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Raus aus Afghanistan!

Fünf Argumente gegen einen sinnlosen Krieg

Peter Scholl-Latour: Raus Aus Afghanistan Christoph Seils: Gefallen fürs Vaterland Als sich die friedliche Nische der Weltgeschichte schloss, jene beschwingten zwölf Jahre zwischen dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Sturz des World Trade Centers 2001, da stimmte man mit bitterer Einsicht zu, dass der Krieg in Afghanistan ein notwendiges Übel zur Verteidigung der Freiheit sei. Heute aber wächst der Zweifel, ob der Einsatz am Hindukusch tatsächlich weiter Sinn macht. Nicht so sehr aus pazifistischen Erwägungen, sondern aus dem Kalkül von Sachlage und Interessen. Das temporale Argument Der Krieg in Afghanistan geht bald ins siebte Jahr. Damit sind alliierte Truppen dort mittlerweile länger im Einsatz als im Ersten oder Zweiten Weltkrieg. Wenn ein Kriegseinsatz nach einer derart langen Zeit aber nicht beendet ist, dann ist er verloren. Statt im Jahr sieben über den Abzug nachzudenken, bereitet die Bundeswehr sogar eine neue militärische Vertiefung des Einsatzes vor. Immer stärker werden deutsche Truppenteile – von Tornados bis zu Spezialkräften – auch bei Kampfeinsätzen im Süden hinzugezogen, immer tiefer werden deutsche Soldaten involviert in einen Aufreibungskrieg mit Partisanen. Im Sommer soll zudem eine „Quick Reaction Force“ neue Kampfeinsätze führen. Es sieht so aus, als kämen nach sieben mageren Jahren sieben noch magerere Jahre. „Quick“ ist an diesem Krieg jedenfalls gar nichts. Das verteidigungspolitische Argument Die stärksten Argumente für den Afghanistan-Einsatz verweisen auf das Ausschalten von Terrorcamps in der Region einerseits (unmittelbarer verteidigungspolitischer Nutzen) und auf die Notwendigkeit von Bündnistreue des Westens andererseits (mittelbarer Nutzen). Das erste Kalkül ist – wie wir heute zur Kenntnis nehmen müssen – spätestens an der Grenze zu Pakistan gescheitert. Denn nach all den Jahren Kriegseinsatz ist die Zahl der Terrorcamps in der Region keinesfalls kleiner geworden. Nicht einmal Osama bin Laden ist gefasst. Seine Kampftruppen haben sich bloß verzogen und dadurch zu einer Destabilisierung Pakistans beigetragen. Realpolitisch betrachtet ist ein wankendes Pakistan aber viel gefährlicher als ein Talibanregime in Kabul. Kurzum: Das militärische Hauptziel des Afghanistankrieges (Vertreibung der Talibanterroristen, Aufbau eines demokratischen Partnerstaates, Stabilisierung der Region) ist bis heute nicht erreicht und wird – nach Aussagen der Kommandierenden vor Ort – auch in Jahren nicht gelingen. Aber auch die Bündnislogik ist zusehends zweifelhaft. Denn die westlichen Bündnispartner sind allesamt auf einem mentalen Rückzug aus Afghanistan. In den meisten Staaten sinkt die Akzeptanz des Krieges mit seiner Dauer, seinen Kosten und seinen sisyphoshaften Erfolgen. Zudem führt die ungleiche Lastenverteilung und die demonstrative Zurückhaltung einer Mehrheit der Nato-Staaten zu inneren Verwerfungen im Bündnis. Immer stärker verfestigt sich der Eindruck, es handle sich auch im Falle Afghanistans um einen gescheiterten Bush-Krieg mit falscher Strategie. Da inzwischen im US-Wahlkampf offen über Rückzugsvarianten diskutiert wird, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Afghanistankrieg seine innere Legitimation im gesamten Westen verlieren wird. Deutschland und die Nato machen daher einen schweren politischen Fehler, dass sie der Weltöffentlichkeit, aber auch den eigenen Bevölkerungen keine plausible „Exit-Strategie“ vorlegen. Nach sieben Jahren Kriegseinsatz wollen die meisten Verbündeten nicht mehr, selbst die Amerikaner machen bald kehrt, und trotzdem sagte einem keiner, ob wir noch zwölf Monate, drei Jahre oder eine ganze Generation in Afghanistan bleiben sollen. In Deutschland wird dieses Strategieversagen dazu führen, dass der Linkspartei ein weiteres Mobilisierungsthema zufällt. Denn zwei Drittel der Bevölkerung sind dem Afghanistaneinsatz gegenüber inzwischen skeptisch oder negativ eingestellt, die politische Klasse in Berlin aber tut so, als könne sie der Öffentlichkeit eine einfache Antwort auf die Frage vorenthalten: Wann gehen wir da wieder raus? Das ökonomische Argument Betrachtet man den monströsen Militäreinsatz am Hindukusch einmal rein nutzenökonomisch, dann kann man heute eines mit Sicherheit sagen: Der Krieg ist sehr, sehr teuer. Die Berechnungen liegen zwischen 80 Milliarden Dollar (Pentagon), 150 Milliarden Dollar (Center for Defense Information) und 300 Milliarden Dollar (Friedensbewegung). Der Anteil, den Deutschland zu zahlen hat, steigt dabei ständig. Schon jetzt ist dieser Krieg der teuerste Außeneinsatz Deutschlands seit dem Zweiten Weltkrieg. Hat es sich aber gelohnt, wenn die Sicherheitslage vor Ort ständig schlechter anstatt besser wird? Hat es sich gelohnt, wenn der Krieg kein Ende findet? Hat es sich gelohnt, wenn das Image des imperial auftretenden Westens eher Schaden nimmt? Hat es sich gelohnt, wenn die Region von Pakistan bis Iran instabiler wird? Hat es sich gelohnt, wenn Deutschland keine konkreten Vorteile aus seiner Präsenz zieht? Hat es sich gelohnt, wenn im Gegenteil die Drogenimporte aus Afghanistan deutlich steigen und die Drogenclans ihre Anbaugebiete 2007 laut Vereinten Nationen so stark ausgeweitet haben wie nie zuvor (nämlich auf eine enorme Fläche von 104000 Hektar)? Ökonomisch betrachtet ist dieser Krieg für den Westen ein katastrophales Sub-Prime-Investment. Das historiografische Argument Aus einer historischen Perspektive ist dieser Krieg wie ein Riss in der vorderasiatischen Schallplatte der Weltgeschichte. Immer und immer wieder versuchen es die Mächte des Westens in diesem unbezähmbaren Gebiet wilder, stolzer Völker mit Eroberungs- und Zivilisierungskriegen. Und immer wieder ist es vergebens. Wahrscheinlich unterliegen auch wir mit dem – durchaus gut gemeinten – Demokratie-Imperialismus einem Trugschluss. Denn Afghanistan würde auch nach Jahrzehnten Nato-Kriegs noch keine rechtsstaatliche Demokratie nach unserem Vorbild. Vor dem Antlitz der Weltgeschichte geschieht aber etwas anderes. Wir schaffen uns eine neue Kolonie. Militäreinsätze von solcher Länge, begleitet mit Zivilisationsinitiativen, sind selbst bei bester Absicht kaum etwas anderes als Kolonialismus. Deutschland legt sich gerade ein Protektorat am Hindukusch zu. Nun haben wir gelernt, über die ungelenken Versuche Kaiser Wilhelms, ein Kolonialreich mit absurden Zielgebieten aufzubauen, den Kopf zu schütteln. Ist aber das deutsche Protektorat von Kabul nicht ähnlich verwegen? Man kann zwar den Standpunkt vertreten, dass postmoderne Kolonien durchaus dem eigenen Interesse dienen könnten. Nur – dann sollten sie ökonomisch wenigstens attraktiver sein als diese Sand-, Stein- und Bergwüste. Das moralische Argument Es ist ein wenig aus der Mode gekommen, nach Opfern zu fragen. Nach Menschen, die sterben, die verkrüppelt werden oder seelisch zerstört aus Kriegseinsätzen zurückkehren. Nach Müttern und Kindern, die ihre Liebsten verlieren. Im politischen Diskurs gilt das nur mehr als moralische Gefühlsduselei. Als lächerliche Kategorie. Wir haben uns an einen „realpolitischen“ Blick auf ­Militäreinsätze gewöhnt, als wären wir alle Planungsstrategen des Pentagon. Wir glauben, es ginge darum, Krieg gegen Sicherheit zu tauschen – als ginge es um einen Fondssparplan der Weltpolitik. Die Nachrichten von Gefechten, Attentaten und Scharmützeln am Hindukusch nehmen wir mit einer Gleichgültigkeit zur Kenntnis als wären wir nicht dabei. Sind wir aber. Wenn eine Demokratie Krieg führt, muss sich jeder fragen, ob er selber bereit wäre, dem Kind eines gefallenen Soldaten zu erklären, dass es sich im Großen und Ganzen doch gelohnt hat. Tausende Tote hat der Krieg in Afghanistan unter den Einheimischen bisher gefordert, und auch die westlichen Alliierten betrauern bereits 770 Tote. Eine abstrakte Kategorie? Ein notwendiger Preis? Wenig? Zu viel! Wolfram Weimer ist Herausgeber und Chefredakteur von Cicero Foto: Picture Alliance

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