Margot, allein zu Haus?

Die grüne Schutzmauer ist gut hundert Meter lang. Da wir angemeldet sind, genügt es, am Klingelbrett einen bestimmten Buchstaben zu drücken, um eingelassen zu werden.

Die grüne Schutzmauer ist gut hundert Meter lang. Da wir angemeldet sind, genügt es, am Klingelbrett einen bestimmten Buchstaben zu drücken, um eingelassen zu werden. Innerhalb der Mauer befinden sich mehrere Reihenhäuser, die sich um einen kleinen Park mit Swimmingpool, Spielgerüsten, Blumenrabatten und Palmen gruppieren. Frau Honecker wohnt in der Mitte der u-förmigen Anlage. Sie steht schon vor der Tür, als wir die Gartenanlage durchqueren. „Das ist also die Villa, in der die Honeckers residieren“, sagt die kleine, grau melierte Dame mit scharfer Stimme und zeigt auf das schmale, zweistöckige Reihenhaus hinter ihr. Während wir den Flur betreten, von dem links die Küche abgeht, ist die rüstige Rentnerin schon mit einem Tablett Kaffee zur Stelle: War da noch jemand in der Küche, dem wir nicht, begegnen sollten? Es bleibt keine Zeit, diesem Gedanken nachzugehen. Wir wollen mit Margot Honecker Aufnahmen machen zum Film über die Flucht ihres Mannes nach 1989. Sie hat hier in Chile die Dokumente der Odyssee aufbewahrt: Pässe, Briefe, amtliche Schreiben. „Da ist die Ausweisung aus Russland vom 22.Juli 1992“, dabei klopft sie mit dem Zeigefinger auf das Dokument mit der Unterschrift von Jelzins Justizminister Fedorow. Noch haben wir keine ordentliche Tonverkabelung aufgebaut. „Frau Honecker, wir müssen, bevor wir weiterdrehen, das Mikrofon bei Ihnen anbringen.“ „Nee, bei aller Liebe nicht! Die Dokumente meines Mannes sind wichtig, ich nicht!“, anwortet sie bestimmt und breitet weitere Hinterlassenschaften ihres Mannes aus. Während wir Lampen und Kamera auf die Dokumente richten, setzt sich Frau Honecker auf eine blaue Couch und reibt sich die Hände. Wir haben Juli und in Chile ist Winter. Unter den roten Fußbodenkacheln gibt es keine moderne Heizung, nur ein Gasofen spendet ein bisschen feuchte Wärme. Wir kommen auf den Tod Erich Honeckers 1994 zu sprechen. Ist Ihr Mann hier in Chile begraben? „Er wollte immer nach Deutschland zurück. Seine Urne habe ich aufgehoben.“ Wann wäre denn der Zeitpunkt, fragen wir, ihn in Deutschland beizusetzen? „Gott! Im Moment nicht absehbar, würde ich sagen.“ Die letzten Worte von ihr werden schon ins Dunkle hineingesprochen, denn unsere Lampen haben einen Kurzschluss ausgelöst. Die Hausherrin findet ohne Probleme zum Sicherungskasten und stellt die Beleuchtung wieder her. Plötzlich steht neben ihr ein junger, kräftiger Mann mit kurz geschorenem Haar. „Roberto Yáñez“, sagt er und gibt uns die Hand. Der Enkel von Margot Honecker war die ganze Zeit über in der Küche. Seiner Oma ist das nicht so recht. Sie bemüht sich um ein schnelles Ende unseres Besuches. Roberto interessiert sich für seine alte Heimat Berlin, fragt nach Bildbänden über den deutschen Expressionismus. Zum Abschied schenkt er uns seinen neuesten Gedichtband mit einer Widmung: für Thomas Grimm diesen Gedichtband in eine andere Welt – Robert Yáñez, Stg. de Chile 21.Juli 2001. Nachdem uns die Gastgeberin zum Tor gebracht hat und wir wieder vor der grünen Mauer stehen, wissen wir, an welches Objekt diese in Deutschland erinnert: an die Mauer von Wandlitz, die das Wohnviertel der DDR-Führung vor dem Volk schützen sollte. Thomas Grimm ist Dokumentarfilmer. Er gründete „Zeitzeugen-TV“, drehte „Honeckers Flucht“ (ARD, 2002) und ist Herausgeber des Buches „Die Honeckers privat“, Parthas Verlag

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