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Wachsjacken - Uniform karrieregeiler Jurastudenten?

Kaum ein Kleidungsstück vermag so zu polarisieren wie die Wachsjacke aus South Shields. Das hat vor allem mit dem Image sogenannter Barbourjacken zu tun. Sie stehen für eine Mischung aus schnöseliger Arroganz und spießiger Biederkeit. Zu Unrecht

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kleiner Test: Ich nenne Ihnen ein Kleidungsstück und versuche dann, Ihre ersten Gedanken zu erraten: „Barbourjacke“ – – – „Oh nein, bitte nicht!“, „Fällt dem nichts Besseres ein?“, „Oberpeinlich, geht ja gar nicht!“.

Richtig geraten? Wenn ja: sie haben Recht. Die Dinger stinken, sind ziemlich schwer und waren einst die Uniform karrieregeiler Jurastudenten und blondierter Mädchen, die Perlenstecker trugen und als höhere Tochter gelten wollten. Wenn nein: Glückwunsch, Sie beweisen eine gewisse Distanz und lassen sich klassische Klamotten nicht von den Launen des Zeitgeistes madig machen.

Komisch ist es schon: Kaum ein Kleidungsstück vermag so zu polarisieren wie die unförmige, immer etwas knautschige Wachsjacke aus South Shields. Das hat natürlich weniger was mit der Jacke selbst zu tun, dafür ist sie viel zu unspektakulär, als mit ihrem Image. Barbourjacken stehen für eine zunächst etwas widersprüchlich anmutende Mischung aus schnöseliger Arroganz und spießiger Biederkeit. Eine bizarre Melange. Sie ist das Ergebnis der Modegeschichte, die das ursprünglich als Regenschutz nordenglischer Fischer gedachte Kleidungsstück in Deutschland durchlaufen musste.

Um diese Karriere zu verstehen, beginnt man am besten im London der frühen 80er-Jahre. Die Ära Thatcher ist auf ihrem Höhepunkt. Die englische Klassengesellschaft gerät in Bewegung. Die Eiserne Lady schränkt nicht nur die Macht der Gewerkschaften ein, sondern unterminiert auch die Stellung der alten Eliten. In dem Stadtviertel rund um den Sloane Square treffen sich junge Leute der neuen (Upper) Middle Class. Unschön formuliert: Kinder von Aufsteigern, Neureichen, die sich mit den Insignien der alten Oberschicht umgeben. Und was ist mehr Upper Class als das Landleben? Also kleidet man sich in Wellies, Blümchenkleidern, Cordhosen und Tweedjacketts und kurvt auf einem verrosteten Fahrrad durch Chelsea, wenn man nicht gerade mit Papas Land Rover einen Trip aufs Land macht. Und natürlich trägt man Wachsjacken.

Ende der 80er kommen die Wachsjacken der Firma Barbour dann nach Deutschland. Hier gibt es zwar keine englische Klassengesellschaft, dafür aber umso mehr Mittelschichtssprößlinge, die instinktiv begreifen, dass diese Jacke ein viel besseres Distinktionsmittel ist als Schuhe von Alden oder Church’s. Denn Schuhe sind etwas für Kenner. Das ist blöd. Um sich sozial abzuheben, braucht man etwas, das von jedem erkannt wird – eine komische grüne Jacke zum Beispiel.

Und so spielen bald auch die Kinder von Anwälten, Ärzten, Apothekern und Professoren das Spielchen mit der wachsbeschichteten Upper-Class-Insignie – was in einem Land ohne Upper Class schnell komisch wirkt. Doch vermutlich war das genau die sozialpsychologische Funktion der Barbourjacke in den unruhigen Jahren um 1990: BWL und Jura studierenden Mittelschichtskindern Identität und Orientierung zu geben.

Der Abstieg der Barbourjacke begann 1995. Da veröffentlichte Christian Kracht seinen Roman „Faserland“ und lässt seinem namenlosen Protagonisten schon auf der ersten Seite mit der blonden Karin bei Gosch in List darüber diskutieren, was besser ist: grüne oder blaue Barbourjacken. Karin ist für blaue, weil die „schöner aussehen, wenn sie abgewetzt sind“. Der Protagonist widerspricht. Und dann folgt einer der wirklich großen Sätze der Weltliteratur: „Abgewetzte Barbourjacken, das führt zu nichts“.

Das war das vorläufige Ende der Barbourjacke als Statussymbol. Bis dahin konnte man über grüne und blaue Barbourjacken philosophieren und darüber, wie man die Wachsteile am schnellsten so hinbekommt, dass sie wie „abgewetzt“ aussehen. Doch damit war es jetzt vorbei. Mit einem Schlag waren sie als kleinbürgerliches Symbol all jener entlarvt, die von einer Schulzeit in Salem und St. Blasien träumen und einem Papa mit Centurion-Card, für die es aber nur zur Bielfelder Gesamtschule mit Abiturzweig und EC-Karte von der örtlichen Sparkasse gereicht hat.

Wer in den späten 90ern immer noch Barbourjacke trug, der hatte nichts, aber auch gar nichts kapiert – oder war so cool, dass ihm das ganze Gedöns um Jurastudenten, blonde Karins und blaue Jacken schrecklich egal war. Da solche Menschen aber eher selten und Moden in postmodernen Gesellschaften ein Phänomen herdenfixierter Individualisten sind, wurden in den letzten Jahren fast nur noch biedere Burschenschaftler in Bootsschuhen und Button-Down-Hemden in Barbourjacken gesichtet.

Und das ist ein großer Segen. Er gibt all jenen, die den Niedergang dieses Kleidungsstücks im innersten ihres Herzens stets bedauert haben, wieder die Möglichkeit, ihre alte Wachsjacke aus dem Schrank im Keller zu kramen. Denn mal ehrlich: Die Dinger sind nicht nur praktisch, sondern sehen immer noch besser aus, als alles, was in dem Segment herbstlicher Kälte- und Regenschutz zu haben ist. Und sie sind die einzigen wasserdichten Jacken, die man zur Not auch noch über einen Anzug anziehen kann. Wer das bezweifelt, möge in den nächsten Trekking-Laden gehen und sich eine Outdoor-Allwetter-Jacke überziehen und in einen Spiegel schauen. Belstaff-Träger schweigen bitte ohnehin.

Wie alle modischen Klassiker, so musste auch die Barbourjacke eine befreiende Imagekrise durchlaufen. Die träge Masse der verhinderten Etonabsolventen trägt inzwischen sowieso andere Klamotten. Zeit also, wieder in die gute alte Beaufort oder Bedale zu schlüpfen. Und ganz nebenbei: Wachsjacken gibt es auch von anderen Traditionsfirmen. Das Beste aber ist: Die leidige Frage, ob abgewetzt oder nicht, sollte sich erledigt haben, wenn man sein altes Stück aus den 90ern hervorzaubert.

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