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Skinny Jeans - Der latent asexuelle Look

Eng, kneifend und hochgradig vereinheitlichend: Röhrenjeans machen aus Männern Knaben und aus Frauen Mädchen. Unser Autor fragt sich, warum der „Skinny-Look“ trotzdem so im Trend ist

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Mütter tragen sie auf dem Weg zum Kindergarten, Teenager im Schulbus, Studentinnen an der Uni, lässige Jungs beim Skaten und die Hipster in den Szenevierteln: Skinny Jeans.

Dabei sind die Dinger ziemlich unpraktisch. Man kommt nur unter Mühen in sie hinein, steckt man einmal drin, bekommt man sie ohne Hilfe kaum wieder aus, ihre Taschen sind nicht zu benutzen, vor allem aber sitzen sie fast nie richtig: entweder sind sie zu lang oder zu kurz, kneifen an der einen oder spannen an einer anderen Stelle.

Und das Fatale: Selbst eine exzellente Figur garantiert nicht, dass eine Frau in einer Skinny gut oder gar sexy aussieht. Im Gegenteil, auch schlanke Trägerinnen mit schönen Beinen wirken in der knallengen Stretchjeans mitunter etwas unvorteilhaft. Aus einem schlanken Bein machen sie in Nullkommanix ein hageres und aus einem sportlichen ein dickes.

Geschlechtliche Neutralisierung
 

Noch unförmiger sehen Skinnys allerdings an Trägern des Y-Chromosoms aus. Das liegt in der Natur der Sache. Von den Jungs, die sich in diese Hosen zwängen, ist das allerdings so gewollt. Versuchen Frauen mit Hilfe der Skinny ihre körperlichen Reize vorteilhaft zur Geltung zu bringen, so konterkarieren mit ihr daueradoleszierende Männer jeden Alters ihre Maskulinität. Mit der modernen Stretch-Skinny geben sie sich knabenhaft und androgyn.

Anders die hautengen Jeans der 50er und die Röhre der 70er Jahre. Die galten als Insignien cooler, rebellischer Männlichkeit: James Dean trug sie und Marlon Brando, später Mick Jagger, die „Ramones“ und die „Sex Pistols“.

Von dieser testosteronschwangeren Aura der klassischen Röhre ist die postmoderne Männer-Skinny meilenweit entfernt. Zwar signalisiert auch sie Unkonventionalität und Außenseitertum, allerdings inszeniert der zeitgenössische Jungmann diese Unangepasstheit nicht durch althergebrachte Männlichkeitsattribute, sondern indem er sich als besonders zerbrechlich und sensibel gibt, als schmächtig und verträumt, als jemand, der traditionelle Männlichkeitsbilder hinter sich lässt.

Insofern ist die Skinny-Jeans bei Männern die logische Antwort auf die Boyfriend-Jeans der 80er, als sich Mädchen die 501 ihres Freundes um die Hüften gurteten. Das geschah allerdings, um weibliche Sexualität auf eine neue, paradoxe Art zu inszenieren. Die männliche Skinny hingegen setzt – Spötter könnten sagen: politisch hoch korrekt – auf geschlechtliche Neutralisierung.

Globaler Hype um die Röhrenjeans


Verantwortlich für die zähe und langlebige Skinny-Epidemie ist vor allem das Party-Paar der 00er Jahre: Kate Moss und Pete Doherty. Es war im Jahr 2005, als die Moss nicht nur fotogen mit weißen Pülverchen herumexperimentierte, sondern auch in einer hautengen Jeans der Marke „Superfine“ gesichtet wurde. Die gab es zwar schon seit 2003, aber erst der medienwirksame Auftritt des Supermodels sorgte dafür, dass der neue Schnitt zu einem globalen Hype wurde.

Kates zukünftiger Ex-Verlobter sorgte dann dafür, dass der Skinny-Look – neben dem obligatorischen Trilby-Hut – zur Uniform jedes ordentlichen Brit-Poppers und zum unausweichlichen Accessoire aller Hipster von New York bis Friedrichshain wurde.

An Modemaßstäben gemessen hält sich der Skinny-Trend schon seit einer halben Ewigkeit. Drängt sich die nahe liegende Frage auf: Warum eigentlich?

Paula Cocozza vom „Guardian“ verstieg sich Anfang letzten Jahres zu der These, die Skinny Jeans wäre deshalb unsterblich, weil sie letztlich demokratisch sei: „Skinny Jeans“, schrieb sie, „sind weniger Ausdruck einer modischen Wahl als einer Standarthaltung. Wir haben uns daran gewöhnt, sie als eine leere Leinwand zu betrachten, als Kleidungsstück, das aufgehört hat, etwas zu bedeuten.“

Totalitäre Ästhetik


Es sei diese Unsichtbarkeit der Skinnys, die sie in den letzten Jahren zum Vehikel für alle möglichen Trends gemacht habe: erst trug man sie zu Stiefeln, dann zu Chucks, schließlich zu Ballerinas. Sogar die Sprache anderer Kleidungsstücke hätten sie verändert: schmalere Krawatten, dünnere Schals, Stilettos mit noch feineren Absätzen. „Skinny Jeans“, so Cocozzas Fazit, „sind offen für alle, und niemand, der sie trägt, wertet sie dadurch für jemand anderen ab.“

Unbenommen ist, dass Skinnys tatsächlich ein Modechamäleon sind. Daraus abzuleiten, sie seien demokratisch und offen für alle, nur weil alle sie tragen, ist jedoch gewagt. Vermutlich stimmt eher das Gegenteil: Skinnys sind Ausdruck einer totalitären Ästhetik, die aus Männern Knaben und aus Frauen Mädchen macht. Ob diese Ästhetik asexuell ist oder latent pädophil, darüber lässt sich trefflich streiten.

Auf jeden Fall aber ist sie nicht pluralistisch, sondern hochgradig vereinheitlichend. Und das, obwohl menschliche Körper alles Mögliche sind, nur eben nicht normiert. Der einfache Effekt: Der Skinny-Look steht den Allerwenigsten. Das trifft Männer nicht all zu sehr, da es für sie genug modische Alternativen gibt. Für Frauen jedoch sah es in den letzten Jahren in dieser Hinsicht trübe aus.

Doch Rettung naht: Spätestens seit dieser Saison pfeifen es die Modespatzen von den Dächern: die Marlene-Hose ist zurück, die Palazzo Pants der 70er, ebenso Culottes und Jeans mit hohem Bund und weiterem Schnitt, die lustigerweise als Girlfriend-Jeans vermarktet werden. Das muss man nicht gleich als Schritt zu mehr Freiheit und Emanzipation hochjubeln. Aber etwas mehr Vielfalt ist ja auch schon ganz schön.

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