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Mali - „Manchmal muss man den Bauch aufschneiden“

Amadou Haya Sanogo putschte Malis Präsidenten weg und ist oberster Militär des Landes. Was hat er vor?

Autoreninfo

Specht, Martin

So erreichen Sie Martin Specht:

Capitaine Sanogo, wie stürzt man eine Regierung in Afrika?
Auf diese Frage gibt es keine eindeutige Antwort. Es ist zwar Hunderte Male geschehen, aber jedes Mal anders. Es hängt von der Situation, den Umständen und den Möglichkeiten ab.

Wie haben Sie es gemacht?
Das werde ich Ihnen vielleicht später einmal erzählen, aber noch ist es nicht zu Ende gebracht. Das Regime war krank, und ich habe ihm geholfen zu sterben. Im Grund war das sehr einfach. Ich habe Mali eine Chance gegeben, sich zu erneuern.

Betrachten Sie es als das Recht der Armee, gegen die Regierung zu putschen?
Ein Militärputsch ist niemals zu rechtfertigen. Aber im Fall Malis ist es wie mit der Arbeit eines Chirurgen. Manchmal muss man den Bauch aufschneiden, um den Patienten zu heilen. Das habe ich getan. Wenn man so will, war nicht ich es, der geputscht hat. Vielmehr war eine Situation entstanden, die es verlangte.

Wie würden Sie diese Situation beschreiben?
Ich begann, über einen Coup nachzudenken, als die Regierung bewaffnete Gruppen, die aus Libyen kamen, in unser Land gelassen hat. Es gab Minister, die haben diese Kämpfer auf unserem Territorium begrüßt. Das hätte niemals geschehen dürfen. Zur gleichen Zeit haben sie die Anführer unserer Armee bestohlen und geschwächt. Die Armee bekam so gut wie keine Ausrüstung, keine Fahrzeuge und keine Verpflegung. Der Sold wanderte in die Taschen korrupter Vorgesetzter. Als die Islamisten in den Norden einfielen, wurden Hunderte unserer Soldaten ohne Waffen und Munition im Stich gelassen. Das Geld, das für die Ausrüstung vorgesehen war, hatten korrupte Offiziere veruntreut. Jeder wusste davon.

Wurde ein Soldat verwundet, der nicht aus einer wohlhabenden Familie stammt, dann wurde er nicht im Militärkrankenhaus versorgt. Gleichzeitig sind Kinder und Ehefrauen der Generäle auf Staatskosten zur medizinischen Behandlung in die USA oder nach Europa gereist. Manche Offiziere erhielten nach nur einer Woche Ausbildung das Kommando über eine Armee-Einheit – allein aufgrund von Vetternwirtschaft. Auf die Militärakademie kam man nur durch Beziehungen, nicht durch Qualifikation. Unter der gestürzten Regierung hatten wir nicht mehr die Armee, die dieses Land verdient.

War es deshalb für die Rebellen so einfach, den Norden Malis zu erobern?
Ja. In den Streitkräften gab es keine Ausrüstung, so gut wie keine Führung und keinerlei Motivation.

Wie schätzen Sie die derzeitige Lage ein?
Vieles ist jetzt in Bewegung geraten. Dank ausländischer Hilfe wurde der Norden zurückerobert. Aber wir müssen vorsichtig sein. Von meinen 24 Jahren in der Armee habe ich 13 im Norden verbracht, acht davon in Kidal. Es gibt heute kaum einen Soldaten in der Armee Malis, der länger im Norden war als ich. Ich kenne daher die Region aus eigener Anschauung sehr gut. Die Islamisten kämpfen einen anderen Krieg als moderne Armeen. Es geht ihnen nicht darum, eine Stadt wie Timbuktu einzunehmen. Das ist den Islamisten vollkommen egal. Wenn sie einen französischen oder westlichen Soldaten pro Woche töten, ist das für sie ein Erfolg. Tötet hingegen die französische Armee einen Terroristen pro Woche, ist das kein Erfolg.

Es gibt Gerüchte, Sie seien gegen eine Intervention der französischen Streitkräfte gewesen?
Das sind politisch motivierte Lügen mit dem Ziel, die Dinge zu komplizieren. Um die Situation im Norden zu klären, brauchen wir militärische Hilfe, brauchen wir Luftunterstützung, brauchen wir Ausbilder. Das Einzige, was wir nicht brauchen, sind Soldaten, die im Land herumsitzen und nichts tun. Das ergibt keinen Sinn.

Bedeutet die französische Intervention nicht auch so etwas wie die Rückkehr der ehemaligen Kolonialmacht?
Es ist nicht nur Frankreich. Es sind auch die USA, es sind Deutschland und viele andere, die uns militärisch helfen. Ich bin dafür, dass sie hierbleiben, solange sie gebraucht werden. Keine afrikanische Armee hätte den Norden ohne fremde Hilfe befreien können. Es ist für die malische Armee also keine Schande, zusammen mit ausländischen Truppen zu kämpfen.

Wie beurteilen Sie die Präsenz der Truppen der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Ecowas?
Die Soldaten aus dem Tschad kämpfen, während die Anwesenheit der Ecowas-Truppen eine Frage der Politik ist. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich, dass wir es ohne die französischen Truppen nicht schaffen können.

Deutschland hat nun Militärberater und Ausbilder nach Mali entsandt. Was halten Sie davon?
Viel. Ich selbst bin in den USA ausgebildet worden. Daher weiß ich, wie wichtig diese Kooperation ist. Mein größtes Interesse ist, dass Mali eine starke und professionelle Armee bekommt. Wenn also Ausbilder aus Deutschland, aus Frankreich, aus den USA zu uns kommen, begrüßen wir diese Hilfe. Wir können sie brauchen, um die Armee aufzubauen.

Kann der Konflikt über die Grenzen Malis hinaus die Region destabilisieren? Könnte das, was in Mali geschehen ist, sich etwa auch im Niger ereignen?
Vor der französischen Intervention war die Gefahr, dass sich der Konflikt auf die Nachbarländer ausbreitet, groß. Danach haben sich die Dinge geändert. Jedenfalls wird es stabil bleiben, solange die Militär­operation andauert. Ich gehe davon aus, dass es im Niger Schläfer beziehungsweise Zellen gibt, die darauf warten, auch dort die Lage zu destabilisieren.

Besteht für Sie ein Unterschied zwischen den Tuareg, die Autonomie fordern, und den Islamisten, die einen religiösen Staat errichten wollen?
Die Tuareg, die sich mit den Islamisten zusammentun, selbst wenn sie unterschiedliche Ziele verfolgen, sind für mich Terroristen. Für mich ist jeder, der sich mit den Islamisten verbündet, ein Terrorist.

Ist Mali nicht eigentlich ein geteiltes Land, mit den Tuareg im Norden und den Bambara im Süden?
Nein, überhaupt nicht. Es gab zwar immer wieder Unruhen – 1968, 1989 und 1991 –, aber anschließend haben die Bevölkerungsgruppen wieder zueinandergefunden. Es gibt viele Tuareg, die im Süden leben, und wie gesagt, ich selbst habe lange im Norden gelebt.

Wenn alles so harmonisch ist, warum kommt es dann immer wieder zu Aufständen?
Darauf bekommen Sie von mir keine Antwort. Fragen Sie jemand anderen außerhalb Malis. Die Aufständischen kämpfen mit Waffen und Geld aus dem Ausland. Dort müssen Sie diese Fragen stellen.

Was erwarten Sie von den Wahlen im Juli? Können die angesichts der angespannten Situation im Norden überhaupt stattfinden?
Sicher können sie das. Nicht der Norden Malis, sondern Bamako ist wichtig für die Wahlen. Ich hoffe, das Land bekommt den Präsidenten, den es verdient. Er sollte im nationalen Interesse Malis denken und handeln.

Werden Sie jeden gewählten Präsidenten akzeptieren?
Ja. Ich erwarte eine freie und faire Wahl ohne Einmischung von außen. Ich hoffe, das wird möglich sein. Ich selbst bin kein Politiker. Hätte ich ein politisches Amt haben wollen, so hätte ich es nach dem Coup haben können. Als Offizier habe ich einen Eid geschworen, dieses Land zu beschützen. Ohne die Armee gibt es keine Demokratie in Mali. 

 

Das Interview führte Martin Specht

Unter der Führung von Capitaine Amadou Haya Sanogo marschieren am 21. März 2012 Soldaten in Malis Hauptstadt Bamako ein. Die Soldaten protestieren, weil sie ohne vernünftige Ausrüstung gegen viel stärkere Rebellen im Norden des Landes an die Front geschickt wurden. Schnell ist der Präsidentenpalast erobert und Präsident Amadou Toumani Touré geflohen.

Islamisten und Tuareg-Rebellen nutzen das Chaos in der Hauptstadt, um den Norden des Landes unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Tuareg-Rebellen, weil sie einen unabhängigen Staat anstreben, den sie am 6. April 2012 auch ausrufen. Islamistische Gruppen, weil sie die Scharia, das strenge islamische Recht, durchsetzen wollen. Schnell werden aus Freunden Feinde: Die Islamisten vertreiben die Tuareg; ihr unabhängiger Staat ist Geschichte.

Im Oktober 2012 einigen sich UN-Sicherheitsrat, die Westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas und die Afrikanische Union auf einen militärischen Einsatz „zum Erhalt der Einheit Malis“. Die französische Armee, Soldaten aus dem Tschad und Ecowas-Truppen drängen die Islamisten aus allen größeren Städten des Nordens und stoppen deren Vormarsch auf die Hauptstadt.

Die Bundesrepublik stellt drei Transportflugzeuge zur Beförderung von Ecowas-Truppen aus den Nachbarstaaten nach Mali; mithilfe eines weiteren Flugzeugs werden französische Jets in der Luft betankt. Zudem beteiligt sich Deutschland seit April 2013 an der europäischen Ausbildungsmission: Der Bundestag hat die Entsendung von bis zu 330 Soldaten beschlossen. Sie sollen malische Soldaten schulen und Feldlazarette aufbauen.

Der seit April 2012 amtierende Übergangspräsident Dioncounda Traoré bereitet derweil Wahlen vor. Am 7. Juli soll ein neuer Staatspräsident, am 21. Juli ein neues Parlament gewählt werden. jh

 

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