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Second-Hand-Schätze - Jäger der verlorenen Bluse

Ein altes Oberteil bringt 8000 Euro: Vintage-Mode erlebt einen Boom. Sammler, Auktionshäuser, Museen und Modehäuser bieten für Haute-Couture-Klassiker von Yves Saint Laurent, Christian Dior oder Coco Chanel

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Bergmann, Lena

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Der 1. Juni 2008 war ein dunkler Tag für die Modewelt. Yves Saint Laurent, einer ihrer größten Helden, verstarb im Alter von 71 Jahren. In den Folgetagen wurden die Schaufenster sämtlicher Filialen des Unternehmens leer geräumt und verdunkelt. Nur eine schlichte Tafel in den Auslagen erinnerte an das ebenso scheue wie exzessive Genie, über das sein Liebhaber und Geschäftspartner Pierre Bergé sagte: „Coco hat den Frauen Freiheit, Yves hat ihnen Macht geschenkt.“ 2002 hatte sich Saint Laurent, der den „Nude-Look“ mit transparenten Blusen erfunden und Frauen wie selbstverständlich in sexy Smokings gesteckt hatte, in den Ruhestand verabschiedet, doch der Respekt für ihn war ungebrochen. Seine bedeutendsten Kollektionen – „Hommage à Mondrian“ (1965), „Safari“ (1968) oder „Opéras-Ballets russes“ (1976) – sind heute die Warhol-Sieb­drucke der Modewelt.

Das leere Schaufenster der Filiale am Berliner Kurfürstendamm bemerkte auch eine 71 Jahre alte Berlinerin. Genau in dieser Boutique hatte sie 1968 unter anderem die beige Bluse gekauft, ein bekanntes Stück aus der Safari-Kollektion, das im selben Jahr das Modell Veruschka für die französische Vogue getragen hatte: Breiter Gürtel, Gewehr über der Schulter, Raubkatzenblick.

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Die Berlinerin liebt Mode. Sie selbst hatte einen Laden für Kinderkleidung geführt. Der Tod von Saint Laurent machte Johanna Kaufmann betroffen. Sie möchte nur mit verändertem Namen genannt werden, weil es nicht nur um Mode, sondern auch um Geld geht. Und über Geld spricht man eigentlich nicht.

In Kaufmanns Wilmersdorfer Altbauwohnung reihen sich auf vielen Metern die Schöpfungen des Designers, sortiert nach Jahrgängen, auf zwei Stangen übereinander, die höhere nur mit einer Bibliotheksleiter erreichbar. Dicht an dicht hängen in ihrer Ankleide auch Stücke von Chanel, Thierry Mugler und Claude Montana auf gepolsterten Bügeln. Erstanden hat Kaufmann die Stücke während ihrer „modischen Hochphase“ – Ende der Sechziger bis kurz nach der Wende –, als der Westen Berlins noch schick war. Den meisten Platz nahmen bisher Stücke von Saint Laurent ein, darunter eine hoch geschlitzte Satinhose mit federbesetztem Oberteil aus Seidenchiffon. Oder die beige Bluse. Aber alles von Yves hat sie nun verkauft.

Heute trägt sie die Kleider aus ihrer Schatzkammer kaum noch, denn „man stylt sich ja in Berlin nicht mehr auf, sondern eher runter“, wie es Kaufmann sagt. Doch damals? „Alle wollten Yves. Mick und Bianca heirateten in Yves. Meine Freundinnen und ich fingen mit Catherine Deneuve an, Yves zu tragen. Als Yves seine marokkanische Phase hatte, liefen wir hier herum wie im Souk.“ Wenn sie das erzählt, könnte man fast glauben, dass das Ehepaar Jagger und die französische Schauspiel-Diva zu Kaufmanns engerem Bekanntenkreis gehörten.

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Im Laufe der Jahre hatte Kaufmann ihren Nichten ein paar Teile geschenkt und Kleider an junge Schauspielerinnen verliehen, die von ihrem Fundus und ihrer Großzügigkeit Wind bekommen hatten. Wenn sie in ihrer opulenten Wohnung mit Kleidern und deren Geschichten die Westberliner Glanzzeit wieder auferstehen ließ, lauschte die Generation H&M fasziniert. In den Wochen nach Saint Laurents Tod riss Kaufmann Nachrufe aus Magazinen, las noch einmal seine Biografie und blätterte im Katalog der großen Ausstellung, die 1983 im New Yorker Metropolitan Museum stattfand – der ersten Retrospektive überhaupt, die dort einem lebenden Modedesigner gewidmet wurde. Nicht ein einziges Mal kam ihr dabei der Gedanke, dass der Wert ihres Kleiderschranks sich gerade vervielfachte.

Andere kennen den Wertzuwachs von Mode. Dominique Chombert und Françoise Sternbach in Paris zum Beispiel. Die Spezialistinnen für Vintage-Kleidung, die mit ihrem „Cabinet d’Expertises“ Auktionen kuratieren und Auktionshäuser beraten, wissen aus Erfahrung, dass nach dem Tod eines Designers die Nachfrage nach dessen prägenden Entwürfen steigt. Generell ist Vintage in der Mode ein wachsendes Geschäft. Patricia Frost, zuständig für Vintage-Couture beim Auktionshaus Christie’s, sagt: „Auch in den Siebzigern gab es in den USA und England eine ausgeprägte Second-Hand-Kultur, doch seit Celebrities sich auf dem roten Teppich in den Schöpfungen vergangener Dekaden präsentieren und Museen über Modedesigner Blockbuster-Ausstellungen veranstalten, hat sich das Interesse extrem gesteigert.“

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Das Münchner Auktionshaus Neumeister ist 2002 in den Vintage-Handel eingestiegen. Constance Tittus, die dort den Bereich Moderne mitverantwortet, erklärt die strategische Entscheidung: „Mode hat inzwischen den gleichen Stellenwert wie Design, Fotografie oder Architektur.“ Mal werden Nachlässe versteigert, mal konzentriert sich eine Auktion auf eine Phase oder einen Designer. Die Begehrlichkeit und die Preise auf diesem Markt richten sich nach Seltenheit und stilistischer Prägnanz, aber auch nach Provenienz – für das schwarze Kleid von Givenchy beispielsweise, das Audrey Hepburn in „Frühstück bei Tiffany’s“ trug, fiel bei Christie’s erst bei einem Gebot von umgerechnet 446 000 Euro der Hammer. Die Käufer sind modebegeisterte Privatpersonen, Stylisten, Museen, auch Modehäuser kaufen ihre eigenen Kollektionen inzwischen wieder zurück. Doch die Szene gibt sich verschwiegen. Im Auktions-Publikum sitzen oft nur Mittelsmänner. Andere geben ihr Gebot per Telefon durch oder ersteigern anonym im Internet.

Chombert und Sternbach, inzwischen beide über 70, sind Veteraninnen des Vintage-Business. In ihren Räumen in der verwinkelten Rue de Provence im 9. Arrondissement von Paris stapeln sich Taschen, Hüte und Gürtel. Nicht alles ist Glamour. Es riecht wie im Second-Hand-Laden in jeder Kleinstadt. Dasselbe gilt für die Räume bei „Drouot“, einem Pariser Auktionshaus, mit dem die beiden Expertinnen zusammenarbeiten. Wenn dort eine Routine-Auktion stattfindet, bei der querbeet Pelze, Accessoires und Abendgarderobe unterschiedlichster Designer versteigert werden – keine Highlights, keine sogenannten signature pieces –, könnte man sich das Publikum auch in einem Kinosaal vorstellen – ein gesteigertes Maß an Stilsicherheit lässt es nicht erkennen. Die Stücke kommen für wenig mehr als die Schätzpreise in den Katalogen unter den Hammer.

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Doch Chombert und Sternbach verstehen sich auch auf die besonderen Auktionen: „Für eine Robe von Christian Dior aus dem Jahr 1950 beispielsweise, also aus einer seiner späten Kollektionen, erzielten wir kürzlich 30 000 Euro, für einen Elsa-Schiaparelli-Blazer von 1937 sogar 175 000 Euro. Falls je eines der ikonischen Mondrian-Kleider von Yves auf den Markt käme, rechne ich mit bis zu 250 000 Euro. Aber noch ist keines aufgetaucht.“

Für das Gewinnen einer vielversprechenden Klientin wie Johanna Kaufmann reist Sternbach auch bis nach Berlin. Yves’ treue Berliner Kundin hat sich entschieden, nicht mehr nostalgisch zu sein und ihren Fundus zu verkaufen.

Als Sternbach im Oktober 2012 zu Besuch ist, hat Kaufmann im Esszimmer Röcke, Blusen, Cocktailkleider, Capes und Jacketts drapiert. Sie hängen auf schlichten Stangen von Ikea. Die Farbkombinationen sind berauschend. Ein Stück vereint oft mehrere Materialien: Spitze, Samt, Leder. Taft, Baumwolle, Leinen, handwerklich meisterhaft verarbeitet, wie man es heute nicht mehr findet. Auf dem Esstisch funkelt ein Meer aus Ketten, Broschen und Ohrringen. Die Klipse mit den Toddeln, die beim Tragen sanft das Schlüsselbein streicheln, dienen eindeutig als Inspiration für den neuen Toddel-Trend bei Ohrringen. In der Berliner Wohnung duftet es nach „Opium“, dem Parfum-Klassiker von 1977, nach dem so manche frühe Yves-Konsumentin noch heute süchtig ist. Die beiden Damen unterhalten sich auf Französisch.

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Sternbach begeistert die Sammlung. Doch weiß sie, dass Saint Laurent sehr viel Prêt-à-Porter produziert hat und die meisten Stücke daher keine Raritäten sind. Die Lancierung der im Vergleich zur Haute Couture erschwinglichen Zweitlinie „Yves Saint Laurent Rive Gauche“ – benannt nach der Boheme-Kultur des linken Seine-Ufers – war 1966 ein Coup des Modehauses, den die gesamte Konkurrenz nachahmte.

Zielsicher greift die Expertin aus Paris nach der beigen Bluse aus der Safari-Kollektion. Um die 1200 D-Mark hat die Berlinerin damals dafür ausgegeben, für den passenden Gürtel ungefähr noch einmal dasselbe. Kaufmann erinnert sich: „Man trug darunter keinen BH und kombinierte sie mit weißen Shorts.“ Kaufmann war damals 27, ein Blickfang, hatte lange blonde Haare – ähnlich wie das damalige Topmodel Veruschka von Lehndorff.

Schon ein paar Wochen später erreicht Kaufmann die Nachricht, dass die Safari-Bluse versteigert wurde – für 8000 Euro. Nun überlegt sie, was mit ihren Chanel-Stücken geschehen soll, der zweiten großen Sammlung in ihrer Ankleide. Ob sie warten soll, bis Lagerfeld das Zeitliche segnet? Eher nicht: „Karl ist zäh“, sagt Kaufmann. „Das kann noch 100 Jahre dauern.“

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