Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
()
Die gespaltene Welt

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts droht eine neue weltpolitische Spaltung. Der bestimmende Gegensatz ist nicht Aufklärung gegen Fundamentalismus, sondern Demokratie gegen Autokratie. Insbesondere China und Russland untergraben die Handlungsfähigkeit internationaler Institutionen

Lesen Sie auch: Alexander Görlach: "Die Russen kommen!" Michel Beuret: Chinas neue Kolonien Interview mit Zhao Xiao: „Habt doch nicht so viel Angst!“ Die Welt ist wieder zur Normalität zurückgekehrt. In den Jahren nach dem Ende des Kalten Kriegs bot sich ein erregender Ausblick auf eine neue internationale Ordnung, in der die Völker sich näherkommen, ja sogar ganz ineinander aufgehen, ideologische Konflikte sich in Wohlgefallen auflösen und die Kulturen sich dank freier Handelsbeziehungen und ungehinderter Kommunikation vermischen könnten. Das war aber nur ein Trugbild – die hoffnungsvolle Vorwegnahme einer liberalen, demokratischen Welt, in der man nur zu gern glauben wollte, dass das Ende des Kalten Krieges nicht nur für einen, sondern für sämtliche strategischen und ideologischen Konflikte das Aus bedeutete. Völker und ihre Regierungen sehnten sich nach einer „veränderten Welt“, und noch heute klammern sich westliche Nationen an diese Vision. Was dagegenspricht – Russlands Hinwendung zu einer Autokratie, Chinas wachsende militärische Ambition –, wird entweder als Kinderkrankheit abgetan oder geflissentlich übersehen. Die Welt hat sich nicht geändert. Die Nationen von heute sind nicht weniger stark, ehrgeizig, hitzköpfig und darauf bedacht, einander auszustechen, als früher. Auch wenn die USA die einzige Supermacht sind, blüht die Konkurrenz zwischen den Großmächten wieder. Die Vereinigten Staaten, Russland, China, Europa, Japan, Indien, der Iran und andere wetteifern um eine regionale Vormachtstellung, um Ansehen, Rang und Einfluss. Wir erleben keine Zeit des Zusammenwachsens, sondern eine des Auseinanderrückens von Ideen und Ideologien. Die alte Konkurrenz zwischen Liberalismus und Absolutismus ist wieder ausgebrochen, und die Nationen der Welt ordnen sich zunehmend dem einen oder anderen Kraftfeld zu oder treten längs der Trennlinie von Tradition und Moderne auseinander – der islamische Fundamentalismus gegen den Westen. Der Kampf der Islamisten gegen die mächtigen, oft unpersönlichen Kräfte von Modernisierung, Kapitalismus und Globalisierung ist in der heutigen Welt ein bedeutsames Faktum, aber dennoch ist dieser Kampf zwischen Modernisierung und Traditionalismus nur ein Nebenschauplatz auf der internationalen Bühne. Die Zukunft wird mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit vom Streit zwischen den Großmächten – den führenden Ideologien von Liberalismus und Autokratie – überschattet werden als von den Bestrebungen radikaler Islamisten, die eine, nur in ihren Köpfen existierende, fromme Vergangenheit wiederbeleben wollen. Ihr Aufstand gegen die Moderne entzündet sich sowohl an der Modernisierung als an der Globalisierung, die sie ironischerweise mit den Waffen für ihren Kampf ausrüsten. Es wird ein einsamer, verzweifelter Krieg werden, den sie nicht gewinnen können. Seit der Aufklärung hat uns ein ideologischer Konflikt beharrlich begleitet: der zwischen Liberalismus und Autokratie. Im 18. und frühen 19. Jahrhundert trennte diese Frage die Vereinigten Staaten von einem Großteil Europas, ja sie spaltete Europa selbst bis in 20. Jahrhundert hinein. In den neunziger Jahren, als man sowohl von Russland wie von China glaubte, sie würden sich politisch und wirtschaftlich liberalisieren, schien es nicht abwegig, dass der Tod des Kommunismus alle Auseinandersetzungen darüber, welche Regierungs- und Gesellschaftsform denn nun die richtige sei, beenden würde. Viele hofften, das Ende des Kalten Krieges könne eine wirklich neue Ära in der Menschheitsentwicklung einläuten. Wie sich zeigte, sind derartige Erwartungen fehl am Platz gewesen. China hat sich nicht liberalisiert, im Gegenteil, es hat seine autokratische Regierung abgesichert. Russland hat der unvollkommenen Liberalisierung den Rücken gekehrt und sich entschieden einer Autokratie zugewandt. Zwei der Großmächte, dazu noch – mit über einundeinhalb Milliarden Menschen – zwei der bevölkerungsreichsten Länder der Welt suchen daher ihr Heil in einer autokratischen Regierung, und wie es aussieht, können sie, offenbar mit Zustimmung des Volkes, ihre Macht in der absehbaren Zukunft behaupten. Manch einer meint, Russlands und Chinas Politiker glaubten an gar nichts und stünden deshalb auch für keine Ideologie. Das ist jedoch ein Fehlschluss: Russlands und Chinas Regierungen lassen sich sowohl in der Innen- wie in der Außenpolitik von bestimmten Glaubensartikeln leiten. Sie sind der Überzeugung, dass eine Autokratie für ihre Nation besser sei als eine Demokratie. Sie glauben, nur auf diesem Wege Stabilität und die Aussicht auf Wohlstand garantieren zu können. Sie glauben, eine starke Regierung sei unerlässlich, um ihre gespaltene Nation vor Chaos und Zusammenbruch zu retten. Für sie ist Demokratie nicht die Antwort, und sie glauben, den Interessen ihrer Völker gerade dadurch zu dienen, dass sie an ihrer Macht festhalten und sie, wie gehabt, ausüben. Historisch gesehen, ist das weder eine neue noch eine verwerfliche Vorstellung. Die europäischen Monarchien des 17., 18. und 19. Jahrhunderts waren vollkommen von der Überlegenheit ihrer Regierungsform überzeugt. Auch sie verabscheuten die Demokratie als Herrschaft der zügellosen, habgierigen Massen. Erst in den vergangenen 50 Jahren hat der Liberalismus in der ganzen Welt an großer Popularität gewonnen. Selbst heutzutage stellen einige amerikanische Denker eine „liberale Autokratie“ über eine „illiberale Demokratie“. Wenn die beiden größten Mächte in der Welt sich auf eine autokratische Regierung eingeschworen haben, wird man die Autokratie als Ideologie schwerlich tot nennen können. Die autokratische Tradition hat eine lange, angesehene Vergangenheit, dass sie keine Zukunft hat, ist daher keineswegs so klar, wie es einmal schien. Das hat Auswirkungen auf internationale Institutionen und Amerikas Außenpolitik. Von einer „internationalen Gemeinschaft“ kann einfach keine Rede mehr sein. Der Ausdruck beinhaltet, dass man sich über internationale Verhaltensnormen, eine internationale Moral, ja ein internationales Gewissen einig ist. Diese Vorstellung gewann an Boden in den neunziger Jahren, zu einer Zeit, als alle davon ausgingen, Russlands und Chinas Öffnung gegenüber dem westlichen Liberalismus würde weltweit eine gemeinsame Haltung in humanitären Fragen erzeugen. Bereits in den späten neunziger Jahren zeichnete sich ab, dass es der internationalen Gemeinschaft an einem gemeinsamen Überzeugungsfundament fehlte. Der Kosovo-Krieg, der den liberalen Westen von Russland, China und vielen anderen nichteuropäischen Nationen trennte, ließ daran keinen Zweifel mehr aufkommen. Und die Frage des Sudans und Darfurs stellt dies gegenwärtig erneut unter Beweis. In der Zukunft könnte es Ereignisse zuhauf geben, die uns auf die Hohlheit des Ausdrucks „internationale Gemeinschaft“ stoßen. Was den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen betrifft, so ist er, nachdem er kurz aus dem Koma des Kalten Kriegs aufgewacht ist, wieder in seinen früheren Zustand einer beinahe vollständigen Lähmung zurückgesunken. In den meisten wichtigen Problemen ist er deutlich zwischen Autokratien und Demokratien gespalten: Diese rufen systematisch nach Sanktionen und Strafmaßnahmen gegenüber dem Iran, Nordkorea, dem Sudan und anderen Autokratien, während jene sich dem ebenso systematisch widersetzen und die Wirkung solcher Aktionen zu schwächen suchen. Diese Verknöcherung wird sich in den nächsten Jahren wahrscheinlich noch verstärken. Sie wird, wie bereits geschehen, sämtliche internationalen Bemühungen blockieren, bei humanitären Krisen, wie der im Sudan, internationale Hilfe zu schicken. Sie wird die Anstrengungen Amerikas und seiner Verbündeten behindern, Nationen, die nach Nuklear- und anderen Massenvernichtungswaffen streben, unter Druck zu setzen und mit Sanktionen zu belegen, wie es bereits beim Iran und bei Nordkorea der Fall gewesen ist. Die gegenwärtigen Unstimmigkeiten zwischen den Vereinig­ten Staaten und ihren europäischen Verbündeten, die in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit auf sich gelenkt haben, werden in den nächsten Jahren von weitaus fundamentaleren ideologischen Spaltungen verdrängt werden, vor allem von den wachsenden Spannungen zwischen dem transatlantischen Bündnis und Russland. Amerikas Außenpolitik muss sich strategisch auf diese ideologisch schwerwiegenderen Unterschiede einstellen. Nur ein Narr würde erwarten, dass China dabei hilft, das menschenverachtende Regime in Khartoum zu stürzen, oder sich darüber wundern, wenn Russland gegenüber den prowestlichen Demokratien an seinen Grenzen mit dem Säbel rasselt. Die Autokratien dieser Welt werden ebenso wie die Demokratien näher zusammenrücken. Aus all diesen Gründen sollten die Vereinigten Staaten eine Politik verfolgen, die dazu angetan ist, sowohl die Demokratie zu fördern als auch die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Staaten zu stärken. Mit anderen Demokratien sollten sie neue internationale Institutionen schaffen, die über ihre gemeinsamen Grundsätze und Ziele nachdenken und sie festigen, und vielleicht sollten sie auch eine neue Liga der demokratischen Staaten ins Leben rufen, die sich regelmäßig trifft und über drängende Tagesfragen berät. Eine solche Institution könnte asiatische Staaten wie Japan, Australien und Indien mit den europäischen Nationen zusammenbringen – zwei Gruppen von Demokratien, die jenseits ihrer Handels- und Finanzbeziehungen verhältnismäßig wenig miteinander zu tun haben, und die die Vereinten Nationen, die G8 und andere internationale Foren ergänzen, aber nicht ersetzen sollten. Ein solches Eintreten für die demokratische Idee könnte Signalwirkung haben und mit der Zeit ein Mittel werden, die Ressourcen demokratischer Nationen zu bündeln, damit Probleme, die im Rahmen der Vereinten Nationen nicht angegangen werden können, in Angriff genommen und Handlungen legitimiert werden, die zwar nach Einschätzung liberaler Nationen zwingend geboten sind, aber nicht auf Unterstützung seitens autokratischer Regimes rechnen dürfen – so wie ja die Nato dem Einschreiten im Kosovo auch gegen Russlands Widerstand Legitimität verlieh. Übersetzung: Christiana Goldmann Robert Kagan ist Publizist und eine der einflussreichsten neokonservativen Stimmen der USA. Er ist der Autor des internationalen Bestsellers „Macht und Ohnmacht – Amerika und Europa in der neuen Weltordnung“ (Siedler, 2003) Foto: Picture Alliance

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.