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(picture alliance) Schwelbrand in Athen – fürs Erste unter Kontrolle

Griechisch-europäische Krise - Crash auf Raten

Der Weltuntergang wurde an diesem Wochenende in Athen abgewendet, doch die griechisch-europäische Katastrophe geht weiter. Das Wahlergebnis in Griechenland verschafft den Euro-Rettern nur eine Atempause. Alle Blicke richten sich nun auf Berlin

Das war knapp. Nur um Haaresbreite hat Europa am Wochenende den Beginn einer fatalen Kettenreaktion verhindert. Hätte der radikale Linke Alexis Tsipras die Wahlen in Griechenland gewonnen, wäre der Zerfall der Währungsunion wohl nicht mehr zu verhindern gewesen. Tsipras ist zwar nicht so gefährlich, wie ihn deutsche Politiker gerne darstellen; doch sein „Nein“ zum Spardiktat hätte die mühsam aufgebaute Koalition der Euro-Retter zum Einsturz gebracht.

Nun soll es also Antonis Samaras richten. Ausgerechnet. Der Führer der Neo Demokratia gehört zwar der konservativen Parteienfamilie von Kanzlerin Angela Merkel an und gilt als überzeugter Europäer. Doch ein Reformer ist er ebenso wenig wie Tsipras. In Brüssel erinnert man sich noch mit Schrecken daran, wie unnachgiebig Samaras im letzten Jahr jede Zustimmung zum Sparkurs verweigerte. Auch dass es die Neo Demokratia war, die  Griechenland in die Schuldenkrise trieb, ist in Europa unvergessen.

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Dass die EU-Politiker nun ausgerechnet Samaras zum Hoffnungsträger ausrufen, zeigt, wie verzweifelt die Lage ist. Dass sie nun plötzlich Abstriche am Reformkurs machen wollen, auch. Selbst Bundesaußenminister Guido Westerwelle kann sich auf einmal vorstellen, das Reformprogramm zu strecken. Dahinter steckt die Einsicht, dass sich die im März, vor den Wahlen, formulierten Ziele nicht mehr halten lassen. Das damals verabschiedete zweite Hilfspaket über 130 Mrd. Euro ist längst Makulatur. 

Nichts stimmt mehr: Weder der Zeitplan noch der ökonomische Rahmen. Die Steuereinnahmen sind in den Athener Chaos-Wochen eingebrochen, die Kapitalflucht hat sich massiv beschleunigt, ein Banken-Run hat eingesetzt. Dass die neue griechische Regierung noch im Juni neue millardenschwere Kürzungen beschließt, wie ursprünglich gefordert, ist in dieser Lage undenkbar. Vermutlich darf man schon zufrieden sein, wenn es in zwei Wochen überhaupt eine Regierung gibt.

Bis Klarheit über die reale Lage und die wahren Absichten der neuen Athener Führung besteht, dürften Wochen ins Land gehen, wenn nicht Monate. Einerseits ist das gut, denn damit gewinnen die Euro-Retter wieder einmal Zeit. Andererseits ist das schlecht, denn die Märkte verlieren die Geduld mit den Laiendarstellern in Athen, Brüssel und Berlin. Anleger ziehen ihr Geld mittlerweile nicht mehr nur aus Griechenland, sondern auch aus Spanien und Italien ab. Wenn das so weiter geht, droht ein Crash auf Raten.

Der Weltuntergang wurde an diesem Wochenende in Athen abgewendet, doch die griechisch-europäische Katastrophe geht weiter. Und wie immer in den letzten Monaten richten sich nun alle Blicke fragend nach Berlin. Wird die Kanzlerin erneut die Hände in den Schoß legen – nach dem Motto: Ist ja alles gut gegangen? Wird sie auf den zweiten Wahlsieger dieses Sonntags, den Franzosen François Hollande zugehen? Bleibt es beim Sparkurs für Europa, oder gibt es doch noch ein Wachstumsprogramm? Und was wird mit den Banken, mit Spanien, mit Italien?

Das sind die Fragen, die die politische Agenda in Brüssel beherrschen. Und zwar nicht erst seit heute, sondern schon seit Wochen. Die Wahl in Griechenland war im Grunde nur ein mehr oder weniger willkommener Vorwand, der radikale Linke Tsipras nur ein nützlicher Idiot, um von den eigentlichen Problemen abzulenken. Griechenland ist längst abgehakt und abgeschrieben. Hinter den Kulissen in Brüssel geht es längst nicht mehr um dieses kleine, nur symbolisch wichtige Land. Es geht ums große Ganze. Beim nächsten EU-Gipfel am 28. Juni soll die Entscheidung fallen.

Seite 2: Der bisher verfolgte Sparkurs reicht nicht aus

Dabei hat sich, weitgehend unbemerkt von Berlin, ein neuer Konsens herausgebildet. Der bisher verfolgte Sparkurs reicht nicht mehr aus, heißt eine Prämisse. Er muss um Wachstumsimpulse ergänzt werden. Der von Merkel konzipierte Fiskalpakt ist auch nicht mehr genug, glaubt man in Brüssel. Er gilt nur noch als Fundament für eine echte Fiskalunion, die auch eine Bankenunion, eine Steuerunion und vielleicht sogar gemeinsame Anleihen, die so genannten Eurobonds, einschließt.

Von alldem will Merkel bisher nichts wissen. Sie ist gegen eine Vergemeinschaftung der Schulden – ob sie nun in Gestalt einer Bankenunion oder von kurz laufenden Euro-Bills daherkommt. Doch Kommissionschef Barroso, Ratspräsident Herman Van Rompuy, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi treiben ihre Pläne unbeirrt voran. Unterstützt werden sie dabei nicht nur von Frankreichs neuem starken Mann Hollande, sondern auch von Italiens Premier Mario Monti.

Auch US-Präsident Barack Obama, IWF-Chefin Christine Lagarde und viele andere Politiker fordern, dass die Eurozone enger zusammenrücken muss. Spätestens in drei Monaten müsse der Masterplan stehen, sonst droht ein Zerfall der Währungsunion, warnt Lagarde. Beim G-20-Treffen in Mexiko wird Merkel deshalb wieder unter Druck kommen. Der glimpfliche Ausgang in Griechenland wird ihr dabei wenig helfen, im Gegenteil: Deutschlands Partner wollen keine Last-Minute-Lösungen mehr, sondern endlich einen großen Wurf, der die Märkte dauerhaft beruhigt und die Krise löst.

Wie dringlich dies ist, zeigt ein Blick nach Spanien. Gerade einmal eine Woche ist es her, dass die Eurozone auf massiven Druck Deutschlands ein 100 Milliarden Euro schweres Rettungsprogramm für die spanischen Banken angekündigt hat. Doch der Feuerwehreinsatz hat die Märkte nur kurz beruhigt. Am Montag Morgen stieg die Rendite für spanische Anleihen schon wieder auf neue Rekordwerte. Für zehnjährige Papiere muss der spanische Fiskus mehr als sieben Prozent berappen – lange hält er das nicht durch.

Der Schwelbrand in Athen ist fürs Erste unter Kontrolle. Doch in Madrid brennt es nun lichterloh. Wenn der Funken auf weitere Länder überspringt, könnte es eng werden für die Euro-Retter. Der Wahlergebnis in Griechenland hat ihnen nur eine Atempause verschafft, mehr nicht.

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