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Brüssel - Wo man Saudi-Arabien den Islamunterricht anvertraute

Wie konnte Brüssel zur unheimlichen Terror-Hauptstadt Europas werden? Das hat viel mit der Wirtschaft zu tun, mit falschen Verbündeten – aber auch mit dem Versagen der westlichen Außenpolitik

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Erst war es nur das Problemviertel Molenbeek im Westen von Brüssel, das als Drehscheibe des islamistischen Terrors galt. Dann kam der kleinbürgerliche Stadtteil Forest hinzu, wo in der vergangenen Woche bei einer Polizeirazzia ein mutmaßlicher Terrorist erschossen und ein riesiges Waffenlager ausgehoben wurde.

Gestern nun, nach den Terroranschlägen am Flughafen und im Europaviertel, konzentrierten sich die Ermittlungen auf Schaerbeek, ein bisher ruhiges Wohnquartier am Rande des Europaviertels. Hier wurden eine Flagge der Terrororganisation „Islamischer Staat“, ein Sprengsatz mit Nägeln sowie chemische Substanzen gefunden.

Ist Brüssel ein riesiges Terrornest? Oder profitieren die Attentäter einfach von dem Umstand, dass es in der EU-Haupstadt viele günstige Wohnungen und wenig soziale Kontrolle gibt? Beide Vermutungen greifen zu kurz. Um die Umstände der Attentate zu verstehen, muss man sich mit der Brüsseler Geschichte und der Soziologie befassen.

Der „arme Halbmond“ in Brüssel


Man muss vom „armen Halbmond“ sprechen, der mehrere vernachlässigte Gemeinden im Westen der Stadt umfasst, darunter auch Molenbeek, Forest und Schaerbeek. Schon seit 30 Jahren leiden diese Viertel entlang des Brüsseler Stadt-Kanals unter dem Niedergang der Industrie und unter einer Armutseinwanderung aus islamischen Staaten.

Hier liegt das Durchschnittseinkommen im Jahr bei gerade mal 14.579 Euro, wie die belgische Tageszeitung „Le Soir“ berichtet. Die Jugendarbeitslosigkeit erreicht Spitzenwerte von bis zu 60 Prozent – fast dreimal so viel wie im übrigen Brüssel. Damit ist der „arme Halbmond“ der ideale Nährboden für Ausgrenzung und Radikalisierung.

Es kommt allerdings noch ein zweiter wichtiger Aspekt hinzu. In den 70er Jahren hatte der belgische Staat die fatale Idee, den islamischen Religionsunterricht und den Bau von Moscheen für die vorwiegend marokkanischen Einwanderer ausgerechnet Saudi-Arabien anzuvertrauen  der Heimat der radikalen Religionsauslegung, die als Salafismus bekannt ist und die Dschihadisten inspirierte.

Geheime Netzwerke des IS


Sogar der Bau der Großen Moschee im Europaviertel wurde den Saudis anvertraut. Neuerdings versucht die belgische Regierung zwar, den Einfluss der Radikalen wieder zurückzudrängen. In Molenbeek ist er aber immer noch spürbar. Seit einigen Jahren kommt noch der gefährliche  Einfluss des „Islamischen Staats“ hinzu.

Er konnte im Brüsseler „Halbmond“, aber auch in Städten wie Antwerpen oder Verviers geheime Netzwerke aufbauen, die die Terror-Attacken in Paris und Brüssel vorbereitet haben. Diese Netzwerke sind offenbar wesentlich größer, als bisher vermutet wurde; belgische Medien sprechen von mehreren Dutzend Sympathisanten und Helfern.

Selbst das hätte aber wohl noch nicht ausgereicht, um Brüssel zur unheimlichen Terror-Hauptstadt Europas zu machen. Es mussten erst noch die Unfähigkeit der belgischen Behörden, das Kompetenzgerangel, das Sprachengewirr und die chronische Unterbesetzung von Polizei und Geheimdiensten hinzukommen.

Versagen der westlichen Außenpolitik


All diese Probleme haben dazu beigetragen, dass der Hauptverdächtige der Attentate von Paris, Salah Abdeslam, erst vier Monate nach seiner Flucht nach Belgien in Molenbeek gestellt wurde. Möglicherweise hat er sich die ganze Zeit über in Brüssel aufgehalten – trotz intensiver Fahndung nach dem meist gesuchten Terroristen Europas verloren die belgischen Ermittler seine Spur.

Allerdings muss man noch eins zur Ehrenrettung der Stadt Brüssel und der belgischen Behörden sagen: Ohne den „Islamischen Staat“ in Syrien wären Abdeslam und seine Komplizen wohl nie auf die Idee gekommen, Attentate zu begehen. In den vergangenen Jahren sind Hunderte Kämpfer aus Belgien in das Gebiet des IS gereist. Dort – und nicht in Brüssel – haben sie ihre „Ausbildung“ erhalten.

Ohne das Versagen der westlichen Außenpolitik, das den IS erst möglich gemacht hat, und ohne die allzu offenen Reise- und Fluchtwege über die Türkei nach Syrien wären Abdeslam und seinesgleichen wohl geblieben, was sie früher waren: Kleine Diebe und Drogenhändler, über die sogar ihre Nachbarn in Molenbeek oder Schaerbeek lachen. 

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