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Der Tag... - ... an dem Berlusconi Italiens Austritt aus dem Euro erklärt

Rund um den Jahreswechsel blickt Cicero Online nach vorne und entwirft Szenarien für das Jahr 2013, die auf den ersten Blick unrealistisch wirken und doch einen Kern von Wahrheit in sich bergen. In Italien wird Silvio Berlusconi zum vierten Mal Ministerpräsident und stellt Europa vor eine ungewisse Zukunft

Autoreninfo

Julian Graeber hat Sportwissenschaft und Italienisch in Berlin und Perugia studiert.

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Festen Schrittes schreitet Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi in seinem schwarzen Anzug mit der dunkelblau-gepunkteten Krawatte zum Rednerpult. Drei Tage lang hatte der 76-Jährige zu den schweren Vorwürfen von Bundeskanzlerin Angela Merkel geschwiegen und sich auf seinen Landsitz Villa San Martino in Arcore außerhalb von Mailand zurückgezogen. Jetzt tritt er an diesem regnerischen Septembernachmittag im Palazzo Chigi, dem Amtssitz des Ministerpräsidenten, in Rom vor die versammelten Journalisten. Auf halbem Weg zum Podium grüßt er Wirtschaftsminister Angelino Alfano, der mit ernstem Blick schon auf ihn wartet. Berlusconi lächelt einer jungen Journalistin seines Fernsehsenders Italia Uno zu und tritt mit Alfano vor die Kameras.

„Ich kann eine solche Einmischung in unsere nationalen Angelegenheiten nicht länger dulden”, sagt der Cavaliere und schlägt dazu mit beiden Händen auf das Rednerpult, um seine Entschlossenheit zu untermauern. Alfano hingegen wirkt nervös, nickt aber zustimmend, als Berlusconi die Worte sagt, die für Italien und Europa eine historische Zäsur bedeuten, dessen Folgen noch gar nicht absehbar sind. „Zum Wohle des Landes – per il bene del paese ­– habe ich die Pflicht, meine Landsleute aus der deutschlandzentrierten Spardiktatur, die der Euro darstellt, zu befreien.” Viel Zeit will sich das Land nicht nehmen. Bereits zum Jahreswechsel werde Italien die Lira als offizielles Zahlungsmittel wiedereinführen, erläutert Alfano mit seinem leichten sizilianischen Akzent. [gallery:Italiens Drache – Wer ist Silvio Berlusconi]

Berlusconi schockt ganz Europa, dabei kommt seine Ankündigung alles andere als überraschend. Seit der wegen Steuerhinterziehung und Schwarzgeldkassen in erster Instanz verurteilte Mailänder im Februar zum vierten Mal die Regierungsgeschäfte übernommen hatte, wurde die Kritik aus dem Ausland schließlich immer lauter. Und die Aufnahme neuer Schulden für Italien immer teurer.

Gleichzeitig wurde der Druck im eigenen Land immer größer. Vor allem die öffentlichen Äußerungen von Berlusconis europakritischem Koalitionspartner Lega Nord und deren Vorsitzenden Roberto Maroni, der schon im Juni offen einen Austritt aus dem Euro gefordert hatte, setzte ihn unter Zugzwang. Unterstützung erhielt die Lega dabei völlig unerwartet auch von Komiker und Politaktivist Beppe Grillo, dessen linke Protestpartei Movimento 5 Stelle als heimlicher Gewinner der Wahlen nicht an einer Regierunsgbeteiligung interessiert gewesen war. Noch vor ein paar Monaten galt eine solche Entwicklung in Italien und ein erneuter Triumpf Berlusconis als undenkbar. Belusconi hatte sich aus der aktiven Politik zurückgezogen, seine Partei, die Popolo della Libertà (PdL) lag am Boden. Denn im November vergangenen Jahres kam die Partei  bei Umfragen nur auf 15 Prozent. Doch dann stürzte die PdL den damaligen Ministerpräsidenten Mario Monti, der Cavaliere kehrte zurück und half seiner Partei aus dem Stimmentief.

Den entscheidenden Impuls für den Wahlsieg der Mitte-Rechts-Koalition lieferte jedoch das gegnerische Lager. Der lange ungelöste Führungsstreit zwischen dem Ex-Ministerpräsidenten Monti und Pier Luigi Bersani von der Demokratischen Partei kostete die Mitte-Links-Parteien ihren komfortablen Vorsprung. Stattdessen errangen PdL und Lega Nord bei den Wahlen Ende Februar zusammen die Mehrheit. Mit 39 Prozent der Stimmen konnte die Berlusconi-Partei dabei ihr Ergebnis von 2008 sogar noch übertreffen. Im Stile eines römischen Imperators ließ sich Belusconi vor sieben Monaten auf der Ehrentribüne des San-Siro-Stadions, der Heimstätte seines Fußball-Vereins AC Mailand, feiern.

Seitdem spitzt sich die Lage in Italien und in der Eurozone zu. Die eurokritische Mitte-Rechts-Regierung ließ in den folgenden Monaten keine Gelegenheit aus, die schmerzhaften Sparmaßnahmen der Monti-Regierung rückgängig zu machen. Wenig überraschend war dabei die Aufhebung der scharf kritisierten Immobiliensteuer imu. Dies hatte Berlusconi bereits im Wahlkampf angekündigt. Kurz darauf kam es im Parlament in Rom zum Eklat. Abgeordnete von PdL und PD gingen dabei sogar mit Fäusten aufeinander los. Auslöser war ein von der Regierungskoalition erlassenes Gesetz, mit dessen Hilfe kurz vor der Berufungsverhandlung alle Ermittlungsverfahren gegen den Ministerpräsidenten eingestellt wurden. Alle Empörung der Opposition über dieses „Legge Berlusconi” war vergeblich.

Völlig unerwartet senkte Berlusconi anschließend den Spitzensteuersatz von 44 auf nur noch 39 Prozent.  Vergeblich warnten die immer noch zerstrittenen Wahlverlierer Monti und Bersani vor einer neuerlichen Herabstufung durch die Ratingagenturen. Der Ministerpräsident ließ sich nicht beirren, verwies auf die schwache Konjunktur in seinem Land und beschimpfte seine Kritiker als „Kommunisten, die artig nach Merkels Pfeife tanzen”.

Seite 2: Merkel bricht alle Regeln der Diplomatie

Die Reaktionen der amerikanischen Ratingagenturen Moody’s, Standard & Poors und Fitsch ließen nicht lange auf sich warten. Italiens Bonität wurde herabgestuft, innerhalb weniger Tage stiegen die Zinsen für italienische Staatsanleihen mit 9,2 Prozent auf den höchsten Wert seit 1997. Schon wurde in Brüssel darüber spekuliert, dass Italien keine andere Wahl bleibe, als unter den europäischen Rettungsschirm zu schlüpfen und Hilfsgelder in Milliardenhöhe aus dem ESM zu beantragen. Euro-Gruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem zeigte sich in Brüssel auf dem Weg zu einer Krisensitzung besorgt über die neusten Entwicklungen in Italien und sprach am Montag von einer „sehr ernsten Situation”, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen seien.

Angela Merkel, die einen Wahlkampftermin in Jena vorzeitig beendet hatte, um nach Berlin zurückzukehren, brach am Dienstag alle Regeln der Diplomatie und forderte Berlusconi offen zum Rücktritt auf. „Es ist unmöglich, dass sich der Regierungschef in einer Demokratie aufführt wie ein Diktator und die eigenen Belange vor die Interessen des Volkes stellt”, kritisierte Merkel ihren italienischen Amtskollegen, mit dem es in den vergangenen Monaten zu zahlreichen Meinungsverschiedenheiten über die Ausrichtung der Eurozone gekommen war. Gleichzeitig machte sie klar, mit Hilfe aus Brüssel und Berlin könne diese italienische Regierung angesichts ihrer unverantwortlichen Finanzpolitik nicht rechnen. „Der Rücktritt von Silvio Berlusconi ist alternativlos für die Stabilität in Europa”, verkündete Merkel mit ernstem Blick im Bundeskanzleramt.

Doch Berlusconi denkt gar nicht an Rücktritt und spielt stattdessen die nationalistische Karte aus. Italien geht unter seinem umstrittenen Ministerpräsidenten einen Weg, dessen Folgen für sein Land und die verbliebenen 16 Staaten der Eurozone überhaupt nicht absehbar sind. Und während die Linken um Oppositionsführer Bersani entsetzt sind und die Bedeutung der gemeinsamen Währung für die wirtschaftliche Konkurrenzfähigkeit Europas betonen, ist der Jubel im nationalistischen Lager groß. „Endlich wieder frei. Es lebe Padanien” jubelt der langjährige Vorsitzende der Lega Nord, Umberto Bossi.

Kritischer äußerte sich hingegen Ferrari-Chef Luca Codero di Montezemolo, der im Wahlkampf Mario Monti unterstützt hatte. Der überstürzte Austritt Italiens aus dem Euro sei eine „sehr unüberlegte Initiative”. Die Folgen für die italienische Wirtschaft insgesamt und für die Fiat-Gruppe seien überhaupt nicht abzusehen, erklärte Montezemolo bei seiner vorgezogenen Rückkehr aus Singapur, wo er sich eigentlich das am Sonntag stattfindende Formel 1-Rennen ansehen wollte.

Bei der italienischen Zentralbank Banca d’Italia laufen indes bereits die Vorbereitungen für den Druck neuer Lire-Noten an. Experten halten es jedoch für ausgeschlossen, dass es in drei Monaten gelingt, eine geordnete Währungsumstellung zu organisieren. Vorerst werden die Italiener wohl mit gestempelten Euro-Scheinen vorliebnehmen müssen. Auch die Umstellung von Bilanzen, Staatsanleihen und Börsenkursen wird Berlusconi und seine Regierung vor einige Probleme stellen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt unterdessen mit ihrer Vertrauten Beate Baumann in ihrem Büro im Kanzleramt. Wie sich die Entwicklung in Italien auf die Bundestagswahl in zwei Wochen auswirkt, auch das ist nicht vorhersehbar. Bereits am Montag könnten die Aktienkurse an den europäischen Börsen auf breiter Front nachgeben. Mit ernster Miene blickt Merkel auf den bewölkten Berliner Abendhimmel, beugt sich zu Baumann hinüber und flüstert ihr kopfschüttelnd etwas ins Ohr: „Ich konnte den Berlusconi noch nie leiden!”

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