu bemerken. Das Geplänkel um die hoch qualifizierten und effizienten Deutschen, die uns Schweizern die Schokoladenjobs wegnähmen, ist ein Witz. Kein ernsthaftes Problem, wirklich nicht. Die Italiener von damals sind längst integriert. Die Portugiesen neigen zur Gruppenbildung und lernen darum kein Schwyzerdütsch, sind aber durchaus wohlgelitten. Sogar die Türken, die – in Basel am deutlichsten – ganze Stadtteile in eine Art Istanbul verwandelt haben, sind mehr oder minder angekommen. Bleiben die Schwarzafrikaner (noch sind sie nicht sehr viele) und, eben, die Kosovaren, die in der Schweiz stellvertretend für all jene stehen, die aus dem Balkan kommen. Die uns erneut demonstrieren, dass Verwundungen wirklich wund machen und erlittene Gewalt leicht in ausgeübte Gewalt umschlagen kann.

Auf dem Buckel der Kosovaren trägt nun die SVP ihre offen fremdenfeindliche Kampagne aus. „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ verkünden sie auf vielen ihrer zahlreichen Plakate und in Anzeigen, die alle dasselbe Thema variieren – die Tatsache, dass ein Kosovare einen Schweizer mit einem Messer niedergestochen hat.

Unsere Angst vor den aggressiven Fremden, von der SVP kundig am Kochen gehalten, lässt sich mühelos zu einer Angst vor einem aggressiven Islamismus ausbauen. Wir haben vor nicht allzu langer Zeit in einer aufwendig ausgefochtenen nationalen Volksabstimmung (den Aufwand betrieb die SVP) den Bau von Minaretten in der Schweiz verboten, obwohl es im ganzen Land nur vier von ihnen gibt (zum Teil seit Jahrzehnten) und obwohl es keine Pläne gab, neue zu bauen.
In Wahrheit ist die SVP gar keine Partei. Nicht mehr. Sie ist inzwischen zu einer reich alimentierten Maschinerie umgebaut worden, die mit viel Trara und Schwefelgestank Nebelwände errichtet, hinter denen die Nutznießer dieser Ablenkungsmanöver ungesehen und ungestört ihre Interessen verfolgen können. Dafür benötigen sie möglichst viele Parteisoldaten im Parlament, also möglichst viele Wähler. 30 Prozent sind das erklärte Ziel für die Wahlen im Oktober.

Ihre Wähler, nicht die SVP selber, halten das Ablenkungsmanöver (Ausländer raus) für das eigentliche Thema. Die Herren der SVP hingegen (Damen sind selten) fördern – ohne dass die Wähler die Widersprüche bemerken – konsequent und effizient jene Wirtschaft, die ihnen das Geld bringt. Dafür brauchen sie die Ausländer, und im Übrigen streben sie einen möglichst wachsweichen Staat an.

Es geht Christoph Blocher (dem capo dei capi), dem auch Deutschland bekannten Milliardär, nicht darum, die ausländerfeindlichen Forderungen auch tatsächlich durchzusetzen. Es geht ihm allein darum, dass die Wähler erregt und bei der Stange bleiben. Ob das gelingt, ist die Frage. Die eine oder andere Wirtshausschimpferei ist jedenfalls gewiss.

Urs Widmer lebt als Schriftsteller in Zürich. Zuletzt wurde er für sein Werk mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis ausgezeichnet

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