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Sherlock Holmes - Nicht tot zu kriegen

Die BBC-Serie „Sherlock“ versetzt die Geschichten von Sir Arthur Conan Doyle konsequent in das London des 21. Jahrhunderts - und wird dem Original dennoch gerecht. Der Erfolg dieses Konzepts hat einen Namen: Benedict Cumberbatch

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Er lebt noch. Natürlich lebt er noch: Sherlock Holmes. Dass der Meisterdetektiv aller Meisterdetektive nicht tot zu kriegen ist, musste schon sein Schöpfer Arthur Conan Doyle erfahren.

1893 ließ er ihn in „The Final Problem“ zusammen mit seinem Widersacher Professor Moriarty die Reichenbachfälle bei Meiringen hinabstürzen. Zu zeitraubend waren Doyle die immer neuen Geschichten um Holmes geworden, nach denen das Publikum verlangte.

Doch es half nichts: Nach empörten Protesten seiner Leserschaft gab Doyle nach. 1903 erschien die Kurzgeschichte „The Empty House“: Holmes hatte seinen Tod nur inszeniert, um Sebastian Moran zu entkommen, einem Komplizen Moriartys.

Spätestens seit diesem ungeplanten literarischen Cliffhanger ist der britische Privatdetektiv aus der Baker Street 221b ein fester Bestandteil der Populärkultur geworden, wobei die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit mitunter verschwimmen. Am kuriosesten ist sicher die Gedenktafel am Reichenbachfall, auf der es heißt: „An diesem furchterregenden Ort besiegte Sherlock Holmes am 4. Mai 1891 Professor Moriarty“. – Wahrscheinlich werden in 500 Jahren Doktorarbeiten darüber geschrieben werden, ob Holmes nun existiert hat oder nicht.

Angesichts der Popularität dieser Figur ist es kein Wunder, dass schon 1905 in den USA der erste Holmes-Film entstand: „The Adventures of Sherlock Holmes“. Sein ewig gültiges Filmgesicht verlieh Holmes jedoch der britische Schauspieler Basil Rathbone. Der stand ab 1939 in insgesamt 14 Produktionen als Holmes vor der Kamera und prägte die Vorstellung vom Aussehen des Meisterdetektivs für Jahrzehnte – auch wenn sich in den folgenden Jahren immer wieder renommierte Schauspieler an der Figur versuchten: Christopher Lee etwa, Stewart Granger oder Rupert Everett. Über 200 einschlägige Produktionen zählen Filmlexika.

Ratlose Regisseure

 

Doch irgendwie schien die Figur Sherlock Holmes einen schleichenden Kulturtod zu sterben. Viele Autoren und Regisseure wussten nicht so recht umzugehen mit dem Spagat zwischen einer Geschichte aus dem viktorianischen England und den Möglichkeiten und Sehgewohnheiten des modernen Kinos. Bezeichnend etwa Guy Ritchies ermüdender Versuch von 2009 aus Holmes – dargstellt von Robert Downey jr. – einen Actionhelden vor historischer Kulisse zumachen.

Doch dann kam „Sherlock“. Steven Moffat und Mark Gattis, die Autoren und Produzenten der seit 2010 von der BBC produzierten Miniserie, mischten die Karten neu: „Sherlock“ versetzt die Geschichten von Doyle konsequent in das London des 21. Jahrhunderts, hält aber an ihren Grundkoordinaten fest.

Nach wie vor wohnt Holmes zusammen mit Watson in der Baker Street 221b. Wie im Original ist Dr. Watson Militärarzt und Veteran eines Afghanistan-Kriegs. Auch der moderne Holmes arbeitet als „Consulting Detective“. Wie vor hundert Jahren löst er seine Fälle mit Hilfe seiner brillanten Beobachtungsgabe. Und weil schon der historische Holmes technisch auf der Höhe seiner Zeit war, nutzt sein Pendant Smartphone, GPS und die Mittel und Möglichkeiten moderner Forensik.

Da sich jedoch nicht alle Eigenschaften von Holmes nahtlos in die Gegenwart übertragen lassen, schießt das ebenso blasierte wie gelangweilte Genie nicht die Initialen von Queen Victoria in die häusliche Tapete, sondern einen Smiley. Und da das Rauchen einer Pfeife irgendwie bieder und anachronistisch wirken würde, benutzt der Holmes des 21. Jahrhunderts Nikotinpflaster.

Das allein wäre alles ganz nett, aber an sich nicht besonders spektakulär. Was „Sherlock“ zu einem Ereignis macht, sind die Drehbücher, die Optik und vor allem – Benedict Cumberbatch. Cumberbatch ist Holmes. Und wie der britische Schauspieler das Bild eines intellektuellen Snobs und schnöseligen Dandys zeichnet, der sich nicht einmal die Mühe gibt, die Verachtung zu verbergen, die er für seine ebenso einfältige wie hässliche Umwelt empfindet, das allein ist schon sehenswert. Doch Cumberbatch gibt nicht einfach nur den blasierten Ästheten und das intellektuelle Genie.

Zusammen mit den Autoren gelingt es ihm, einen ultramodernen Holmes zu formen, der gerade aufgrund seiner arroganten Distanz und inhärenten Fremdheit der Welt des 21. Jahrhunderts als Spiegel dient. Das funktioniert nur, weil Holmes bei aller intellektuellen Entrücktheit zugleich ein Virtuose der Kommunikationstechniken unserer Zeit ist. Mehr als das: Im Grunde sind die Laptops, Smartphones und Navigationsgeräte, derer sich Holmes bedient, nichts anderes als Auslagerungen, Verlängerungen seines eigenen mathematischen präzise arbeitenden Hochleistungsgehirns – Marshall McLuhan lässt grüßen.

Und weil die Welt nichts anderes ist als eine Sammlung von Daten, die verarbeitet, analysiert und geordnet werden wollen, erscheinen die Gedanken Holms mitunter wie auf einem in die Szene geblendeten Head-up-Display – die Benutzeroberfläche seines menschlichen Hochleistungsprozessors.

Aus der Zeit gefallen und doch gegenwärtig

 

Der notwendige Spagat zwischen den Epochen, zwischen dem spätviktorianischen England Doyles und dem postmodernen London, gelingt allerdings auch deshalb in so virtuoser Weise, weil Holmes bei aller intellektueller Hypermodernität zugleich eine Ästhetik kultiviert, die beides zugleich ist: modern und unzeitgemäß, gegenwärtig und aus der Zeit gefallen. Dazu trägt – im Original – Cumberbatchs wunderbar monochromes, dandyhaft englisches Timbre bei, das wie ein beruhigender Kontrapunkt wirkt zu der Hektik der Schnittfolgen.

Mit welcher Virtuosität „Sherlock“ die Geschichten Doyles in unsere Gegenwart überträgt und dabei eine eigene Symbolsprache entwickelt, die das Original überbietet, ohne ihm untreu zu werden, zeigt sich jedoch in den Kostümen: Holmes auffälligstes Merkmal ist sein Mantel. Der ist von Balstaff (was an dieser Stelle ausdrücklich verziehen ist) und ein wunderbarer Kommentar zu dem ikonischen Havelock nebst Deerstalker-Mütze, die Holmes im kollektiven Gedächtnis trägt.

Sein metallblauer Cashmere-Schal und seine Handschuhe stammen von Paul Smith, sein Morgenmantel – Reminiszenz an den britischen Gentleman – von Derek Rose. Konsequente Modernität und Zeitlosigkeit zugleich signalisieren seine Hemden von Dolce & Gabbana und vor allem die Anzüge von Spencer Hart. Die stammen natürlich aus der Savile Rowe, aber eben nicht von einem der großen Traditionshäuser, sondern sind amerikanischer Anzugskultur verpflichtet. Als launigen Kommentar dazu trägt Holmes Bruder Mycroft selbstverständlich Gieves & Hawkes, den traditionellen Schneider britischer Offiziere.

Wie ein subtiler Scherz wirkt es da, dass Holmes großer Gegenspieler Moriarty Anzüge von Vivienne Westwood bevorzugt – und Schlipse von Alexander McQueen. Im August 2010 strahlte die ARD die erste dreiteilige Kurzstaffel von „Sherlock“ aus, im Mai 2012 folgte die zweite. In der sechsten Folge „Reichenbachfall“ stürzte sich Holmes von einem Krankenhausdach, um Watsons Leben zu retten. Doch wie gesagt: Holmes lebt noch. Und diesmal dauerte der Cliffhanger nur zwei Jahre. Am letzten Donnerstag strahlte die ARD die erste Folge der dritten Staffel aus, Episode acht und neuen folgt an Pfingsten – sehenswert!

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