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() Barack Obama als 11-Jähriger zusammen mit seinem Vater.
Barack Obama: „Ich war arglos“

Die Amerikaner haben einen jungen, demokratischen – und erstmals einen schwarzen Präsidenten gewählt. Warum Barack Obama wurde, was er heute ist, offenbart ein Blick auf seine ungewöhnliche Familiengeschichte

Lesen Sie auch: Cicero-Dossier: Barack Obama Mir fällt beim Nachdenken über meine Familie vor allem meine – selbst für ein Kind unvorstellbare – Arglosigkeit auf. Der sechsjährige Cousin meiner Frau hat diese Unschuld schon verloren: Vor einigen Wochen erzählte er seinen Eltern, dass einige seiner Mitschüler wegen seiner Hautfarbe nicht mit ihm spielen wollten. Seine Eltern, in Chicago und Gary geboren und aufgewachsen, haben ihre Unschuld natürlich schon längst verloren, und wenn sie auch keineswegs verbittert sind – sie sind stark und stolz und energisch wie alle Eltern, die ich kenne –, so hört man in ihren Stimmen doch den Schmerz, wenn sie von ihren Zweifeln berichten, ob es richtig war, aus der Innenstadt in eine mehrheitlich weiße Vorstadtsiedlung zu ziehen, weil sie ihren Sohn davor bewahren wollten, in Bandenkriege hineinzugeraten und eine mangelhaft ausgestattete Schule besuchen zu müssen. Sie wissen zu viel, wir alle haben zu viel gesehen, als dass wir die kurze Ehe meiner Eltern – ein Schwarzer und eine Weiße, ein Afrikaner und eine Amerikanerin – einfach so akzeptieren könnten. Manchen Leuten fällt es schwer, mich so zu akzeptieren wie ich bin. Wenn Leute, die mich nicht gut kennen, seien es Schwarze oder Weiße, von meinem Hintergrund erfahren (meist ist es eine Entdeckung, denn ich habe schon mit zwölf oder dreizehn Jahren aufgehört, auf die Hautfarbe meiner Mutter hinzuweisen, weil ich ahnte, dass ich mich damit bei Weißen einschmeicheln würde), dann erlebe ich den kurzen Moment, in dem sie ihren Blick neu fokussieren, in meinen Augen nach einem Zeichen suchen. Sie wissen nicht mehr, wer ich bin. Insgeheim stellen sie sich vielleicht meine Zerrissenheit vor, das gemischte Blut, das gespenstische Bild des tragischen Mulatten, der in zwei Welten gefangen ist. Und wenn ich erklären sollte, dass die Tragik nicht meine sei, jedenfalls nicht meine allein, sondern die aller, der Söhne und Töchter von Plymouth Rock und Ellis Island, der Kinder Afrikas, des sechsjährigen Cousins meiner Frau und seiner weißen Klassenkameraden, und sie sich also nicht den Kopf zu zerbrechen brauchten, was mich belastet (in den Abendnachrichten kann das jeder sehen), und dass, wenn wir zumindest dies akzeptieren könnten, der tragische Kreislauf vielleicht unterbrochen würde…, nun ja, das klingt unglaublich naiv, es klingt nach enttäuschten Hoffnungen, wie bei jenen Kommunisten, die in Universitätsstädten ihre Blätter verkaufen. Schlimmer noch: Es klingt, als wollte ich vor mir selbst davonlaufen. Ich kann niemandem verübeln, wenn er misstrauisch ist. Ich habe schon früh gelernt, meiner Kindheit zu misstrauen und den Geschichten, die sie geprägt haben. Erst viele Jahre später, nachdem ich am Grab meines Vaters gesessen und mit ihm durch die rote afrikanische Erde gesprochen habe, wurde mir klar, welche Bedeutung diese frühen Geschichten für mich hatten. Genauer gesagt: Erst da begriff ich, dass ich viel zu lange versucht hatte, diese Geschichten neu zu schreiben, Lücken zu füllen, unschöne Details zu retuschieren, persönliche Entscheidungen vor den blinden Gang der Weltgeschichte zu projizieren – alles in der Hoffnung, ein Stückchen Wahrheit auszugraben, das meinen Kindern sicheren Halt geben könnte. „Eines kannst du von deinem Dad lernen“, sagte mein Großvater. „Selbstvertrauen. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen. So gingen alle Geschichten – gedrängt, apokryph, an einem Abend rasch hintereinander erzählt, um dann wieder in der Versenkung zu verschwinden, monatelang, manchmal jahrelang. Wie die wenigen Fotos von meinem Vater, die es noch im Haus gab, alte SchwarzWeiß-Porträts, auf die ich stieß, wenn ich auf der Suche nach Weihnachtsschmuck oder einer alten Taucherbrille sämtliche Schubladen durchstöberte. Meine Erinnerung setzt an dem Punkt ein, als meine Mutter bereits eine Beziehung mit dem Mann eingegangen war, der dann ihr zweiter Mann wurde, und ich ahnte, auch ohne Erklärung, warum diese Fotos weggepackt werden mussten. Aber hin und wieder saß ich mit ihr auf dem Fußboden, in der Hand das alte Album, das nach Staub und Mottenpulver roch, und betrachtete die Aufnahmen meines Vaters – das dunkle lachende Gesicht, die hohe Stirn und die starke Brille, die ihn älter machte –, während sich die Ereignisse seines Lebens zu einer Geschichte fügten. Ich erfuhr, dass er Afrikaner war, Kenianer vom Stamm der Luo, geboren in Alego am Viktoria-See. Alego war ein armes Dorf, aber der Vater meines Vaters, mein zweiter Großvater Hussein Onyango Obama, war ein angesehener Bauer, Medizinmann und Heiler, der zu den Stammesältesten gehörte. Mein Vater hütete als Kind Ziegen und ging in eine von den Briten errichtete Schule, wo er sich als vielversprechender Schüler erwies. Mit einem Stipendium konnte er in Nairobi studieren, und kurz vor der Unabhängigkeit Kenias erhielt er ein Stipendium zum Besuch einer amerikanischen Universität. Er gehörte zu jener ersten großen Welle von Afrikanern, die hinausgeschickt wurden, um im Westen zu studieren und später ein neues, modernes Afrika mit aufzubauen. 1959, mit dreiundzwanzig, kam er als erster afrikanischer Student an die Universität von Hawaii. Er studierte Wirtschaftswissenschaften, sehr konzentriert, und machte nach drei Jahren seinen Abschluss als Jahrgangsbester. Er hatte zahllose Freunde und half, den Internationalen Studentenverband zu organisieren, dessen erster Präsident er wurde. In einem Russisch-Kurs begegnete er einem schüchternen Mädchen, einer erst achtzehnjährigen Amerikanerin, und die beiden verliebten sich. Die Eltern des Mädchens waren erst skeptisch, ließen sich dann aber von seinem Charme und seiner Intelligenz erobern; das junge Paar heiratete, ein Sohn wurde geboren, der den Namen des Vaters bekam. Der Vater erhielt ein neues Stipendium – diesmal ein Promotionsstipendium für Harvard –, aber das Geld reichte nicht, um die Familie mitnehmen zu können. Es folgte eine Trennung, und schließlich kehrte er nach Afrika zurück, um sein Versprechen gegenüber dem Kontinent einzulösen. Mutter und Sohn blieben in Amerika, aber die Liebe blieb, trotz der großen Entfernung… Für Großvater spielte die Rassenfrage im Grunde keine Rolle mehr. Wenn an bestimmten Orten noch immer Ignoranz herrschte, so war doch anzunehmen, dass der Rest der Welt bald aufholen werde. Letztlich drehten sich alle Geschichten von meinem Vater genau darum. Sie verrieten weniger über den Mann selbst als über die Veränderungen in seiner Umgebung, über den stockenden Prozess, der die rassistischen Einstellungen meiner Großeltern verwandelt hatte. Die Geschichten erzählten von der Atmosphäre, die die Nation in jenem kurzen Zeitraum zwischen Kennedys Wahl und der Verabschiedung des Voting Rights Act erfasste: dem scheinbaren Sieg von Weltoffenheit über kleinkariertes Spießertum, einer schönen neuen Welt, in der Unterschiede der Rasse oder der Kultur als Gewinn betrachtet würden. Eine schöne Vorstellung, die mich nicht weniger beschäftigt, als sie meine Familie beschäftigte, denn sie evoziert ein verlorenes Paradies, mehr als bloß eine heile Kindheit. Es gab nur ein Problem: Mein Vater war nicht da. Er hatte das Paradies verlassen, und nichts von dem, was meine Mutter oder die Großeltern sagten, konnte diese unstrittige Tatsache aus der Welt schaffen. Ihre Geschichten erklärten mir nicht, warum er gegangen war. Sie sagten nicht, wie es vielleicht gewesen wäre, wenn er geblieben wäre. Wie der Hausmeister, Mr. Reed, oder das schwarze Mädchen in Texas, das eilig davonlief, so wurde auch mein Vater ein Requisit in der Erzählung anderer Leute. Eine gut aussehende Gestalt – der Fremde mit einem Herzen aus Gold, der geheimnisvolle Unbekannte, der die Stadt rettet und das Mädchen zur Frau bekommt – gleichwohl ein Requisit. Ich mache meiner Mutter und meinen Großeltern deswegen keinen Vorwurf. Meinem Vater könnte das Image, das sie für ihn schufen, gefallen haben – vielleicht hat er bei der Erschaffung sogar mitgewirkt. In einem Artikel, der nach seinem Abschlussexamen im Honolulu Star-Bulletin erschien, schreibt er vernünftig und verantwortungsbewusst, ein vorbildlicher Student und Botschafter seines Landes. Milde kritisiert er, dass ausländische Studenten in Schlafsäle eingepfercht werden und an Veranstaltungen teilnehmen müssen, die das kulturelle Verständnis verbessern sollen – seiner Ansicht nach wird dadurch von der praktischen Ausbildung abgelenkt, die ihm so wichtig ist. Auch wenn er persönlich keine Probleme erlebt hat, so beobachtet er Segregation und offene Diskriminierung unter den ethnischen Gruppen. Mit trockenem Humor weist er darauf hin, dass „Kaukasier“ (Weiße) in Hawaii gelegentlich Opfer von Rassismus werden. Seine Einschätzung ist relativ klar, aber er legt Wert auf einen versöhnlichen Schluss. Was andere Nationen von Hawaii lernen können, schreibt er, sei die Bereitschaft der Rassen, im Interesse einer gemeinsamen Entwicklung zusammenzuarbeiten, eine Bereitschaft, die er bei Weißen andernorts allzu oft vermisst. Ich fand diesen Artikel, versteckt zwischen meiner Geburtsurkunde und alten Impfbescheinigungen, als ich auf der High School war. Es ist ein kurzer Beitrag, versehen mit einem Foto meines Vaters. Nirgendwo ein Hinweis auf meine Mutter oder mich, und ich frage mich, ob das – mit Blick auf seine lange Abwesenheit – eine bewusste Entscheidung von ihm war. Vielleicht hatte der Reporter, eingeschüchtert durch die selbstbewusste Art meines Vaters, keine persönlichen Fragen gestellt, vielleicht hatte die Redaktion beschlossen, dass derlei nicht zu der Geschichte gehörte, die sie bringen wollten. Ich frage mich auch, ob dieses Verschweigen zu einem Streit zwischen meinen Eltern führte. Ich war damals zu jung, um zu wissen, dass ich einen anwesenden Vater brauchte und auch eine Rassenidentität. Eine unwahrscheinlich kurze Zeit erlag mein Vater wohl dem gleichen Zauber wie meine Mutter und ihre Eltern; und obwohl der Bann schon gebrochen war und die Welten, die sie überwunden glaubten, sie wieder einholten, bewohnte ich in meinen ersten sechs Lebensjahren die Welt ihrer Träume. Ich habe die Karikatur schwarzer männlicher Adoleszenz gelebt, die selbst eine Karikatur des großspurigen Amerikaners ist. Doch in einer Zeit, in der die Jungen aus dem Schatten ihrer Väter treten sollen, in der Land- oder Fabrikarbeit keine Identität vermittelt, in einer Zeit, in der die Frage, wie man leben soll, anhand fertiger Rezepte oder Ratschläge in Zeitschriften beantwortet wird, bestand der Hauptunterschied zwischen mir und den meisten jungen Männern in meiner Umgebung – den Surfern, den Footballspielern, den Möchtegern-Rockmusikern – in der begrenzten Anzahl von Optionen, die mir zur Verfügung standen. Jeder von uns suchte sich eine Verkleidung, eine Rüstung, die ihn schützen sollte. Beim Basketballspielen fand ich immerhin eine Art Gemeinschaft, die ihre eigenen Strukturen hatte. Dort, auf diesem Terrain, wo man als Schwarzer nicht benachteiligt war, lernte ich meine engsten weißen Freunde kennen. Und dort begegnete ich Ray und den anderen gleichaltrigen Schwarzen, die im Laufe der Zeit nach Hawaii gekommen waren, Teenagern, deren Verunsicherung und Wut auch mich beeinflussten. Wenn wir allein waren, konnte einer sagen: „So sind die Weißen, so behandeln sie einen.“ Dann lachten alle und schüttelten den Kopf, und ich dachte an all die Beleidigungen, die ich erlebt hatte. Angefangen mit dem Jungen in der siebten Klasse, der „Scheißneger“ zu mir gesagt hatte und dem ich daraufhin auf die Nase geboxt hatte, seinen Tränen und seinem erstaunten „Warum hast du das getan?“ Der Tennisprofi, der mir während eines Turniers erklärte, ich solle den Spielplan am Schwarzen Brett nicht anfassen, meine Farbe würde sonst abfärben; sein dünnes, rotgesichtiges Lächeln – „Verstehst du keinen Spaß?“ –, als ich damit drohte, ihn anzuzeigen. Die ältere Frau im Apartmenthaus meiner Großeltern, die sich furchtbar aufregte, als ich hinter ihr den Aufzug betrat, und sofort wieder ausstieg, um sich beim Hausverwalter zu beschweren, ich würde ihr nachstellen. Kein Wort der Entschuldigung nach meinem Hinweis, dass ich in dem Haus wohnte. Der Assistent unseres Basketballtrainers, ein junger, drahtiger Mann aus New York, der nach einem Übungsspiel gegen ein schwarzes Team in Hörweite von mir und drei Teamkameraden brummte, dass wir nie und nimmer gegen eine Horde Nigger hätten verlieren dürfen und, als ich ihn (mit einer Wut, die mich selber überraschte) zurechtwies, mir in aller Ruhe die offenbar selbstverständliche Tatsache klarzumachen versuchte, dass es Schwarze gebe und dass es Nigger gebe. „Diese Typen waren Nigger.“ So sind die Weißen. Es war nicht bloß die Verachtung. Ich lernte, dass Schwarze minderwertig sind. Es war eine spezielle Form von Arroganz, eine Beschränktheit bei ansonsten vernünftigen Menschen, auf die wir mit bitterem Lachen reagierten. Es schien, als wüssten Weiße nicht, dass sie brutal sind. Oder als glaubten sie zumindest, dass man ihre Verachtung verdient habe. Die Weißen. Mit dem Begriff selbst war ich zunächst nicht glücklich. Ich fühlte mich wie jemand, der in einer fremden Sprache über einen schwierigen Ausdruck stolpert. Wenn ich mit Ray über Die Weißen sprach, musste ich manchmal an das Lächeln meiner Mutter denken, und meine Worte kamen mir dann ungeschickt und falsch vor. Oder wenn ich Gramps (Obamas Großvater) beim abendlichen Abwasch half, und Toot kam (Obamas Großmutter) in die Küche und verkündete, dass sie schlafen gehen wolle, dann blinkte ebenjenes Wort – Die Weißen – wie eine grelle Neonreklame in meinem Kopf, sodass ich plötzlich verstummte, als hätte ich Geheimnisse. Später, als ich allein war, versuchte ich, diese komplizierten Überlegungen zu entwirren. Dass manche Weißen nicht in die allgemeine Kategorie derjenigen gehörten, denen wir misstrauten, lag auf der Hand. Ray erklärte ja immer, wie cool er meine Großeltern fand. Der Begriff „weiß“ war einfach ein Kürzel für ihn, sagte ich mir, ein Etikett für all jene, die meine Mutter als bigott bezeichnen würde. Und obwohl ich erkannte, wie riskant Rays Terminologie war – wie leicht verfiel man in jene nachlässige Denkweise, die mein Basketballtrainer offenbart hatte („Es gibt Weiße, und außerdem gibt es ignorante Arschlöcher wie dich“, hatte ich ihm schließlich zugerufen und war vom Spielfeld marschiert) –, versicherte er mir, dass wir nur dann in Gegenwart von Weißen über Weiße als Weiße reden würden, wenn wir genau wussten, was wir taten. Dass wir dafür bezahlen müssten. Aber stimmte das? Mussten wir noch immer einen Preis bezahlen? Das war der komplizierte Teil, über den wir uns nie einig wurden. Manchmal bekam ich mit, wie er irgendeiner Blondine von L.A. vorschwärmte oder einem eifrigen Lehrer von den Narben des Rassismus erzählte, und ich hätte wetten können, dass er mir verschwörerisch zuzwinkerte, obwohl er ganz ernst schaute. Unser Zorn auf die Weißen brauchte kein Objekt, schien er mir sagen zu wollen, brauchte keine Bestätigung von unabhängiger Seite. Wir konnten dieses Gefühl nach Belieben ein- und ausschalten. Manchmal zweifelte ich, wenn nicht seine Ehrlichkeit, so doch seine Urteilskraft an. Wir leben nicht im Süden, erklärte ich ihm oft. Wir hausen nicht in einer Bruchbude in Harlem oder der Bronx. Wir sind auf Hawaii, verdammt noch mal. Wir sagen, was wir wollen, essen, wo wir wollen, wir sitzen im Bus sozusagen in der ersten Reihe. Unsere weißen Freunde, Jungen wie Jeff oder Scott vom Basketballteam, behandeln uns genauso wie sie einander behandeln. Sie mögen uns, wir mögen sie. Mann, fast könnte man glauben, sie wollten selber Schwarze sein – mindestens aber Doctor J. (Julius Erving, gilt als einer der zehn besten Basketballspieler aller Zeiten). Stimmt, räumte Ray ein. Vielleicht müssen wir nicht immer gleich den Kämpferischen raushängen. Vielleicht können wir es uns leisten, auf diese Pose zu verzichten, solange es nicht wirklich notwendig ist. Ray schüttelte den Kopf. Pose? Sprich von dir! Das war Rays Trumpf, den er – zugegeben – nur selten ausspielte. Schließlich war ich anders, potenziell verdächtig. Ich hatte keine Ahnung, wer ich war. Und da ich nicht auffliegen wollte, zog ich mich in solchen Situationen rasch auf sicheres Terrain zurück. Hätten wir in New York oder L.A. gelebt, hätte ich die Spielregeln vielleicht schneller gelernt. So wechselte ich hin und her zwischen meiner schwarzen und meiner weißen Welt, lernte, dass jede ihre eigene Sprache hatte, eigene Gepflogenheiten und Begriffe, und war überzeugt, dass diese beiden Welten mit ein wenig übersetzerischer Hilfe meinerseits letztlich zusammenfinden würden. Aber mir blieb das Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung war, ein Alarmsignal, das sich jedes Mal meldete, wenn ein weißes Mädchen mitten im Gespräch erklärte, wie sehr sie für Stevie Wonder schwärme, oder wenn mich eine Frau im Supermarkt fragte, ob ich Basketball spiele, oder wenn der Schuldirektor fand, dass ich cool sei. Ich mochte Stevie Wonder, ich spielte gern Basketball, und ich versuchte nach Kräften, immer cool zu sein. Warum regte ich mich also über derlei Bemerkungen immer auf? Irgendwo war ein Trick im Spiel, aber worin dieser Trick bestand, wer ihn anwendete und gegen wen – das blieb mir verborgen. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus Barack Obamas Autobiografie „Ein amerikanischer Traum“ (Hanser Verlag) Foto: picture-alliance

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