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Ostern - Eine intellektuelle Zumutung, die wir brauchen

Ostern ist das aktuellste aller christlichen Feste. Denn der Glaube an die übernatürliche Auferstehung stellt eine grundsätzliche Frage: Wie kann ich an meinen alten Überzeugungen festhalten, wenn sich die äußeren Umstände ändern?

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Ostern ist ein eigenartiges Fest. Für den modernen, aufgeklärten Menschen stellt es unter den bedeutenden Festen des Kirchenjahres sicher die größte intellektuelle Zumutung dar. Dass Jesus von Nazareth geboren wurde – gut, das ist unbestreitbar. Dass er gekreuzigt wurde – auch das gilt als historisch gesichert. Dass er aber – „am dritten Tage“ – auferstanden sein soll von den Toten, das ist starker Tobak und löst auch bei vielen engagierten Kirchenmitgliedern leichte Beklemmungen aus.

Dieses Unbehagen ist vielleicht der Grund dafür, dass wir die religiösen Wurzeln dieses Festes systematisch verdrängen. Machen wir uns nichts vor: Nicht wenige Menschen unseres angeblich so christlichen Abendlandes wissen überhaupt nicht mehr, weshalb wir überhaupt Ostern feiern. Die Zahlen der Umfrageergebnisse schwanken dabei zwischen 22 (TNS Emnid 2014) und 47 Prozent (Polis 2003).

Ostern, das verbindet der durchschnittliche Bundesdeutsche mit dem Goldhasen von Lindt und seinem grinsenden Kumpel von Milka, mit gefärbten Eiern, mit der Suche nach Osternestern für die Kinder und einem Festtagsbraten für die Erwachsenen. Der Gang in die Kirche, für viele an Weihnachten immerhin noch fester Teil des Festrituals, gehört für die Allerwenigsten zum Osterprogramm.

Und wie gesagt: Man kann es ja verstehen. Anders als Weihnachten entzieht sich Ostern auf den ersten Blick jeder kulturchristlichen Lesart oder modernen individuellen Sinndeutung. Oder hat uns Ostern doch noch etwas sagen? Gehen wir zunächst zurück, an den Anfang der Geschichte: Es ist vermutlich der 7. April des Jahres 30, als der ehemalige Bauhandwerker und nunmehrige Wanderprediger Jesus aus Nazareth auf Geheiß des Präfekten Pontius Pilatus am Kreuz hingerichtet wird.

Vom Handwerker zum Aufersteher
 

Das Datum ergibt sich aus der Überlieferung des Johannes, die von vielen Exegeten als die überzeugendste angesehen wird. Der 14. Nisan, der Rüsttag des Passafestes (Joh. 19,14), viel in dem zur Diskussion stehenden Zeitraum zwischen etwa 30 und 36 n. Chr. nur in den Jahren 30 und 33 auf einen Freitag. Und dass Jesus an einem Freitag starb, darin sind sich alle Quellen einig. Geboren wurde Jesus in Nazareth in den letzten Regierungsjahren des Herodes (bis 4 v. Chr.). Wie sein Vater wird es als Bauhandwerker gearbeitet haben.

Der große Wendepunkt in seinem Leben war die Taufe durch den Asketen und apokalyptischen Wanderprediger Johannes den Täufer, dessen Anhänger Jesus wurde. Das war „im fünfzehnten Jahr der Herrschaft der Kaisers Tiberius“ (Lk 3,1), also vermutlich im Jahr 29 unserer Zeitrechnung. Jesus ist zu diesem Zeitpunkt also mit einiger Sicherheit schon Mitte 30.

Noch im Jahr 29 wird Johannes der Täufer hingerichtet. Kurz danach tritt Jesus als Wanderprediger auf und sammelt Anhänger um sich. Er bewegt sich in einem kleinen Gebiet am Nordufer des Sees Genezareth um das Städtchen Kapernaum. Er meidet hellenistische Städte wie Sepphoris und Tiberias. Seine Botschaft wendet sich an die einfache jüdische Landbevölkerung Galiläas.

In der Tradition des Täufers und anderer endzeitlicher Erneuerungsprediger kündet Jesus vom Reich Gottes. Ob diese Botschaft tatsächlich auf die baldige Königsherrschaft Gottes zielt, der Gericht halten und das Böse besiegen wird, oder ob Jesus das Reich Gottes mit seinem Wirken schon angebrochen sieht, ist umstritten. Für beide Verkündungen finden sich in den Evangelien Äußerungen, die von der Forschung als authentisch eingestuft werden.

Kurz vor dem Pessafest des Jahres 30 betritt Jesus mit seinen Anhängern vermutlich das erste Mal Jerusalem. Die Metropole ist eine ihm fremde Welt. Jerusalem, das ist kein Heimspiel. Hinzu kommt, dass hier, anders als in Galiläa, die Tempelaristokratie und die Sadduzäer großen Einfluss haben. Ihnen ist die Botschaft des Jesus aus Nazareth ein Dorn in Auge, nicht zuletzt weil er ihre ökonomische und soziale Machtbasis, den Tempelkult, attackiert.

Bleibt man bei der johannischen Terminierung, wird Jesus am Abend des 6. April verhaftet und vor den Hohen Rat geführt. Am frühen Morgen des nächsten Tages überstellt dieser Jesus an die römische Verwaltung. Der Präfekt Pilatus handelt korrekt nach römischer Prozessordnung, lässt einen Dolmetscher kommen und befragt den Beschuldigten. Der gibt seine Vergehen zu („Du sagst es“). Die Sache ist eindeutig. Das Urteil wird sofort vollstreckt.

Es bedarf keiner großen Fantasie, um sich die Erschütterung und Verunsicherung seiner Anhänger vorzustellen. Schließlich hatten sie für Jesus mit ihrem gesamten sozialen Umfeld gebrochen, ihren Beruf aufgegeben, ihre Familien – in einer antiken Gesellschaft ein hoher Einsatz. Und dann das: kein Herabsteigen vom Kreuz, keine Himmlischen Heerscharen zur Rettung.

Einer unter diesen Anhängern muss dann die Idee gehabt haben, die der kleinen Gemeinschaft Trost und Zuversicht gab: Wie, wenn der Heiland gar nicht tot ist, sondern auferstanden von den Toten? Die Legende von der Auferstehung, überliefert in widersprüchlichen Geschichten, ist die Initialzündung. Plötzlich machte alles wieder Sinn. Jesus musste sterben, um den Tod zu überwinden. Wie wichtig diese Botschaft war, unterstrich knapp 25 Jahre später Paulus in seinem Brief an die Korinther: „Ist Christus aber nicht auferstanden,“ so schärfte er ein, „so ist auch euer Glaube vergeblich“ (1Kor 15,14).

Ostern ist das aktuellste aller christlichen Feste
 

Deutlich ausgedrückt: Ostern ist das Ergebnis einer Verlegenheit. Zugleich aber markiert es den Moment, an dem aus der Lehre des Jesus aus Nazareth nach und nach das Christentum zu entstehen beginnt. Und so betrachtet, hat dieses Fest dem modernen Menschen Einiges zu sagen. Es markiert ein alltägliches Problem.

Lassen wir mal alle parapsychologischen und übernatürlichen Erklärungen beiseite: Dann bleibt die Geschichte von Menschen, die ein brutales Scheitern miterleben mussten. Dennoch halten sie an ihrem Glauben fest und finden einen Weg, ihre Ideale und Wertvorstellungen den neuen Gegebenheiten anzupassen.

Insofern steht Ostern für die sehr menschliche Frage: Wie lange kann ich an meinen alten Überzeugungen festhalten, wie weit muss ich sie revidieren, wenn sich die äußeren Umstände erheblich ändern? Ostern ist so gesehen auch die Geschichte einer Emanzipation von einer übermächtigen Lehrerfigur. Plötzlich musste die kleine Gemeinschaft sich ihren eigenen Reim auf die Ereignisse machen. Und sie hat es getan, in welthistorisch einzigartiger Weise.

Und aus dieser Perspektive ist Ostern sogar das aktuellste aller christlichen Feste. Denn spätestens seit der Aufklärung und der historischen Bibelforschung stehen wir wieder vor einem vergleichbaren Problem wie einst die Jüngergemeinschaft: Wie halten wir es mit der jesuanischen Botschaft, wenn die historischen, sozialen oder wissenschaftlichen Karten komplett neu gemischt sind? Was kann bei einer intellektuellen Inventur bestand haben? Was nicht? Wie kann man die alt vertrauten Geschichten neu verstehen, die unsere Kultur über Jahrhunderte geprägt haben? Lohnt die Mühe überhaupt?

Eigentlich bieten die Osterfeiertage eine schöne Gelegenheit, bei einem Glas Eierlikör oder dem obligatorischen Osterspaziergang über solche Fragen nachzudenken. Und weil Ostern natürlich auch ein Familienfest ist, sollte man sich dann auch wieder den anderen bedeutenden Fragen zuwenden: Wo hat der verdammte Osterhase nur die Eier versteckt? Warum sieht man den Kerl nie? Und wie macht der das überhaupt?

 

 

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