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Mode im Herbst - Die stilistischen Tücken der Übergangszeit

Herbstzeit, Übergangszeit. Das Wetter wechselt mehrmals am Tag, die Temperaturen schwanken. Was sollte man da anziehen? Ein paar Tipps vom Stilexperten

Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Der Herbst kündigt sich an. Die Blätter an den Bäumen werden langsam braun, die Sonne verliert ihre Kraft, und abends kann es schon einmal etwas kühler werden. „Übergangszeit“ nannte man das früher, als man Kleidung noch im Konfektionsgeschäft kaufte und nicht im Fashion-Shop.

Die Übergangszeit ist modisch gesehen die reizvollste und angenehmste. Frau und Mann können aus dem Vollen schöpfen. Die gemäßigten Temperaturen erlauben es, etwas mehr zu tragen als einfach nur Rock und Top bzw. Hemd und Hose. Zugleich ist man noch nicht gezwungen, sich ebenso einfallslos wie unvorteilhaft totalzuverhüllen, um nicht den Kältetod zu erleiden. Endlich kann man wieder zu Pullover oder Cardigans greifen, Jackets und leichte Mäntel überziehen und sich mit Tüchern und dünnen Schals drapieren. Zu keiner Zeit im Jahr sind die Gestaltungsmöglichkeiten, die die abendländische Modekultur bietet, größer. Wo aber das Rettende ist, wächst die Gefahr auch.

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Nervig: Mäntel bergen Schweißfleck-Gefahr

Denn Frühjahr und Herbst haben ihre naturgegebenen modischen Tücken. Schuld daran sind vor allem die hinterhältigen Temperaturschwankungen. Gut, einen Schal, der beim Gang ins Büro durch die morgendliche Kühle noch angebracht erschien, aber in der Mittagssonne reichlich lästig ist, lässt man kurzerhand in irgendeiner Tasche verschwinden.

Etwas nerviger sind da schon Mäntel: Vor zwei Stunden war es noch windig und verregnet, doch jetzt strahlt sie Sonne vom wolkenlosen Spätsommerhimmel, und allein der Gedanke an einen Mantel, führt zu erheblichen Beklemmungsgefühlen. Was nun? Den Mantel lässig über den Unterarm legen? Sieht bescheuert aus, ist unbequem, störend und verursacht im schlimmsten Fall Schweißflecken an dem betroffen Ärmel. Sehr unschön.

Noch ungünstiger sind Gummistiefel, die seit einigen Jahren zum angesagten Schlechtwetteraccessoire auch für Großstädter jenseits des Grundschulalters zählen. Denn kaum etwas ist unangenehmer, als bei 25 Grad in der Sonne Gummistiefel an den Beinen zu haben. Interessanterweise haben hier die beiden Geschlechter unterschiedliche Strategien des Umgangs mit dieser misslichen Situation entwickelt. Gehen Männer dem Problem von vornherein aus dem Weg, indem sie sich mit Todesverachtung in Lederschuhen in den Starkregen stürzen, tendieren Frauen zum Gegenteil: ob das durch unterschiedliche Temperaturempfindungen bedingt ist, oder einfach ästhetische Gründe hat, sei einmal dahingestellt. Immerhin: Schöne Frauenbeine sehen auch in „Wellies“ apart aus, wenn weit und breit keine Pfütze mehr zu sehen ist.

Doch Schals, Mäntel und Gummistiefel sind lächerliche und vergleichsweise einfach zu handhabende Schwierigkeiten im Vergleich zu dem Kardinalproblem aller Herbst- und Frühjahrstage, der Fragen aller Stilfragen und Mutter aller Modesünden: wohin mit dem Pullover, wenn es einem zu warm wird?

In der Schulzeit auf dem Wandertag war das ganz einfach: Pullover, Strickjacken und Anoraks wurden fröhlich um die Hüften gebunden. Damals fand man das schrecklich cool. Und einige erwachsene Vertreter des männlichen Geschlechts finden auch im fortgeschrittenen Alter nichts dabei. Gut, hier sind Hopfen und Malz verloren – lassen wir sie in Frieden ziehen.

Ungefähr ab der Pubertät beginnt sich insbesondere bei männlichen Jugendlichen eine weitere Lösung des Problems durchzusetzen, die dann im fünften Lebensjahrzehnt geradezu zum Modebekenntnis avanciert: der lässig um die Schulter gelegte Pullover.

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Soziale Abgrenzung statt Mao-Uniformen

Was ist das nun? Die modische Peinlichkeit schlechthin oder souveränes Bekenntnis aller Porsche fahrenden Best Ager? Ein absolutes No-Go oder eine akzeptable Verlegenheitslösung?

Man kann sich die Sache natürlich einfach machen: Wer sich einen Pullover um die Schultern legt, der stellt wahrscheinlich auch den Kragen seines Polo-Hemdes hoch. – Damit wäre das Thema dann beendet.

Das Problem scheint zu sein, dass der über die Schultern gelegte Pullover eben nicht nur ein über die Schultern gelegter Pullover ist, sondern anders als andere Verlegenheitslösungen, die die Übergangswitterung so mit sich bringt, als soziales Statement verstanden wird, als deutliches Signal einer etwas schnöseligen sozialen Abgrenzung.

Doch das ist noch kein Gegenargument: Mode ist in ihrem Wesen nach soziale Abgrenzung. Wer sie vermeiden möchte, müsste alle Menschen in Mao-Uniformen zwingen. Und gute, am Ende sogar teure Mode hat immer auch das Moment ökonomischer Distinktion. Das ist unvermeidbar, und wer sich daran stört, will letztlich nichts anderes, als eine nivellierte Gesellschaft.

Das Problem des flott über die Schulter gelegten Pullovers liegt woanders: Modesprachlich soll die Marotte Weltläufigkeit, Nonchalance und Wohlsituiertheit suggerieren. Faktisch jedoch belegt sie das Gegenteil: Provinzialität, Biederkeit und die Aura des Emporkömmlings – wenn überhaupt.

Das beinah Tragische am über die Schulter gelegten Pullover ist, dass er entlarvend wirkt und selbst die überzeugendste Fassade schnell zum Einstürzen bringt. Denn natürlich gibt es sie, die graumelierten Sportwagenfahrer Mitte 50 mit Buntfaltenhose und Gucci-Mokassin auf dem Weg zum Golfplatz, die Pulloverärmel lässig vor der Brust verknotet. Und ästhetisch ist nicht einmal etwas dagegen zu sagen. Nur im Ernst: Das ganze Arrangement hat etwas Lächerliches. Lächerlichkeit aber ist immer die Folge einer Differenz zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Besagte Modegeste legt den kleinen Jungen im Manager frei, den Provinzler im polyglotten Mann von Welt.

Wie Tony Blair im Toskana-Urlaub

Wie absurd die ganz Geste ist, wird klar, wenn man sich besagten Herrn morgens vor dem Spiegel vorstellt, sorgfältig den Knoten seiner Ärmel richtend wie andere ihre Krawatte.

Im britischen „Telegraph“ tobte Anfang August – englisches Wetter macht es möglich – eine leidenschaftliche Debatte für oder wider den berüchtigten „jumper around the shoulders“. Ein britischer Kollege wies darauf hin, dass Männer mit Pullover über der Schulter immer aussehen wie Tony Blair im Toskana-Urlaub.

Wie bei jeder Sprache, so sind auch die Bedeutungen von Modestatements abhängig von ihrem Kontext: Wer trägt was, wann, wie und wo? Und natürlich lassen sich Menschen in Situationen vorstellen, die mit einem über die Schulter gelegten Pullover entspannt, stilsicher und authentisch wirken.

Immerhin, was die Seite der verknotete Pullover angeht, gibt es zumindest eine Faustregel: Pastell- oder rosafarbene Strickware einschlägiger amerikanischer Hersteller angeblicher Preppy-Mode gehen überhaupt nicht. Alles andere hängt vom Feingefühl des Trägers ab. Und vermutlich wird die Debatte endlos weitergehen, solange es überhaupt Strickpullover gibt.

 

 

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