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Lösungsvorschlag für Syrien und Nahost - Baut Mauern zwischen den Volksgruppen!

Weder Bodentruppen noch Luftkriege sind in Syrien erfolgreich. Dazu kommen mehrere verschiedene Kriegsziele. Der Westen muss einsehen, dass eine multikulturelle Lösung im Nahen Osten gescheitert ist – eine neue Strategie muss auf festen Grenzen beruhen 

Autoreninfo

Heinz Theisen ist Professor für Politikwissenschaften. Seit 2005 ist er Gastprofessor an der Universität Bethlehem. 2017 erschien sein Buch „Der Westen und die neue Weltordnung“ bei Kohlhammer.

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Beim Umgang mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad denkt der Westen bisher in zwei Kategorien: „Demokratie oder Diktatur“. Assad wird dämonisiert, die normative Handlungsgrundlage ist eine westliche. Doch im Nahen Osten geht es primär um Konfessions- und Machtkriege zwischen Sunniten und Schiiten. Hier hat der säkulare und an universellen Werten orientierte Westen nichts zu gewinnen.

In Syrien beschränkt sich das Anti-IS-Bündnis nach den Erfahrungen mit Guerillakriegen auf Luftangriffe. Die Menschen fliehen aber nicht nur vor Assad und dem „Islamischen Staat“, sondern auch vor dem Bombenkrieg der Mächte, gewissermaßen vor uns zu uns. Dabei bringen die Luftschläge dem „IS“ vor Ort und in Europa neue Sympathisanten. Zivile Opfer nähren den Hass und multiplizieren die Feinde gegenüber dem Westen und Russland, wie zuvor gegenüber der syrischen Armee von Assad. In Afghanistan steht der Westen heute mehr Feinden gegenüber als zu Beginn der Intervention.

Während Russland einer klaren Strategie zugunsten der eigenen Interessen folgt, weiß der Westen nur, gegen wen, aber nicht, für wen er kämpft. Für sein vages Ziel, Syrien zu demokratisieren, gibt es kaum Ansprechpartner. Solange sich der Westen sträubt, kulturell statt politisch zu denken, wird er den Krieg nicht beenden können.

Absurdismus im Nahen Osten


Die verschiedenen Kriegsziele in Syrien lassen keine Interessenkompromisse zu. Sunniten kämpfen gegen schiitische oder alawitische Mächte, der „Islamische Staat“ kämpft für die weltweite Herrschaft des Kalifats, Russland für seine strategischen Machtinteressen, der Westen und Russland für die Eindämmung und Vernichtung des „IS“, Assad für die Bewahrung seiner Herrschaft im alten Nationalstaat. Einige der ungefähr 48 Rebellengruppen, bei denen es sich meist um Stammeskrieger handelt, kämpfen für die Demokratisierung, andere für die Islamisierung Syriens. Religiöse und ethnische Minderheiten wie Alawiten, Christen und Kurden kämpfen um ihr bloßes Überleben. Kein absurdes Theaterstück hätte ein solches Tohuwabohu inszenieren können.

Vor dem Ersten Weltkrieg gab es erschreckend ähnlich absurde Bündnisse wie heute in Syrien. Damals verstrickten sich kulturalistische Bündnisse (zwischen Russland und Serbien) mit nationalen und imperialen Ambitionen sowie den demokratischen Visionen des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilsons zu einem unentwirrbaren Knäuel. Inkompatible Paradigmen kämpften aneinander vorbei. Die rational naheliegenden Kompromisse wurden durch Identitäten und Ideologien blockiert.

Neue Paradigmen, etwa der Aufbau von Säkularität oder einer föderativen Union, erscheinen im Nahen Osten erst nach der totalen Zerstörung als möglich – wie nach dem Dreißigjährigen Krieg oder dem Zweiten Weltkrieg in Europa. Um dieses Katastrophenszenario zu verhindern, bliebe nur ein Ausweg: Konfessionen, Ethnien und die mit ihnen verbundenen Mächte strikt entlang der von ihnen dominierten Gebiete zu trennen.

Grenzen und Mauern als Zukunft


Wenn weder Bodentruppen noch Luftkriege erfolgreich sind, bleibt nur ein radikaler Strategiewechsel. Wie zwischen den Mächten im Kalten Krieg oder heute zwischen Israel und den Palästinensern, müssen in Syrien und im Irak Grenzen zwischen den Feinden gezogen und gehalten werden. Israel hat sich gegen Islamisten und palästinensische Nationalisten eingemauert. In ähnlicher Weise müssen sich die Alawiten um Assad in Syrien gegen die sunnitische Mehrheit abgrenzen. Die Schiiten Bagdads haben sich so schon auf entsprechende Weise vor den Sunniten geschützt.

Assad kann sich immer noch behaupten, weil er bei den religiösen Minderheiten, wie den Christen, Unterstützung findet. Eine Wiedererrichtung des alten Nationalstaates ist längst undenkbar geworden. Ohne neue Grenzen ist keine Koexistenz möglich. Die notwendigen Grenzziehungen wären ein sinnvolles strategisches Ziel der Anti-IS-Koalition. Dies erfordert allerdings den Abschied von alten nationalistischen und multikulturellen Visionen.  

Aber auch mit neuen Grenzen lässt sich nicht mehr als eine Eindämmung des „IS“ erreichen. Auf der Basis zumindest halbwegs stabiler Grenzen könnte sich der Westen aus seinen Verstrickungen mit dem Nahen Osten lösen, sich gegenüber den innerislamischen Konflikten neutral verhalten und eine Politik des Gleichgewichts der Kräfte betreiben. Umso leichter könnten der Westen und der Nahe Osten in Bildung, Technik und Wirtschaft kooperieren und diese Bereiche zusammen vorantreiben. Nur so ließe sich die Zahl der Flüchtlinge dauerhaft reduzieren.

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