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"Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod"

Begegnungen mit Menschen jenseits unserer Maßstäbe: eine Mutter in Gaza, ein Vater in Kairo, Söhne in Hebron, Quetta und Berlin. Aufzeichnungen über Gesellschaften im Krieg. Im Krieg mit dem Feind. Und im Krieg mit sich selbst.

KAIRO
Ein Besuch bei Attas Vater

Natürlich sind es die Juden gewesen, wer sonst! Mein Gott!“ Wie Donnerhall bricht es aus ihm heraus, er schlägt mit der geballten Faust auf den Tisch, dass die Gläser tanzen und lässt dann in einer langsamen Kopfbewegung den Blick über die Terrasse des Kairoer Schützenclubs „Nadi Sid“ schweifen. „Nur die Juden können das. Niemand anderes sonst.“ Er genießt die scheuen, auch die irritierten Blicke der übrigen Gäste und versucht den Eindruck zu erwecken, als ließe ihn deren Aufmerksamkeit kalt. Die Sonne über Kairo ist untergegangen und Mohammad al Amir Atta hat nicht länger an sich halten können. Zunächst wollte er dieses Treffen nicht. Kein Gespräch. Mit mühsamer Höflichkeit duldete er, dass ich mich einfach zu ihm an den Tisch begab.

Annäherung an einen Vater. Den hat der Sohn am 11. September des Jahres 2001 auf die Weltbühne katapultiert. Das hat seinem Leben bis heute einen neuen Sinn gegeben. „Sie müssen wissen“, bricht es bereits bei der ersten Kontaktaufnahme am Telefon aus ihm heraus, „ich bin ein wichtiger Mann, ich bin ein sehr, sehr wichtiger Mann.“ Einer, der sich eine Mission wohl hat suchen müssen, weil Liebe nicht mehr greifen kann, wenn das Leben des Kindes so sehr aus dem Ruder gelaufen ist. Also verkündet der Vater „das Martyrium“ des Sohnes. Denn der – ein Massenmörder? Nein! Der Liebe, der so ruhig, so strebsam und so hilfsbereit war! Niemals! Nein, diese Tat an jenem Tag, „es waren die Juden, der Mossad!“ Nach mehr als zwei Jahren hat Hass den Schmerz endgültig gedämpft. Das schützt vor Fakten. Mission impossible.

An jenem Tag im Spätsommer hat Mohammad al Amir Atta mit Freunden zusammen gesessen. Sie haben Kaffee getrunken, haben, wie so oft, über Gott und die Welt geplaudert und haben natürlich nicht wissen können, dass just in diesen Momenten am 11. September des Jahres 2001 sein Sohn Mohammad Atta, der 33 Jahre alte Student der Stadtplanungswissenschaften, Weltgeschichte schreibt, indem er Flug American Airline 011 in einen der Türme des World Trade Centers jagt und dreitausend Menschen sterben lässt. Ganz einfach so, im Namen Gottes und wider dessen Feinde. Die verglühten ins Nichts oder flatterten im Sprung aus Angst vor dem Tod wie Blätter im Wind von den Türmen.

All der Schrecken, der den Vater und seine Freunde erfasst haben muss, als sie dann spät in der Nacht die ersten Bilder aus New York sahen, ist verblasst. Denn wer immer es tatsächlich getan haben mag, sie haben es verdient die Amerikaner. Das ist auch heute noch ihre Rede. Die der Freunde und die des Vaters sowieso.

So sieht das auch Mohammad Atta Senior. Der Anwalt lebt mit seiner Frau und den Töchtern in 120 Quadratmeter Bürgerlichkeit in einem Haus in Gizeh bei Kairo. Eine Zimmerflucht mit viel Kitsch und Plüsch und Nippes. An den Wänden Bilder der Schweizer Alpen, in den Regalen religiöse Devotionalien, neben Zeitschriften und juristischer Fachliteratur. Mohammad al Amir Atta ist ein gläubiger Mensch, „kein radikaler, kein Islamist“, sagen seine Nachbarn und erzählen, dass seit dem 11. September die Mandanten ausbleiben. „Ich habe mich nur zur Hälfte aus dem Beruf zurückgezogen. Ich bin ein wichtiger Rechtsanwalt“, hatte Atta Senior am Telefon immer wieder betont.

Jetzt steht er unentschieden im Türrahmen, lässt mich schließlich widerstrebend in sein Wohnzimmer, wo die Töchter dicht an dicht auf dem Sofa kauern, wortlos. Teilnahmslos, in sich selbst zusammengefallen, folgen sie den Worten des Vaters.

Mohammad al Amir Atta schaut durch seine Töchter hindurch, nimmt sie gar nicht wahr, beginnt eine ständige Wanderung durch sein Wohnzimmer, von der Tür zum Fenster und zurück und trägt seine Litanei des Hasses vor. Wie immer seit jenem Tag strickt er an Verschwörungstheorien, baut sie aus, unfähig zu bemerken, dass der klammheimliche Stolz auf die Tat des Sohnes so sehr im Widerspruch zu den erdachten Legenden steht. Ja, es war der Mossad.

Ja, es war die CIA. Ja, es war Washington selbst, das „die Türme Babylons zerstört hat“, meint er. Welch Perfidie! Alleine dies sei doch Beweis genug, dass es die Juden allein und nur sie es gewesen sein müssen, tönt es aus ihm heraus. Und der Beleg sind die US-Konzerne im Irak und Dick Cheney, auch ein Jude, der Vizepräsident, der doch die heimliche Macht ist in diesem großen Spiel ums Öl. „An diesem Tag damals“, sagt er Sekunden später, „hat Amerika den Preis bezahlt für seine verbrecherische Politik gegenüber den Muslimen.“ Zum ersten Mal habe Amerika erfahren müssen, „wie das ist, wenn die sich zur Wehr setzen, die so lange von den USA unterdrückt werden“, meint Mohammad al Amir Atta und da ist sehr viel Müdigkeit in seiner Stimme; in seinen Bemühungen, den Sohn posthum zu schützen und dessen Tat erklärlich zu machen, bricht die Härte in sich zusammen.

„Aber Sie sagten doch eben, dass es die Juden waren und nicht Muslime?“ Er hört die Frage, glaubt Sarkasmus zu spüren. „Das können Sie nicht verstehen“, wischt er die Nachfragen zu den Sprunghaftigkeiten, zu all den Widersprüchlichkeiten in seinen Worten beiseite. Die Töchter lauschen seinen Worten, ohne Regung, als seien sie Gefangene ihrer Apathie. Ihr Leben sei vorbei, sagen Nachbarn. „Der Bruder, Sie verstehen.“

Dem Rechtsanwalt Mohammad al Amir Atta widerfuhren in den Tagen nach dem 11. September 2001 die fünfzehn Minuten Ruhm, die jeder Mensch in seinem Leben haben sollte. So hatte es ein ägyptischer Kollege formuliert. „Wir haben sie ihm beschert. Die wenigsten Menschen halten diese fünfzehn Minuten aus“, hatte der Kollege dann angemerkt. Und vor Attas „weinerlicher Gefühlsduselei“ gewarnt. Die sei „mit blindem Hass durchtränkt“. Bis heute habe er nicht bemerkt, wie sehr die Medienkarawane ihn damals überrollt habe, nur um ihn dann liegen zu lassen. „Tragisch.“

Mohammad Atta Senior steht in seinem Zimmer. Allein. Sieht die Töchter nicht, kann sie nicht wahrnehmen. Die kauern da. Stumm und eingefallen. Sie zittern wie dürre Krähen im Wind.

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