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Männer - Das letzte Weichei

Hart im Nehmen, oder eher anschmiegsam. Wie soll er denn nun sein, der moderne Mann? Der Autor Christoph Koch hat sich selber an Orten gesucht, wo man noch echte Kerle findet. Und er hat dabei eine ganz erstaunliche Erfahrung gemacht.

Antje Hildebrandt

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Liebe Männer,

Ihr dürft ruhig zugeben, dass Ihr zwar mehr Paar Schuhe besitzt als Eure Frau, aber keine Bohrmaschine. Es macht sich ja auch kaum einer mehr über Euch lustig, wenn Ihr gesteht, dass Ihr lieber „Germany‘s Next Top Model“ guckt als – sagen wir – die Sportschau.

Einer von Euch hat sich gerade öffentlich „geoutet“. Christoph Koch hat ein Buch darüber geschrieben, wie es ist, wenn man bei der Frage nach dem Lieblingsfußballverein passen muss, lieber shoppt als am eigenen Auto schraubt und auch sonst das Gefühl hat, als Mann irgendwie nicht richtig zu sein.  

Koch ist 38, verheiratet und freier Journalist für Neon, das Magazin für nicht älter werden wollende Twentysomethings. Für sein letztes Buch „Ich bin dann mal offline“ hat er den Stecker gezogen und wochenlang ohne Internet und Handy gelebt. „Der Härtestest“, sagt er.

Er passt ins Klischee des Prenzlberg-Hipsters, der gerne selber kocht, am liebsten vegetarisch, der aber auf freier Wildbahn verhungern würde, weil er Gemüse nur aus dem Bio-Supermarkt kennt.

Lauter Pappkarton-Helden


Bislang hatte man nicht den Eindruck, als ob diese gemüseliebende Spezies mit ihrer Rolle hadern würde. Kultivierte sie doch doch das Bild eines Mannes, für den vollbärtig und feinfühlig keine Gegensätze waren.

Als „Schmerzensmänner“, so hat die Autorin Nina Pauer diesen Typus einmal in einem polemischen Beitrag für die Zeit bezeichnet. Und gleich eine mögliche Antwort auf die Frage mitgeliefert, warum sich junge Akademikerinnen die Entscheidung für ein Kind so schwer machten. Will man wirklich eine Familie mit einem Schluffi gründen, der zwar gerne mit zum Shoppen kommt, der aber eigenhändig keinen Nagel in die Wand bekommt?

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Die US-Autorin Hanna Rosin geht sogar noch einen Schritt weiter. Sie stellte die provokante These auf, dass der Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft lauter Pappkarton-Helden hinterlassen habe, die verzweifelt nach ihrer Identität ringen und sich selber und ihren multitask-fähigen Power-Frauen dabei nur im Wege stehen. Das starke Geschlecht, plötzlich schwach. Rosin beschwor das „Das Ende der Männer“.  

Bislang waren es Frauen, die laut darüber nachdachten, wie er denn nun gestrickt sein muss, der neue Mann, der seinen Hintern nicht nur zum Hosentragen hat. Höchste Zeit also, dass sich endlich auch mal ein Mann zu Wort meldet. Christoph Koch hat es getan. „Chromosom XY ungelöst“ heißt sein neues Buch. „Von einem, der auszog, ein echter Kerl zu werden.“

Der Titel nimmt das Ergebnis der Feldversuche schon vorweg. Wenn es so etwas wie eine Männlichkeits-Urformel gibt, dann hat auch er sie nicht gefunden. Das lag in der Natur der Sache, möchte man sagen.

Hat er sich doch nur an Orten selber gesucht, wo man noch Männer finden kann, die auf der Leiter der Evolution vom Bonobo zum Bürohocker auf halben Wege stehen geblieben sind. Im Fußballstadion. Bei den Cowboys. Im Boxring. In einer Roller-Werkstatt. Oder beim Schlammlauf in England, dem „Tough Mudder“

Es entbehrt nicht der Komik, wenn Christoph Koch beschreibt, wie er dabei an den eigenen Unzulänglichkeiten scheitert. Wie er seine „Schlaghemmung“ beim Boxen überwinden muss  und er sich nach seinem ersten Zufallstreffer besorgt bei seinem Gegner erkundigt: „Oh Gott, ist alles in Ordnung?“ „So eine Scheiß-Idee“, fährt es ihm durch den Kopf, als er beim „Tough Mudder“ die Station erreicht, wo jeder Teilnehmer Stromstöße bekommt.

Daran muss man denken, wenn man im Salon des Hamburger Atlantic-Hotels jenem Mann gegenübersitzt, der als Gegenentwurf zum Schluffi  Karriere gemacht hat.  Es ist der Schauspieler Henning Baum, 41, ein  Schrank von einem Mann, kantiges Gesicht, blonder Vollbart, und schon alleine aufgrund seiner physischen Präsenz abonniert auf Rollen, die Tatkraft und Entschlossenheit implizieren.

Bekannt geworden ist er als Hauptdarsteller der preisgekrönten Sat.1-Serie „Der letzte Bulle“. Henning Baum spielt Mick, einen Cop, der nach einem Unfall in den achtziger Jahren ins Koma fällt und zwei Jahrzehnte später wieder erwacht. Das Rad der Emanzipation hat sich weitergedreht. Männer sammeln jetzt Turnschuhe, sie trinken Mojitos und reflektieren sich und ihr Verhalten bei der Supervision oder beim Therapeuten. Doch Mick ist noch immer ganz der alte.

Er trinkt Bier, macht wichtige Dinge mit sich alleine aus, und wenn eine – wie sagt man(n) – Brezel vorbeikommt, kriegt sie einen Klaps aufs Hinterteil. Er ist die Karikatur eines Machos, doch erstaunlicherweise kommt er sowohl bei Frauen als auch bei Männern gut an. Dabei spielt er diese Karikatur nicht nur. Henning Baum ist der letzte Bulle.

Die Frage nach typisch männlichen Eigenschaften zielt ins Leere


Macho? Mit dem Begriff kann er, der schon als Junge Odysseus und die Helden der griechischen Mythologie verehrt hat, nichts anfangen. Er sagt, er habe halt einen starken Freiheitsdrang, er vertraue lieber seinem Instinkt als irgendwelchen Autoritäten. Entsprechend ratlos hinterlässt ihn die Frage, die das Buch von Christoph Koch aufwirft, nämlich die, wann denn ein Mann ein Mann sei.

Henning Baum ist es gewohnt, dass ihn Journalistinnen beäugen wie eine vor dem Aussterben bedrohte Spezies. Er hat sich damit abgefunden, dass er als letzter noch lebender Macho in die Geschichte eingehen wird, wenn Sat.1 Anfang 2014 die letzte Staffel seiner Polizeiserie gezeigt hat. Aber sein Bass dröhnt noch etwas lauter, wenn man ihn fragt, ob er die neuen Leiden der sich selbst suchenden Mustermänner nachvollziehen könne. Er sagt: „Die armen Kerle, die nur mit Verunsicherung im Kopf rumlaufen, die tun mir alle Leid.“

Der letzte Bulle, er besetzt eine Marktlücke – jenseits aller Klischees von testosteron-gesteuerten Fred Feuersteins. Autoritär, verantwortungsbewusst, konsequent. Solche Eigenschaften sind ein wenig aus der Mode geraten in Zeiten der Gleichberechtigung.   

Ob sie typisch männlich sind, diese Frage zielt tatsächlich ins Leere. Mit solchen Kategorien kommt man in der Gender-Diskussion keinen Schritt weiter. Das dämmert auch Christoph Koch.

Fragt man ihn, was er bei den modernen Mannbarkeitsritualen über sich selber gelernt hat, eiert er ein bisschen herum. Er sagt dann, dass er gar nicht so „ein arges Weichei“ sei, wie er gedacht habe. „Und dass es manchmal auch gar nicht schlimm ist, wenn man eines ist.“

Eine weise Erkenntnis. Um zu ihr zu gelangen, muss man seine WLAN-Blase nur verlassen und  sich dem stellen, was man Leben nennt. Egal, ob als Mann oder Frau. Es ist eigentlich ganz einfach, liebe Männer. Werdet endlich erwachsen. Just do it.

Eure Antje Hildebrandt

 

Christoph Koch: „Chromosom XY ungelöst. Von einem, der auszog, ein echter Kerl zu werden“. Blanvalet, 316 Seiten, 14,99 Euro    

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