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Restaurant-Subventionen - Steuerhinterziehung à la carte

Rechnungen werden oft geteilt, doch Bewirtungsbelege nicht. Die neuen Fettnäpfchen beim Restaurantbesuch

Autoreninfo

Julius Grützke ist Autor und Gastronomiekritiker. Er lebt in Berlin

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Dieser Artikel ist eine kostenlose Leseprobe aus der Juni-Ausgabe des Magazins Cicero, die Sie in unserem Online-Shop bestellen können.

 

 

Wer zahlt? Für viele Restaurantbesucher klang diese Frage, die ihnen ein ganzes Menü vergällen konnte, lange wie ein bitteres Dessert. Gerade unter frischen Bekanntschaften und befreundeten Ehepaaren schwebte das Problem der Zechbewältigung wie eine dunkle Wolke über dem gemeinsamen Abend: Beim Begleichen konnte es zu Zerwürfnissen kommen. Wer darauf bestand, alles zu übernehmen, brachte sich in den Verdacht, ein Großkotz zu sein, wer alles bis auf Heller und Cent aufteilte, galt als Pfennigfuchser. Das Problem des Trinkgelds war dabei noch gar nicht erörtert.
 
Seit die meisten Frauen über eigene Einkommen verfügten und die preislose „Damenspeisekarte“ verschwunden war, herrschte ohnehin Unsicherheit über das korrekte Verhalten bei der Liquidation. Doch inzwischen haben sich neue Konventionen herausgebildet, und man teilt die Summe mittels überschlägiger Kalkulation, ohne Streit zu verursachen. Ungemach droht erst, wenn der Kellner mit dem Geld gegangen ist und den Bewirtungsbeleg zurückgelassen hat. Denn dieses unteilbare Dokument weckt Begehrlichkeiten. Wer jetzt seinen Anspruch darauf aus der Höhe seines möglichen Steuervorteils ableitet, sorgt für Verstimmungen – nicht nur bei Tisch.
 
Dass es sich bei der Einreichung von privaten Restaurantquittungen faktisch um eine Steuerhinterziehung handelt, kommt gerade denen nicht in den Sinn, die sich am Stammtisch moralisch über jene dicken Fische ereifern, die den Behörden ins Netz gegangen sind. Dabei bietet sich in der Gastronomie jedem aufmerksamen Beobachter der Anblick einer Schattenwirtschaft, die zum großen Teil auf Steuervermeidung aufgebaut ist. 
 
Besonders Restaurants der Spitzenklasse zittern davor, dass die Absetzbarkeit von Bewirtungsbelegen aus dem Steuerrecht gestrichen wird. Die kulinarischen Kreuzzüge von Spesenrittern würde dies mit einem Schlag beenden. Ohne diese Gäste aber wären die aufwendigen Soupers der Haute Cuisine nicht finanzierbar, denn die Zahl der Gourmets, die sich so etwas leisten können und wollen, ist außerordentlich klein. Dazu kommt noch, dass diese Genießer gar nicht so viel Interesse an dem Rüstungswettlauf um immer wertvollere Zutaten haben wie jene Steuerfüchse, denen die Rechnung gar nicht hoch genug sein kann. 
 
So werden Kompositionen aus geangeltem und dann höchstbietend versteigertem Steinbutt oder Wagyu-Rind zu Bauherrenmodellen auf dem Teller und ihre Architekten zu Profiteuren eines Aufschwungs in der Gastwirtschaft. Jeder Finanzminister, der diesen Mechanismus durchbrechen will, ist zum Scheitern verurteilt, denn Politik wird zum großen Teil in Restaurants auf Spesen gemacht und insbesondere die Prominentenwirte haben dadurch einen Draht zu den Mächtigen. Die Drohung vieler Lokalschließungen und des Verfalls der kulinarischen Kultur verhindert, dass sich etwas ändert. Dass dabei die Sterneküche zu einem schützenswerten Kulturgut gemacht wird, lässt Schlimmes ahnen: Wie das Subventionstheater könnte auch die Spitzengastronomie sich in Experimenten verlieren, die auf Geschmack und Publikum nicht mehr angewiesen sind. 
 
Doch während eine solche Entwicklung nur droht, hat sich eine andere bereits vollzogen. Die Schere zwischen der Hoch­gastronomie und dem Fraß aus dem Discounter ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich auseinandergegangen – ohne dass sich die Politik abseits von Willenserklärungen anlässlich von Skandalen darum gekümmert hätte. Während Spitzenköche eine abgehobene Esskultur zelebrieren, in der Prahlhans Küchenmeister ist, nimmt der Rest der Republik mit Gammelfleisch und Ekeleiern vorlieb. So wird die kulinarische Situation zur Karikatur einer in Arm und Reich zersprengten Gesellschaft, deren Unterschicht ruchlosen Geschäftemachern ausgesetzt wird. Die oberen Zehntausend laben sich derweil an steuersparenden Spezialitäten. Wem so etwas nicht schmeckt, der könnte ein Zeichen setzen und den Zahlungsbeleg im Restaurant liegen lassen. Zumal man so auch Streit vermeidet. 

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