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Brüssel - Ein Terroranschlag gegen die EU

Eine Stadt wie im Krieg: Die Anschläge in Brüssel haben mindestens 20 Todesopfer gefordert. 106 Menschen wurden teils schwer verletzt. Die Terroristen wollten offenbar nicht nur Belgien treffen, sondern auch die EU

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Eric Bonse berichtet seit 2004 aus Brüssel über Europapolitik. Er betreibt auch den EU-Watchblog „Lost in Europe“.

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Brüssel steht unter Schock. Der Flughafen – geschlossen. Das Europaviertel – abgeriegelt. Das Univiertel – geräumt. Die Rue de la Loi, an der der Sitz des Premierministers, aber auch die EU-Kommission liegt: im Belagerungszustand. Schwerbewaffnete Soldaten und Polizisten haben die zentrale Verkehrsader gesperrt.

Es ist eine Stadt im Ausnahmezustand, teilweise wirkt sie wie im Krieg. Dabei hatte dieser Tag in der EU-Kapitale friedlich begonnen. Es war ein sonniger Frühlingsmorgen in Brüssel. Die knapp zwei Millionen Einwohner der belgischen Kapitale bereiteten sich auf die Osterferien vor, die in Belgien erst am Freitagabend beginnen.

Der Flughafen Zaventem im Norden der Stadt war an diesem Dienstag um kurz vor acht voller als sonst, Tausende Touristen sammelten sich in der Abflughalle des größten belgischen Airports. Sie ahnten noch nicht, dass sie das Ziel einer brutalen Terrorattacke werden sollten.

Panik am Flughafen


Doch dann passiert das Unfassbare: Ein Mann sprengt sich in die Luft, kurz darauf erschüttert eine zweite, gewaltige Explosion die Halle. Mindestens 14 Menschen kommen ums Leben, Körper werden durch die Luft geschleudert, Panik bricht aus. Zunächst ist noch nicht klar, ob es sich um einen Unfall handelt - oder um ein Attentat.

Doch kaum zwei Stunden später explodiert eine weitere Bombe im Zentrum, in der Metrostation Maelbeek im Brüsseler Europaviertel. Sie reißt nach ersten Meldungen 20 Menschen in den Tod, mindestens 106 weitere werden zum Teil schwer verletzt. Nun besteht kein Zweifel mehr: Ganz ähnlich wie Paris im November ist nun auch Brüssel Ziel eines Terroranschlags geworden.

„Was wir befürchtet haben, ist eingetreten“, kommentierte  Premierminister Charles Michel den Angriff. Denn Brüssel war vorgewarnt. Spätestens seit Freitag vergangener Woche wussten die Behörden, dass die EU-Hauptstadt das Ziel von Terroranschlägen sein könnte.

Salah Abdeslam,  „Enemy Nr. One“ in Europa


An diesem Tag hatte die belgische Polizei im Problemviertel Molenbeek den Franzosen Salah Abdeslam festgenommen, einen der Hauptverdächtigen der Attentate von Paris und „Enemy Nr. One“ in Europa. Seine Aussagen ließen das Schlimmste fürchten, sagte Außenminister Didier Reynders schon am Samstag.

Doch trotz dieser Warnungen wurde die Sicherheitsstufe in Belgien nicht erhöht. Die Regierung erklärte lediglich, dass die schon seit Wochen geltende Terrorwarnstufe drei bis April verlängert werde. „Alerte 4“, also die höchste Warnstufe, wurde nicht ausgerufen.

Weder in der Metro noch am Flughafen wurden besondere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, jeder konnte den Airport unbehelligt betreten. Das haben sich die Attentäter zunutze gemacht: Sie mischten sich unter die Fluggäste und zündeten ihre Bomben dort, wo sich die meisten Menschen aufhalten: Unter der zentralen Anzeigetafel.

Offenbar wollten die Täter, die dem Terror-Netzwerk von Abdeslam zugeordnet werden, den größtmöglichen Schaden anrichten. Ihr Ziel haben sie mit Bedacht ausgesucht: Der Flughafen ist ein Drehkreuz in Europa, von dem auch Staats- und Regierungschefs, Minister und EU-Beamte in alle Himmelsrichtungen fliegen.

Keiner denkt mehr an Osterferien


Auch die Metro-Station Molenbeek ist symbolträchtig: Sie liegt in der Rue de la Loi, der größten Verkehrsader mitten im Brüsseler Europaviertel - in Sichtweite der EU-Kommission und in der Nähe des Amtssitzes des belgischen Premierministers. Die Terroristen wollten offenbar nicht nur Belgien treffen, sondern auch die EU.

Das ist ihnen auch gelungen: In der EU-Kommission und im Europaparlament wurden alle Termine abgesagt. Im Parlament war eigentlich eine Pressekonferenz zum VW-Diesel-Skandal geplant - doch nun gibt es Wichtigeres. Selbst die Flüchtlingskrise, die die EU noch am Montag in Atem gehalten hatte, spielt plötzlich keine Rolle mehr.

Auch in Belgien haben sich die Prioritäten verschoben. An die Osterferien denkt nun niemand mehr - sondern daran, wie man am Nachmittag nach Hause kommen und die Kinder von der Schule abholen soll: Alle öffentlichen Verkehrsmittel sind geschlossen, der innere Ring der  Stadtautobahn ist weitgehend dicht. Rien ne va plus, nichts geht mehr.

Brüssel nur ein Vorgeschmack?


Wie wird das Leben in Brüssel, in der Hauptstadt der EU, nun weitergehen? Ist Brüssel vielleicht nur ein Vorgeschmack auf das, was nun in ganz Europa droht, vielleicht auch in Deutschland? Bundesinnenminister Thomas De Maizière versucht zu beruhigen: Bislang gebe es keinerlei Hinweise auf einen Deutschlandbezug der Täter, sagte der CDU-Politiker. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.

Denn zum einen haben die belgischen Behörden bisher noch keinen Verdächtigen identifiziert. Zum anderen hat sich Salah Abdeslam, der die neue Terrorwelle kaum verhüllt angedroht hatte, im letzten Jahr in Deutschland aufgehalten. Am 3. Oktober war Abdeslam nach Angaben der französischen Staatsanwaltschaft in Ulm mit einem Komplizen unterwegs, der am Freitag bei dem Einsatz in Brüssel-Molenbeek ebenfalls gefasst worden sei.

Dieser habe sich mit falschen syrischen und belgischen Papieren ausgegeben. Der Südwestrundfunk berichtete dazu, Abdeslam könnte in Ulm drei Männer, die sich als Syrer ausgegeben hatten, aus einer Flüchtlingsunterkunft abgeholt haben, in deren Nähe er geparkt hatte. Von den drei Männern fehlt seither jede Spur.

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