Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
Picture Alliance

Silber-Trend - Die Sehnsucht nach der verlorenen Zukunft

Gold steht für Exklusivität und materiellen Überfluss. Doch stilistisch gesehen läuft Silber dem seltenen Edelmetall bald den Rang ab.

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

So erreichen Sie Alexander Grau:

Noch für zwei Tage lang wird sich alles ums Gold drehen. Genauer: Um die 4,9 Kilogramm 18-karätigen Goldes, die angeblich in dem FIFA-Weltpokal verarbeitet sind. Nach aktuellem Goldpreis kostet das Ding also etwa 102.000 Euro. Ein Kleinbetrag, über den ein gestandener Fußballprofi nur lachen kann.

Dennoch, Gold ist ein mythischer Stoff. Nach wie vor. Nüchtern betrachtet ist zwar nicht ganz klar warum, schließlich ist Gold weder besonders selten noch besonders nützlich, aber in allen Hochkulturen der Menschheit spielt es eine herausragende Rolle: als Symbol für Herrschaft und Göttlichkeit, als Schmuck, als Zahlungsmittel, als Opfergabe und Ritualgegenstand. Von Alters her steht Gold daher für Kostbarkeit schlechthin. Das Vlies der Argonauten war aus Gold und das Kalb der Israeliten. Die Ursache für diese Faszination, die das gemeine Aurum auf den Menschen ausübt, ist vermutlich jedoch vergleichsweise banal: Es glänzt so hübsch. Und es erinnert an die Sonne.

Im Schatten des magischen, verführerischen Goldes steht für gewöhnlich sein kleiner schmuddliger Bruder – das Silber. Sehr zu Unrecht. Der Grund dafür ist jedoch einfach. Die Menge des im Umlauf befindlichen Silbers übersteigt die des Goldes um ein Zehnfaches. Der berühmte Goldwürfel – die Menge des jemals von der Menschheit geförderten Goldes – hat ein Gewicht von ungefähr 160.000 Tonnen und eine Seitenlänge von je 20 Metern.

Silber ist zurückhaltender
 

Anders beim Silber. Hier schätzt man, dass die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte etwa 1,6 Millionen Tonnen aus der Erde gebuddelt hat. Da Silber, anders als Gold, aber häufig weiterverarbeitet wird, sind von dem gewaltigen Batzen nur noch 560.000 Tonnen übrig. Was allerdings immer noch deutlich mehr ist als das Goldwürfelchen.

Kurz und gut, Silber hat das Image der Ramschware unter den Edelmetallen. Silber, das haben und tragen eben nur Leute, die sich Gold nicht leisten können. Oder wollen. Denn umgekehrt hat Gold auch etwas Aufdringliches, Prätentiöses und Gespreiztes. Goldschmuck, insbesondere exzessiv eingesetzt, wirkt ungefähr so distinguiert wie ein röhrender roter Ferrari oder ein Rolex Sea-Dweller 4000.

Da ist Silber schon deutlich zurückhaltender. Oder für die wahren Helden des Understatements: Weißgold. So oder so – silbriger Glanz, ob nun von Silber, Weißgold oder anderen Metallen, wirkt kühl, sachlich, elegant. Silber ist, anders als das schwülstige Gold, eine Farbe für alle, die Gradlinigkeit schätzen, Unaufdringlichkeit und Einfachheit.

Der Charme des Silbrigen liegt jedoch nicht nur in seiner Distinguiertheit. Das allein wäre langweilig. Dem Mondlicht sei Dank, hat es auch eine romantische Aura, die allerdings deutlich weniger kitschig und aufgetragen daher kommt als die seines pompösen größeren Bruders.

Es steht für optischen Futurismus
 

Doch Silber steht nicht nur für die aparte Mischung aus Schlichtheit und dezenter Romantik. Spätestens mit dem 20. Jahrhundert gilt alles silberig Schimmernde zudem als Ausdruck und Zeichen von Modernität.

Silberne Maschinen, silbern glänzende Motoren, silberne Raketen, silberne Flugzeuge: Wann immer Modernität suggeriert werden sollte, war Silber die erste Wahl. Und das nicht nur in den fiktionalen Welten des Films und der Literatur, sondern auch in der Realität der technischen Entwicklung. Nicht ohne Grund ließ Mercedes seine legendären Rennwagen der 30er Jahre in nackter Metalloptik fahren – Silberpfeile eben, an denen gemessen die aktuelle Variante nur eine traurige Reminiszenz ist.

Silbrig schimmernde Oberflächen sind Symbole eines optimistischen Futurismus, einer Zeit, als die Moderne noch mit Leidenschaft und Inbrunst modern war, als man an eine fantastische, großartige, technische Zukunft glaubte.

Und aktuell? Silber ist in der Mode. Zumindest in der Damenmode. Silber, wohin man schaut. Silberne Schuhe, silberne Taschen, silberne Gürtel. Und nicht nur Lederwaren sind versilbert. Silbern auch Kleider, Jacken, Hosen und sogar Strickwaren, die notgedrungen häufig in ein Hellgrau mutieren, dafür mit silbern schimmernden Metallelementen oder silbrig glänzenden Lederintarsien.

Der visionäre Beigeschmack fehlt
 

Angekündigt hat sich der Trend schon seit einigen Jahren. Zum Durchbruch verhalf ihm aber ohne Zweifel Kate Moss. Im vergangenen September erfolgte bei Christie’s in London eine Aufsehen erregende Auktion. Versteigert wurden Fotografien des Supermodels aus der Sammlung des Münchner Fotokunstsammlers und Kurators Gert Elfering.

Doch sensationell waren nicht nur die Aufnahmen und die Preise, die sie erzielten. Spektakulär war auch der Auftritt Moss anlässlich des offiziellen Fototermins ein paar Tage zuvor – in einem silbernen Anzug, die Hosen in legerem Bootcut. Dazu trug sie ein einfaches graues T-Shirt, einen metallbesetzten Gürtel und silberne High Heels mit Plateau.

Und natürlich überschlugen sich die Gazetten. Anscheinend mit Erfolg. Denn nicht nur der Silber-Look hat sich durchgesetzt, sondern auch silbergrau-monochromes Outfit findet sich inzwischen in jedem zweiten Schaufenster. Von den Modemagazinen ganz zu schweigen.

Was ist das? Ein neuer Futurismus? Nicht wirklich. Zwar wirkt Silber auch noch auf den Menschen der Spätmoderne futuristisch, doch den visionären Beigeschmack, den es bis in die 60er Jahre hinein hatte, als Dietmar Schönherr mit seiner Silber glänzenden Orion auf Raumpatrouille ging, den hat es verloren.

„Erinnerung an eine Zeit, als die Zukunft noch vor uns lag"


Der aktuelle Silber- und Metallic-Hype ist ein Retrofuturismus, eine Erinnerung an eine Zeit, als die Zukunft noch vor uns lag. Jetzt stecken wir mitten drin. Und mit unseren Notebooks und Tablets und Smartphones wird uns langsam klar, dass sie nicht halb so lustig wird, wie sie in den 50er Jahren aussah. Zwar sind auch MacBooks silbern, aber was hat dieses traurig gebürstete Silber noch mit den futuristischen Hochglanzfantasien des vergangenen Jahrhunderts zu tun?

Vielleicht verbirgt sich hinter dem aktuellen Silbertrend eine Sehnsucht nach einer Zukunft, die wirklich noch nach Zukunft schmeckt: fantastisch, unvorstellbar, visionär, Zukunft als Spielwiese und großes Abenteuer und nicht einfach nur als x-te Version eines belämmerten Betriebssystems.

Der aktuelle Retrofuturismus ist ein Zitat einer Vergangenheit, in der die Zukunft noch etwas Surreales, Unwirkliches war. Das verleiht dem Metallic-Look seine Extravaganz.

Das neue Schwarz, wie manche meinen, ist Silber deshalb noch lange nicht. Und eigentlich ist das auch ganz gut so. Denn dafür wäre Silber viel zu schade.

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.